Simonis zur Thüringen-Wahl:"Diese Männer hassen uns"

Christine Lieberknecht schaffte es erst im dritten Wahlgang ins Amt der thüringischen Ministerpräsidentin. Heide Simonis erkennt in der Abstimmung ein Muster: die Angst vor weiblicher Macht.

Ralf Wiegand

Heide Simonis war den ganzen Tag im Zug unterwegs, aber natürlich bekam sie mit, was in Erfurt geschah. Je länger sie darüber nachdachte, umso zorniger wurde sie. "Da kann ich richtig wütend werden", sagte sie, denn Heide Simonis glaubt den Grund zu kennen, warum Christine Lieberknecht jetzt, warum sie selbst vor viereinhalb Jahren so durch die Mangel gedreht wurde.

Heide Simonis, dpa

Heide Simonis war zwölf Jahre lang Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein - für eine weitere Amtszeit fehlte ihr in vier Wahlgängen jeweils eine Stimme.

(Foto: Foto: dpa)

Lieberknecht rettete sich ja noch im dritten Wahlgang ins Amt der Ministerpräsidentin, aus dem Heide Simonis am 17. März 2005 auf bis dahin und seitdem einmalige Weise rausgeflogen war - in vier Wahlgängen, in denen ihr eine Stimme fehlte. "Diese Männer, die so etwas tun, hassen Frauen", behauptet Heide Simonis.

Kreuzchen an der falschen Stelle

Von Anfang an glaubte Heide Simonis, die zwölf Jahre lang Schleswig-Holstein regiert hatte, womit sie bis Freitag die einzige Ministerpräsidentin Deutschlands war, ein Mann habe sie in jener legendären Wahlschlacht im Kieler Parlament aus dem Amt gestrichen - mit einem Kreuzchen an der falschen Stelle.

Eine Stimme fehlte ihr damals, um sich mit Hilfe einer vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) tolerierten Regierung aus SPD und Grünen noch einmal im Amt zu halten, obwohl Rot-Grün keine Mehrheit mehr hatte im Land zwischen den Meeren. Dass drei Frauen dieses riskante Bündnis schmiedeten, neben Simonis die Grüne Anne Lütkes und Anke Spoorendonk vom SSW, bestärkte Simonis darin, dass es nur ein Mann gewesen sein kann. Das Dreimädelhaus von Kiel wurde noch im Rohbau abgerissen. "Nur Männer sind so", sagt Simonis lapidar.

Von emanzipierten Frauen dürfte sie da kaum Zuspruch erfahren - Frauen, die an ihrem Frausein scheitern, sind passé. Wenn schon, dann scheitern sie an Fehlern, die sie genauso begehen wie Männer. Für Simonis, 66, aber gibt das alles ein Bild: ihre Abwahl damals, Lieberknechts Blamage heute, neun Stimmen zu wenig für Kanzlerin Merkel im Bundestag, keine Frau als Vorstandschefin eines Dax-Konzerns. "Männer, die Frauen an der Macht nicht dulden können", steckten dahinter.

Entwürdigendes Prozedere - ein ums andere Mal

Sogar bei Andrea Ypsilanti, die in Hessen einst der Pionierin Simonis ins Amt einer Ministerpräsidentin hätte folgen sollen, ist sich die wie früher kampfeslustige Simonis nicht sicher, ob nicht auch sie der Männermacht zum Opfer fiel: "Sie hat Fehler gemacht. Aber wäre ein Mann so hart bestraft worden?"

Heide Simonis trägt noch heute schwer an ihrer Abwahl, die sie für eine persönliche Niederlage hält. "Heide-Mord", das Wort führt sie selbst im Munde. Es war, sagte sei einmal, als habe man ihr ein Messer zwischen die Rippen gerammt.

An jenem langen Tag wiederholte sich ein ums andere Mal dieses entwürdigende Prozedere. Der Landtagspräsident verlas das Ergebnis, die eine Stimme fehlte, die Reihen der CDU und FDP johlten, während die vermeintlichen Regierungsfraktionen zu Arrangements aus Salzsäulen erstarrten. "Für mich gab es nur diesen einen Weg, die Politik zu verlassen", sagte Simonis.

Christine Lieberknecht bleibt und hat das ganze Mitgefühl von Heide Simonis. "Sie ist angetreten, um Wunden zu heilen zwischen CDU und SPD", sagt sie. Aber anstatt sie starkzumachen, "hat jemand ihr das Gesicht zerkratzt". Für die Zeit als Ministerpräsidentin, für die lange Zeit allein unter Männern, rät Heide Simonis ihrer Nachfolgerin als Chefin eines Landes: "Ziehen Sie sich warm an!"

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