Süddeutsche Zeitung

Sitzblockade am 1. Mai:Parlamentarisches Nachspiel für Thierse

Richtiges Signal oder öffentlicher Rechtsbruch? Weil Bundestagsvizepräsident Thierse an einer Sitzblockade teilnahm, ruft die Union den Ältestenrat an.

Die Teilnahme von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) an einer Straßenblockade am 1. Mai stößt auf ein geteiltes Echo. Während linke Parteien und Gruppierungen die Aktion lobten, will die Unionsfraktion die Aktion zum Thema im Ältestenrat des Bundestags machen. Thierse hatte mit weiteren Politikern am Samstag in Prenzlauer Berg zeitweilig den Aufmarsch von 700 Neonazis blockiert.

Die innenpolitische Sprecherin der Bundestags-Linksfraktion, Ulla Jelpke, sagte, der SPD-Politiker habe mit seinem Protest gegen einen Neonazi-Aufmarsch "genau das richtige Signal gesetzt". Jelpke warf Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der die Aktion Thierses scharf kritisiert hatte, eine Diffamierung und Kriminalisierung des Widerstands gegen Neonazis vor.

Jelpke betonte, Blockaden von Neonazi-Aufmärschen seien kein Angriff auf die Demokratie, sondern sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, Dagmar Enkelmann, nahm Thierse ebenfalls in Schutz.

Sie verwies auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995, wonach eine friedliche Sitzblockade keine Nötigung, sondern eine legitime Form zivilen Ungehorsams sei. Die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth sagte, Thierses Aktion verdiene großen Respekt.

Die Unionsfraktion will den Vorfall vor den Ältestenrat bringen. "Grundsätzlich gilt der Satz: Ein Parlamentarier kämpft mit Worten im Parlament und nicht auf der Straße gegen die Polizei", wird der Parlamentarische Geschäftsführer Stefan Müller (CSU) zitiert. Nach einer entsprechenden Aufforderung durch die Polizei hatte Thierse freiwillig die Straße geräumt.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sah in der Blockade des SPD-Politikers allerdings einen "öffentlich zelebrierten Rechtsbruch" und forderte Thierses Rücktritt.

Thierse selbst verteidigte seine Teilnahme an der Sitzblockade am Wochenende. "Ich habe als Bundestagsvizepräsident die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie alle anderen auch", sagte er dem Berliner Tagesspiegel. Er sei betroffen darüber, dass ihm selbst innerhalb seiner Partei schäbige Motive unterstellt werden, beklagte der SPD-Politiker.

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Quelle:
SZ vom 5.5.2010/liv
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