Simone Peter und Cem Özdemir:Abschied der grünen Flügelspieler

Bundesdelegiertenkonferenz Bündnis 90/Die Grünen

Für die Grünen beginnt an diesem Wochenende ein erfrischend neues Kapitel; für Peter und Özdemir geht erst mal sehr viel zu Ende.

(Foto: dpa)

Sie haben gestritten und gekämpft. Am Ende müssen Simone Peter und Cem Özdemir gemeinsam Adieu sagen. Und dabei zeigt sich in Hannover: Sie kann das ein bisschen besser.

Von Stefan Braun, Berlin

Auch das noch. Ausgerechnet jetzt, da einem zum Abschied sowieso das Herz weich wird, kommen sie nicht mehr drum rum. Alle freundlichen Abschiedsreden sind gehalten, beide wurden von besonderen Leuten gewürdigt. Also stehen Simone Peter und Cem Özdemir jetzt gemeinsam da oben und teilen für eine Sekunde das gleiche Schicksal. Blumen, Applaus, Umarmung. Und das auch noch vor Hunderten Leuten. Dabei wissen in diesem Augenblick alle, dass diese Zweisamkeit nicht die Wirklichkeit war in den vergangenen vier Jahren.

Beide durften sich Vorsitzende der Grünen nennen. Und sie hatten dabei ihre Türen quasi Seite an Seite. Aber alles, was da nach Kooperation und Bündnis hätte aussehen können, war sehr früh wie zugenagelt. Sie, die Linke, er, der Oberrealo - da hat es nur sehr selten tragfähige Brücken gegeben. Umso sanfter wirkt plötzlich ihre Umarmung. Man staunt fast, wie sich Streit am Ende auflöst. Aber so ist das manchmal, wenn zwei lange streiten und dann doch gleichzeitig von der großen Bühne abtreten.

Für die Partei beginnt an diesem Wochenende sehr wahrscheinlich ein erfrischend neues Kapitel; für Peter und Özdemir geht erst mal sehr viel zu Ende. Politik auf Ebene von Parteichefs - das ist Kampf, das ist Selbstbehauptung, das sind Auseinandersetzungen. Es ist mehr Öffentlichkeit, als es den allermeisten lieb ist. Und es ist ein Kraftverschleiß, der nur kompensiert oder vergessen wird, wenn der Erfolg kommt. So gesehen haben beide ein sehr gemischtes Ergebnis. Wie nimmt man da Abschied? Froh und erleichtert? Oder zerknittert, weil der ganz große Erfolg ausblieb?

An diesem Abend, dem ersten des Parteitags von Hannover, kann man gut studieren, wie unterschiedlich Menschen das so durchleben. Peter ist entspannt, und man ahnt, dass sie sehr froh ist. Özdemir lächelt, aber sein Lächeln ist keines, das das ganz große Glück ausstrahlen würde. Auch die schönsten Lobreden zum Abschied können daran nicht mehr ändern.

"Cem hat eine verdammt gute Erdung"

Tschüssermann und Söhne - so ist das halt in solchen Augenblicken, auch wenn Winfried Kretschmann in seinen zehn Minuten viele lobende Worte über Özdemir findet. Kretschmann erzählt, wie er im letzten Sommer erlebte, dass sie in Baden-Württemberg "sehr stolz" seien auf ihren türkisch-stämmigen Schwaben. "Cem hat eine verdammt gute Erdung", schwärmt der Ministerpräsident aus Stuttgart. "Du bist für die Leute gute schwäbische Heimat." So lange redet Kretschmann über seinen engen Weggefährten, dass man langsam aber sicher das Gefühl bekommt, dass da zwei auch in Zukunft eng zusammenarbeiten werden. "Er verkörpert wie kaum ein anderer unsere Ziele - und wir werden ihn noch lange brauchen."

Die Seele streicheln soll das. Und das wenigstens dürfte geklappt haben. Özdemir wollte regieren; er wollte Minister werden; er wollte zeigen, dass das einem wie ihm nicht länger verschlossen bleibt in Deutschland. Allein: es ist nichts geworden. Statt des großen Amtes ist zuletzt und für eine gewisse Zeit eine ziemlich große Leere zu seinem Begleiter geworden.

Was für ihn noch kommen wird, ist bislang offen. Entsprechend klingen seine Worte, als er vom Aufräumen des Büros berichtet. Cool und selbstbewusst will er dabei wirken. Es gehe nicht um eine griechische Tragödie; es drohe kein Selbstmord. Außerdem würden die Themen, die einem am Herzen liegen, nicht weniger wichtig, nur weil man ein bestimmtes Amt nicht mehr inne habe. So entschieden er das sagt, so gedämpft klingt er bei diesen Worten.

Später, in seiner letzten Rede als Parteichef, liefert er gleichwohl so etwas wie ein Vermächtnis. Er warnt seine Partei, sich bloß nicht auf die Debatte über ein linkes Lager einzulassen. "Dann nimmst Du die Widersprüche auch im eigenen Denken gar nicht mehr wahr." Das dürfe nicht passieren. "Wir Grüne, wir sind eine Kraft der linken Mitte und unsere Türen sind weit offen." Das ist es, was sich Özdemir für seine Partei auch in Zukunft vorstellt. "Wir haben an Ansehen gewonnen durch eine leidenschaftliche Ernsthaftigkeit", freut sich der scheidende Parteichef. "Draußen habe viele gesehen: die Grünen nehmen ihre Verantwortung auch ernst, wenn es schwer wird." Schwer wird es jetzt auch für ihn, das weiß er.

Peter, seine Nicht-mehr-Kollegin, wirkt leichter, gelassener. Vielleicht ist sie nie mit den großen Träumen unterwegs gewesen; entsprechend geringer wirkt bei ihr der Schmerz, endlich loszulassen. Ihr ist das schon am Nachmittag anzumerken. Mehr als sonst schüttelt sie nochmal Dutzende Hände; leichter als er berichtet sie, wie sie am Vortag zum Abschied mit allen in der Parteizentrale gefeiert hat. Sie spricht von ein "klein wenig Wehmut", aber bei ihr klingt das nicht traurig. Und als sie Özdemir in einem Moment direkt in die Augen schaut, fügt sie hinzu, sie beide seien "doch sehr umtriebig", deswegen sei sie sicher, dass es für beide mit neuen Aufgaben weitergehen werde. Fast wirkt es so, als wolle sie zum Abschied freundschaftlich auftreten.

So gesehen verwundert es nicht, dass sie Worte ihres Laudators Klaus Töpfer freundlich und zufrieden über sich ergehen lässt, obwohl Töpfer viel mehr über sich als noch einmal freundlich über sie spricht. Am Ende gibt es für sie stehend Applaus. Einen Applaus, den sie vier Jahre lang so nicht bekommen hatte.

Und wie geht es nun für die beiden weiter? Bei ihr ist alles offen; vielleicht ruft irgendwann Europa. Bei ihm bleibt's der Bundestag, aber das wird nicht ewig reichen. Und die nächsten Tage? Im neuen Leben? Antje Radcke, die frühere Parteichefin, hat in einem Buch mal beschrieben, wie es war, als sie nach ihrer Verabschiedung zuhause ankam. Sie sei zerknittert, zerknirscht, frustriert gewesen. Dann habe sie die Tür aufgeschlossen - und die Sektkorken seien durch die Luft geflogen. Während sie enttäuscht gewesen sei, hätte die Familie gefeiert. Endlich vorbei der Stress; endlich wieder ein Leben jenseits der Bundesdelegiertenkonferenzen. Bei Peter könnte es tatsächlich so laufen; bei Özdemir könnte es dafür noch ein bisschen zu früh sein.

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