Diskriminierung:Sinti und Roma sind im deutschen Bildungssystem benachteiligt

Abiturprüfungen in Bayern

Schüler bei der Abiturprüfung: Laut einer Studie der Arbeitsgemeinschaft "RomnoKher" haben nur sieben Prozent der befragten Sinti und Roma allgemeine Hochschulreife.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Das zeigt eine aktuelle Studie. Trotzdem will die Bundesregierung Angehörige der Minderheit bisher nicht gezielt fördern.

Von Lilith Volkert

Sinti und Roma werden im deutschen Bildungssystem nach wie vor deutlich benachteiligt. Ihr durchschnittliches Bildungsniveau ist niedrig, viele haben Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Das zeigt die Studie "Ungleiche Teilhabe. Zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland". Sie wird von der Arbeitsgemeinschaft "RomnoKher", die sich für die Belange der ethnischen Minderheit einsetzt, an diesem Mittwoch vorgestellt und liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Im Rahmen der Untersuchung wurden 614 Interviews mit in Deutschland lebenden Sinti und Roma ausgewertet.

Demnach hat fast jeder Dritte der Befragten die Schule ohne Abschluss verlassen. Bei den 18- bis 25-Jährigen hat sich dieser Wert mittlerweile halbiert. Er ist mit 15 Prozent aber noch immer gut doppelt so hoch wie der bundesweite Durchschnitt derjenigen ohne Abschluss. Das Abitur haben sieben Prozent der 18- bis 50-Jährigen gemacht. In dieser Altersgruppe hat nahezu jeder zweite keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Das Problem wurzelt in der NS-Zeit. Sinti und Roma wurden schrittweise entrechtet und aus den Schulen vertrieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine junge Generation von Analphabeten, die selbst keinen Zugang zu Bildung gehabt hatte und ihre Kinder - aus Misstrauen gegen staatliche Institutionen - zu einem großen Teil auch nicht zur Schule schickte. Wer keinen Abschluss und dadurch auch keine gut bezahlte Beschäftigung hat, dessen Kinder haben insbesondere in Deutschland ebenfalls geringere Chancen auf gute Bildung - ein Teufelskreis.

Bisherige Fördermaßnahmen reichen nicht

Hinzu kommt der nach wie vor verbreitete Antiziganismus. 62 Prozent der Befragten der "RomnoKher"-Studie gaben an, dass sie in der Schulzeit aufgrund ihres ethnischen Hintergrunds beleidigt oder angefeindet wurden. Dieser Wert ist zwar insgesamt in den vergangenen zehn Jahren gesunken. Er liegt aber bei jungen Erwachsenen kaum niedriger als bei der Altersgruppe zwischen 26 und 50 Jahren, deren Schulbesuch schon länger zurückliegt.

"Unsere Daten belegen, dass die allgemeinen Fördermaßnahmen nicht ausreichen, um die Situation von Sinti und Roma im Bildungsbereich zu verbessern", sagt Studienleiter Daniel Strauß, der 2011 schon die erste "RomnoKher"-Bildungsstudie begleitet hat. Im gleichen Jahr forderte die EU-Kommission ihre Mitgliedstaaten auf, gezielte Fördermaßnahmen für Sinti und Roma einzurichten. Die damalige Bundesregierung aus Union und FDP lehnte dies ab, ebenso wie später die große Koalition - weil es dem Gleichbehandlungsgebot widerspreche.

Das Bundesinnenministerium (BMI) verweist seit zehn Jahren regelmäßig darauf, dass Kinder von Sinti und Roma Zugang zu allen Fördermaßnahmen hätten, die auch für andere Kinder angeboten werden. "In Deutschland werden Projekte, Initiativen und Maßnahmen des Bundes, der Länder und der Kommunen im Bildungskontext grundsätzlich nicht exklusiv für Sinti und Roma angeboten", sagt Bernd Fabritius, der Beauftragte der Bundesregierung für nationale Minderheiten, auf Anfrage der SZ.

"Wir wollen gar keine exklusiven Maßnahmen nur für Sinti und Roma", sagt Daniel Strauß. Stattdessen gehe es um "explizite" Maßnahmen, die auch anderen Gruppen zugutekämen, die sozial benachteiligt und von Rassismus betroffen sind: den gezielten Aufbau von Empowerment-Strukturen, etwa Mediatorenprogrammen, durch die jungen Leuten eine Perspektive aufgezeigt werde. Die Einrichtung eines Bildungsfonds, der entsprechende Initiativen unterstütze. Wichtig sei dabei die Kommunikation auf Augenhöhe.

Die Studie ist ein Politikum

Strauß wünscht sich Verständnis für die Geschichte der Sinti und Roma, will die Bildungsfrage grundsätzlich aber "de-ethnisieren" - also unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe sehen. "Prägend ist die soziale und gesellschaftliche Situation, in der man aufwächst", sagt er.

Die "RomnoKher"-Studie ist ein Politikum, weil in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs keine Daten nach ethnischer Zugehörigkeit mehr erfasst werden. Deshalb gibt es auch kaum aussagekräftige Statistiken zur Lage der etwa 60 000 Sinti und 10 000 Roma, die in der Bundesrepublik leben. Ebenfalls ein Argument des BMI, wenn auf die Bildungsmisere der Minderheit aufmerksam gemacht wird. Und der Grund, warum "RomnoKher" 2011 als Interessensverband die erste wissenschaftliche selbstverantwortete Analyse der Bildungssituation der Sinti und Roma auf den Weg gebracht hat. "Sie wurde auch deshalb von den Angehörigen der Minderheit akzeptiert, weil sie sich deutlich von dem oft durch Stereotype geprägten Fremdblick anderer Forschungsansätze unterscheidet", sagt Strauß.

Kurz vor Veröffentlichung der aktuellen Studie zeigt Strauß sich zuversichtlich, dass man in der Diskussion mit dem BMI demnächst einen Schritt weiterkommen wird. Auch der Minderheitenbeauftragte Fabritius deutet an, dass deren Ergebnisse in den Umsetzungsprozess der kürzlich getroffenen EU-Forderungen einfließen könnten.

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