Sitz des EU-Parlaments:Streit um Straßburg

Fast 800 Abgeordnete reisen zwölfmal im Jahr für ein paar Tage von Brüssel nach Straßburg. Das ist nicht mehr zeitgemäß und kostet zuviel Geld, finden viele EU-Abgeordnete. Sie fordern eine Änderung der EU-Verträge und wollen künftig selbst entscheiden, wo getagt wird.

Wo ist der Sitz des Europäischen Parlaments? Klar, in Straßburg. Dort haben die Abgeordneten an diesem Mittwoch getagt, haben über die Frauenquote in Aufsichtsräten abgestimmt und den Haushalt für 2014 beschlossen. Auf der heutigen Plenarsitzung stand aber noch ein anderes Thema an, nämlich die Arbeit der Abgeordneten selbst.

Das Europäische Parlament sitzt nämlich nicht nur in Straßburg, sondern auch in Brüssel und irgendwie auch ein bisschen in Luxemburg. Das Prozedere läuft wie folgt: Zwölfmal im Jahr reisen die 766 Abgeordneten und ihre Mitarbeiter für etwa eine Woche von Brüssel ins rund 400 Kilometer entfernte Straßburg zu den Plenarsitzungen. Dort arbeiten nur 100 Angestellte dauerhaft für das EU-Parlament. In Luxemburg, wo sich ein Großteil der Verwaltung befindet, sind mehr als 2400 Menschen für die Volksvertretung tätig, in Brüssel über 4000. Die meisten EU-Abgeordneten wohnen in der belgischen Hauptstadt, wo auch der größte Teil der Ausschüsse tagt.

Das permanente Pendeln hat sich historisch entwickelt. Die Institutionen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), dem Vorläufer der EU, sollten Anfang der fünfziger Jahre in Luxemburg tagen, doch dort gab es nicht genug Räumlichkeiten. Im Sitzungssaal des Europarates in Straßburg war genug Platz, außerdem galt die elsässische Hauptstadt als Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung. Seit 1999 sind die drei Standorte vertraglich festgeschrieben - eine typische EU-Kompromisslösung, die peinlich genau das Gleichgewicht zwischen den beiden großen Staaten Frankreich und Deutschland wahrt, zumal die Europäische Zentralbank in Frankfurt sitzt.

Die Reisetätigkeit zwischen den drei Parlamentssitzen kostet jedes Jahr etwa 200 Millionen Euro und "ist in der Praxis nicht immer leicht zu handhaben", wie es auf einer Infoseite der EU mit einiger Untertreibung heißt.

Zahlreiche Abgeordnete sind nämlich entzürnt über das andauernde Pendeln. "Das EU-Parlament ist es leid, auf Geheiß der Staats- und Regierungschefs und gegen seinen Willen in Europa hin- und hergeschickt zu werden", sagt zum Beispiel der Grünen-Abgeordnete Gerald Häfner. Die Fahrten zwischen Brüssel und Straßburg seien ein "aufgezwungener, verschwenderischer Reisezirkus".

Man müsste Frankreich etwas anbieten

Jetzt gibt es einen neuen Vorstoß der Abgeordneten, um einen einzigen Ort für den Parlamentssitz festzuschreiben. Mit 483 Ja- gegen 141 Nein-Stimmen haben sie dafür gestimmt, über den Tagungsort des Parlaments künftig selbst entscheiden zu können. In der Entschließung, die der deutsche Grüne Gerald Häfner und der britische Konservative Ashley Fox initiiert haben, verlangen die Abgeordneten eine Änderung der EU-Verträge.

Die müssten allerdings die Regierungen aller 28 EU-Länder einstimmig beschließen. Bisherige Initiativen, den millionenteuren Umzug nach Straßburg zu beenden, waren wegen des Vetorechts Frankreichs immer erfolglos geblieben. Daran dürfte sich wenig ändern.

Der französische Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten Joseph Daul, umschreibt das Dilemma so: "Ich habe kein Problem damit, über den Sitz zu debattieren. Doch dann müssen wir über alle EU-Institutionen reden, nicht nur über das Parlament", sagt der Politiker, der nicht weit von Straßburg im Elsass geboren wurde. Die Europäische Zentralbank könne ja von Frankfurt nach Straßburg umziehen, vielleicht auch der Europäische Gerichtshof aus Luxemburg. Das fände er "schick", sagt Daul.

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Herbert Reul, ist zwar auch für einen einzigen Sitz in Brüssel, doch einen Streit mit Frankreich will er darüber nicht riskieren. "Man müsste für die Franzosen und den Standort Straßburg etwas Vernünftiges finden, und da ist uns noch nichts eingefallen" sagt der CDU-Parlamentarier.

Eines ist sicher: Eine Entscheidung zu diesem Thema ist frühestens in einigen Jahren zu erwarten. "Es ist klar, dass man im Rahmen einer Paketlösung mit Paris und den Partnerregierungen verhandeln muss", sagt Häfner. Diese Formulierung klingt dann wieder nach einem typischen EU-Kompromiss.

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