Simon Wiesenthal:Deckname "Theokrat"

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Viele Legenden ranken sich um Simon Wiesenthal - nun kommt eine weitere hinzu: Der Nazijäger stand auf der Gehaltsliste des israelischen Geheimdienstes Mossad - für den aber auch einer seiner größter Gegenspieler arbeitete.

Willi Winkler

Der Nazijäger Simon Wiesenthal war ein leidenschaftlicher Erzähler und hielt sich deshalb auch für einen Schriftsteller. Doch seinen größten Triumph erlebte er, als er selber Eingang in einen Roman fand. In Frederick Forsyths Roman "Die Akte Odessa" besucht der Reporter Peter Miller den Leiter des Dokumentationszentrums für nationalsozialistische Verbrechen in Wien, um sich aus erster Hand über die Jagd nach den untergetauchten NS-Verbrechern zu informieren.

Simon Wiesenthal wurde vom Mossad bezahlt. (Foto: REUTERS)

Miller ist eine literarische Erfindung, aber Wiesenthal gab es wirklich, und dieser wirkliche Wiesenthal diktiert dem Reporter in den Block, dass es sich bei der Untergrund-Organisation "Odessa" (manchmal heißt sie "Die Spinne") um einen Verein handele, der "unmittelbar vor Kriegsende gegründet worden" war und die Aufgabe hatte, "SS-Angehörige aus Deutschland herauszuschmuggeln und in Sicherheit zu bringen". Diese Legende von der großen Nazi-Verschwörung ist dank Forsyths Roman und durch Wiesenthals Beglaubigung nicht mehr aus der Welt zu schaffen und über das Internet endgültig unsterblich geworden.

Heinz Schneppen hat in seinem Buch "Odessa und das Vierte Reich" nachrecherchiert, wie diese Legende entstand. In der Version des stramm antikommunistischen Wiesenthal und der Staatssicherheit der DDR hat die Organisation Odessa immer noch mehr SS-Schurken nach Südamerika oder auch nach Ägypten und Syrien ausgeschleust. Für den KZ-Überlebenden Simon Wiesenthal, der unermüdlich nach versteckten Nazis gesucht hat, bildete diese "Odessa" die "größte Fluchtorganisation der Weltgeschichte", und für die DDR war sie der Beweis, dass im Westen noch genug alte Nazis am Werk waren. Wiesenthal hat also, ohne es zu wollen, das Werk der Stasi besorgt, umgekehrt die Stasi Wiesenthals Arbeit unterstützt.

Regelmäßig Agentenbesuch

Wie der Historiker Tom Segev jetzt in einer neuen Biografie enthüllt, stand Wiesenthal über viele Jahre auf der Lohnliste des israelischen Mossad. Er erhielt ein regelrechtes Monatsgehalt und ebenso regelmäßig Besuch von Agenten aus Israel. Aber was hätte er schließlich tun sollen? Er musste seine Recherchen selber finanzieren, die ihm besonders in Österreich mit allen, gern auch staatlichen Mitteln hintertrieben wurden. Der Mossad zahlte "Theokrat" (so sein Deckname), finanzierte ihm seine Arbeit, die genug alte Nazis zu fürchten gelernt hatten.

Diese Enthüllung sollte niemanden überraschen, denn mit seiner kindlichen Lust an der Geheimniskrämerei hat sich der später weltberühmte Nazijäger Wiesenthal schon bald nach seiner Befreiung aus dem KZ Mauthausen mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammengetan. Das Interesse, die Naziverbrecher aufzustöbern, ließ im Kalten Krieg jedoch sehr schnell nach. Statt sie vor Gericht zu stellen, beschäftigte man sie lieber als Agenten gegen die Sowjetunion.

Der Mossad nahm die Jagd wieder auf. Wiederum ohne es zu wissen, arbeitete der Agent "Theokrat" in den frühen Sechzigern mit einem Kollegen Seit' an Seit', der noch immer als Organisator der "Odessa" gilt - Otto Skorzeny. Der bis heute in einschlägigen Kreisen als "Befreier Mussolinis" gefeierte SS-Hauptsturmführer etablierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Madrid als Waffenhändler. Als 1961 in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann geführt wurde, planten die alten Kameraden die Befreiung des Angeklagten. Eine Möglichkeit, die allen Ernstes erörtert wurde, bestand darin, Nahm Goldmann, den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, zu entführen. Allem Anschein nach war es dann Skorzeny, der den Plan an den Mossad verriet und damit vereitelte. Aber so viel Konspiration ist schon fast wieder zu literarisch.

© SZ vom 04.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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