Münchner Sicherheitskonferenz:Der Westen sucht die Nähe zum globalen Süden

Münchner Sicherheitskonferenz: Regelmäßig werden nun neue Hilfsprogramme publik. Etwa für Somalia. Dort ist die Hälfte der acht Millionen Einwohner nach einer langen Dürre auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Regelmäßig werden nun neue Hilfsprogramme publik. Etwa für Somalia. Dort ist die Hälfte der acht Millionen Einwohner nach einer langen Dürre auf humanitäre Hilfe angewiesen.

(Foto: Jerome Delay/AP)

Noch nie kamen so viele hohe Vertreter aus Entwicklungsländern zur Sicherheitskonferenz. Doch die umworbenen Regierungen haben handfeste Forderungen.

Von Thomas Hummel

Charles Michel spricht von Partnerschaft, Vertrauen, Fairness. Es gehe um mehr Solidarität und Kooperation. Der Präsident des Europäischen Rates sitzt am Freitagvormittag in einer der ersten Gesprächsrunden der Sicherheitskonferenz (Siko), sie hat das Thema "Den Kompass neu kalibrieren: Die Süd-Nord-Kooperation". Und Michel lässt kaum ein Schlagwort aus, um zu betonen, wie sehr es den Europäern jetzt am Herzen liegt, den ärmeren Ländern des globalen Südens die Hand zu reichen. Es ist eine zentrale Nachricht, die von den drei Tagen in München ausgehen soll.

Noch nie in der Geschichte der Siko waren die Entwicklungsländer so präsent und so zahlreich vertreten. Es wären sogar noch mehr hochrangige Vertreter gekommen, würde die Afrikanische Union an diesem Wochenende nicht ihre Vollversammlung in Äthiopien abhalten. Doch auch so ist auffällig, an welch prominenten Stellen Regierungsmitglieder aus ärmeren Ländern in München eine Bühne erhalten.

Es schadet nicht, in der Welt viele Freunde zu haben

Die neue Charmeoffensive des Westens in Afrika, Asien und Lateinamerika begann mit dem Krieg in der Ukraine. Europäern und Nordamerikanern wurde bewusst, wie viel Einfluss Russland und China dort in den vergangenen Jahren erlangt haben. Seither ist der Kampf um Einfluss neu entbrannt, denn es schadet nicht, in der Welt möglichst viele Freunde zu haben. Bundeskanzler Olaf Scholz lud zum Gipfel der sieben großen Industriestaaten (G7) im bayerischen Hotel Schloss Elmau die Regierungschefs aus Senegal, Südafrika, Indien, Indonesien und Argentinien als Abgesandte ihrer Kontinente ein.

Bei der Weltklimakonferenz in Ägypten kam die Diskussion über Kompensation für Verluste und Schäden durch Wetterextreme erstmals auf die Tagesordnung, was die USA und die Europäische Union zuvor strikt abgelehnt hatten. Und Charles Michel betont am Freitag im Hotel Bayerischer Hof, dass die EU das Ansinnen der Afrikanischen Union unterstütze, in die einflussreiche Gruppe der G20 aufgenommen zu werden. Drei von vielen Freundschaftsangeboten. Und nun München.

Die so bezirzten Länder genießen einerseits die neue Beachtung. Haben andererseits aber handfeste Forderungen. Und sind auch ein bisschen nachtragend. Michels Flirtversuche erwidert der ihm gegenübersitzende Nana Akufo-Addo, Präsident von Ghana: Er höre das Wort Solidarität. "Während der Corona-Pandemie haben wir diese Solidarität nicht gesehen, da wurden wir Afrikaner alleine gelassen." Dass sie kaum Zugang zu Impfstoffen erhielten, sei ein großes Problem gewesen. Jetzt brauche es vor allem den politischen Willen, die Kluft zwischen Arm und Reich zu überwinden, fordert Akufo-Addo.

Dabei ist die finanzielle Lage vieler Staaten des Südens nach Pandemie, Inflation und steigenden Preisen für Energie und Nahrungsmittel sowie einer Verschärfung der Klimakrise besorgniserregend. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schreibt in seinem Jahresbericht 2022: "Etwa 60 Prozent der einkommensschwachen Entwicklungsländer haben ein hohes Überschuldungsrisiko oder sind bereits überschuldet." Durch die wirtschaftlichen Erschütterungen infolge des Ukraine-Kriegs würden diese Probleme noch verschärft. Kristalina Georgieva, IWF-Direktorin, die neben Bill Gates die von seiner Stiftung veranstaltete Gesprächsrunde in München komplettiert, weist darauf hin, dass diese Wirtschaftsprobleme auch das Thema Sicherheit tangieren. "Eine ungerechte Welt ohne Fairness ist ein unsicherer Ort", erklärt Georgieva.

Die Länder des Südens wollen nicht nur Hilfszahlungen, sondern eine Reform der Weltbank

Trotz der angespannten Haushaltslagen in Europa und Nordamerika gibt es neue Hilfsprogramme. Etwa für die sogenannten Partnerschaften für eine gerechte Energiewende (JETP) mit Südafrika, Indonesien und Vietnam, die dort den Kohleausstieg vorantreiben sollen. Es fließen Milliarden, mit weiteren Ländern wie Indien oder Senegal laufen Gespräche. In der vergangenen Woche übernahmen Deutschland, Belgien, Italien und Schweden die Schulden Somalias beim Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (Ifad). Das ostafrikanische Land erlebt die fünfte Regenzeit ohne Regen, die Hälfte der acht Millionen Einwohner ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Durch die Zahlung der 9,5 Millionen Euro kann Somalia wieder von der Ifad unterstützt werden, die vor allem kleinbäuerliche, nachhaltige Landwirtschaft fördert.

Doch mit Hilfszahlungen alleine wollen sich die Länder des Südens nicht mehr zufriedengeben. Sie zielen ab auf das internationale Finanzsystem, deren Grundfeste nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Zu einem Zeitpunkt, als es viele heute unabhängige Länder etwa in Afrika noch gar nicht gab. Ghanas Präsident Akufo-Addo oder die Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, fordern eine umfassende Reform des IWF oder der Weltbank, damit die Entwicklungsländer leichter an zinsgünstige Darlehen kommen. Etwa wenn sie Maßnahmen zum Klimaschutz oder zur Klimaanpassung vornehmen, wenn sie fossile Brennstoffe im Boden lassen oder wenn sie ihre Regenwälder schützen. Die reicheren Staaten sollen dafür ihre Sonderziehungsrechte, eine Art Währungsreserve, als Bürgschaften bereitstellen. Mottley wird an diesem Wochenende ebenfalls in München erwartet.

Ihr Sonder­gesandter für Klima­finanzierung, Avinash Persaud, erklärte vorab: "Die Klimakrise und viele andere Krisen sind allesamt Fenster zum selben Problem - dem der Armut und Ungleichheit." Das Finanzproblem in vielen Ländern sei einer der Gründe, warum sich die Welt auf 1,5 Grad Celsius Erderwärmung zubewege.

Die größten Anteilseigner der Weltbank, die wirtschaftlich stärksten Staaten mit den USA an der Spitze, zeigen auch hier Kompromissbereitschaft. Auf Forderung von Deutschland, den USA und anderen westlichen Ländern legte die Weltbank einen Fahrplan vor, sich selbst zu reformieren. Vergangene Woche nun kündigte Präsident David Malpass seinen vorzeitigen Rücktritt im Juni an, er war noch von US-Präsident Donald Trump ernannt worden und hatte mit uneindeutigen Aussagen über den menschengemachten Klimawandel irritiert. Da traditionell die USA den Weltbank-Präsidenten nominieren, eröffnet Malpass' Rückzug der Regierung von Joe Biden die Möglichkeit, einen Mann oder eine Frau an die Spitze der größten Entwicklungsbank zu setzen, die das Institut glaubwürdig auf Klimaschutz trimmen könnte. Und der Forderung des Südens nachkommt, dass wesentlich mehr Geld fließt.

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