Sigmar Gabriels Moskau-Reise:Doppelter Dialog

Russian President Putin and German Vice Chancellor and Economy MinisterGabriel shake hands during their meeting at the Novo-Ogaryovo state residence outside Moscow

"Irgendwie ist es mein Schicksal, hierherzukommen in schwierigen Zeiten": Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu Gast bei Russlands Präsident Wladimir Putin.

(Foto: Ivan Sekretarev/Reuters)

Im Kreml redet Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel über Sanktionen und Menschenrechte - und steckt im Dilemma: Er möchte die SPD-Anhänger erfreuen und zugleich die Kritiker seiner Russland-Politik beruhigen.

Von Julian Hans, Moskau

Jetzt über Schritte zur Lockerung der Sanktionen zu reden, das sei doch spekulativ, sagt Sigmar Gabriel am zweiten Tag seiner Reise nach Moskau. Ein gutes Dutzend Unternehmer begleitet den deutschen Wirtschaftsminister. Die deutsch-russische Auslandshandelskammer hat eine Umfrage unter ihren Mitgliedern gemacht, die Mehrheit wäre die Sanktionen gerne los. Aber Gabriel hat keine Verträge im Gepäck, die man vor Kameras unterschreiben könnte. Sein Gepäck sind eher Probleme, schwere und ganz besonders schwere: die Ukraine, Syrien, der bombardierte Hilfskonvoi der Vereinten Nationen.

"Irgendwie ist es mein Schicksal, hier herzukommen in schwierigen Zeiten", hat Gabriel am Vorabend bei seinem Treffen mit Wladimir Putin gesagt. 1980 war er zum ersten Mal in Moskau, da war die Sowjetunion gerade in Afghanistan einmarschiert, der Westen boykottierte die Olympischen Spiele. Als er im März 2014 mit Putin in dessen Residenz Nowo Ogarjowo außerhalb von Moskau plauderte, besetzten gerade grüne Männchen ohne Erkennungszeichen die ukrainische Halbinsel Krim. Als er im Oktober vor einem Jahr wieder kam, hatte die russische Luftwaffe ihre Bombardements in Syrien gestartet und gleich einige Krankenhäuser getroffen. Und jetzt der Konvoi.

Vor einem Jahr war der Minister in Moskau noch offensiver aufgetreten

"Wir gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die syrische Armee daran beteiligt war", sagt Gabriel. Er habe Putin aufgefordert, bei der Aufklärung zu helfen. Schließlich unterstützt Russland das syrische Regime und kämpft an der Seite seiner Streitkräfte. Die USA machen die russische Luftwaffe für den Angriff auf die Lastwagen mit Hilfslieferungen der Vereinten Nationen verantwortlich, bei dem am Montag nach Angaben des Roten Halbmonds 21 Zivilisten getötet wurden. Gabriel dagegen wählt den Umweg über Assad, um Moskau in die Pflicht zu nehmen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte am Vortag im UN-Sicherheitsrat in New York erklärt: Wir waren es nicht. Und die syrische Luftwaffe sei gar nicht in der Lage, nachts zu fliegen.

Gabriel stellt sich hinter die Forderung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Flugverbotszonen in Syrien einzurichten. Wenn UN-Hilfskonvois angegriffen würden, sei diese Forderung richtig. Klar sei auch, dass dies nur von zwei Nationen durchgesetzt werden könne. "Und das sind die USA und Russland".

Vor einem Jahr war Gabriel in Moskau noch offensiver aufgetreten. Da hatte er gerade per Interview erklärt, dass er zu einer Kanzlerkandidatur bereit sei. Die Reise zu Putin wurde als Demonstration gedeutet, dass Gabriel sich auch die große internationale Politik zutraue. In Moskau schlug er vor, man könne doch über eine schrittweise Lockerung der Sanktionen gegen Russland sprechen. Es wirkte, als würde der Vizekanzler einen eigenen Weg in der Außenpolitik einschlagen - und dies sei der erste Versuchsballon. Wenig später schlossen sich Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier der Initiative an. Nun ist der Vizekanzler wieder auf Regierungslinie eingeschwenkt. Solange es keine Fortschritte bei der Umsetzung des Minsker Abkommens gebe, lohne es sich nicht, über mögliche Schritte bei der Aufhebung der Sanktionen zu diskutieren. Immerhin: Die Formulierung "Sanktionen aufheben" klingt in den Ohren der SPD-Anhänger schön nach Entspannungspolitik.

Gut, dass jetzt wenigstens das Entflechtungsabkommen unterzeichnet worden sei, das die von Russland unterstützten Donbass-Krieger und die ukrainische Armee auf Abstand bringen soll. Allerdings: So weit war Minsk vor einem Jahr auch schon. Noch kein einziger der 13 Punkte ist vollständig umgesetzt. Dafür müsse aber auch Kiew in die Verantwortung genommen werden, betont Gabriel.

Vor der Reise hatte es Kritik gegeben. Sie sei "angesichts der europäischen Sanktionen das völlig falsche Signal", hatte der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann der Zeitung Bild gesagt. Russland verweigert ihm nach kritischen Äußerungen die Einreise. Auch die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte den SPD-Vorsitzenden auf, keinen "Kuschelkurs" zu fahren.

Gabriels Antwort darauf ist die Taktik des doppelten Dialogs: Er habe in Moskau auch die unangenehmen Themen Syrien, die Ukraine und die Menschenrechte angesprochen und sich mit Oppositionspolitikern und Wahlbeobachtern getroffen. "Wir können nicht nur über Wirtschaft reden", betont er - aber es müsse eben doch auch über die Wirtschaft geredet werden. Nachdem der Handel zwischen Deutschland und Russland 2015 um ein Drittel zurückgegangen ist, war es im ersten Halbjahr dieses Jahres noch einmal ein Drittel weniger. Hauptursachen sind der niedrige Ölpreis und der schwache Rubel.

Den doppelten Dialog führt Gabriel übrigens auch mit der deutschen Öffentlichkeit. Dialog, Gespräch, Entspannung - das hören SPD-Anhänger gern, die der guten Zeit der Entspannungspolitik nachtrauern. Auch wenn Gabriel letztlich nichts anderes übrig bleibt, als das zu wiederholen, was alle anderen sagen: Das Abkommen von Minsk muss endlich umgesetzt werden. Und in Syrien braucht es ein Flugverbot.

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