Sigmar Gabriel in Moskau:Der Kurier beim Zaren

Gabriel in Moskau

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nach dem Gespräch mit dem russischen Präsidenten mit Beratern vor dem Tor von Putins Residenz in Moskau.

(Foto: dpa)

Es ist ein Zufall der Geschichte: Eigentlich wollte Sigmar Gabriel nur kurz nach Moskau, um ein paar Wirtschaftsthemen zu besprechen. Und jetzt? Traf er Präsident Putin - auf dem Höhepunkt der Krim-Krise.

Von Nico Fried, Moskau

In der Residenz ist alles vorbereitet. Im Empfangsraum im ersten Stock steht ein ovaler Tisch, auf dessen einer Längsseite ein Papierschild liegt. Darauf schmucklos: S. Gabriel. Der Mann, der dem deutschen Vizekanzler gleich gegenüber sitzen soll, braucht kein Namensschild. Er ist hier der Gastgeber, sein Stuhl ist der einzige mit Armlehnen. Er ist der Mann, von dem man ohne Übertreibung sagen kann, dass er die internationale Politik seit einigen Tagen in Atem hält: Wladimir Putin. Doch der russische Präsident lässt auf sich warten.

Sigmar Gabriel ist der erste westliche Politiker, der Putin seit Beginn der Krim-Krise treffen wird. Ein Zufall der Geschichte. Erst vor zweieinhalb Monaten ist der SPD-Vorsitzende aus der Opposition ins Bundeskabinett gewechselt. Und an diesem Donnerstag hat er morgens um kurz nach drei Uhr Frau und Kind in Goslar zurückgelassen, ist mit dem Auto nach Berlin gefahren und dann mit der Regierungsmaschine nach Moskau geflogen. Sigmar Gabriel auf dem Weg in die Weltpolitik.

Auch in Leningrad waren die Zeiten schwierig

Gabriels diplomatische Erfahrungen mit Russland sind sehr begrenzt. Für die Falken, eine sozialistische Jugendorganisation, führte er Anfang der Achtzigerjahre eine Besuchergruppe nach Leningrad. Das waren auch keine einfachen Zeiten. Russland war in Afghanistan einmarschiert und der Westen hatte die Olympischen Spiele in Moskau boykottiert. Doch damals diskutierte Gabriel weniger mit den Russen als mit den mitgereisten Studenten vom christdemokratischen RCDS.

Um 13.30 Uhr kommt Putin. Er gibt Gabriel die Hand und sagt: "Guten Tag, freut mich . . . " Mit im Raum sind nur noch zwei Dolmetscher und Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow. Doch der Präsident spricht über weite Strecken Deutsch. Und von dem, was Gabriel sagt, lässt er sich nichts übersetzen. Die Dolmetscher werden kaum gebraucht. Und der außenpolitische Berater offenbar auch nicht: Er versteht kein Deutsch.

Gabriel und Putin sind sich das erste Mal 2004 auf dem 60. Geburtstag von Gerhard Schröder begegnet. Gabriel war ein Jahr zuvor als Ministerpräsident in Niedersachsen abgewählt worden. Ein Mann mit ungewisser Zukunft. Putin rückte damals mit einem ganzen Kosakenchor an, der zu Ehren seines Freundes Gerhard das Niedersachsenlied schmetterte. 2007 erlebte der damalige Bundesumweltminister Gabriel den Präsidenten dann bei den Regierungskonsultationen in Wiesbaden. Beide Begegnungen waren eher flüchtig. Vor seiner Reise nach Moskau hat sich Gabriel jetzt auch mit Schröder unterhalten.

Unverkrampfte Atmosphäre

In Moskau reden der russische Präsident und der deutsche Vizekanzler genau eine Stunde lang. Die Atmosphäre, so heißt es später, bleibt das ganze Gespräch über unverkrampft. Putin redet mehr als sein Gast, aber das tut er immer. Gabriel, der außenpolitische Novize, vermeidet die Diskussion über Details. Da gibt's für ihn eh nichts zu holen.

Wie später zu hören ist, kritisiert Putin, dass die Europäische Union das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ohne Rücksicht auf russische Interessen verhandelt habe. Er verteidigt das russische Verhalten auf der Krim. Aber er erweckt zumindest nicht den Eindruck, dass ihm an einer weiteren Eskalation des Konfliktes gelegen sei. Schon gar nicht mit der Europäischen Union, deren Staats- und Regierungschefs zur selben Zeit in Brüssel zusammensitzen. Was diese Aussage wert ist, lässt sich schwer einschätzen. Denn die Eskalation besorgen zur gleichen Zeit andere, zum Beispiel das Parlament der Krim, das am Donnerstag den Anschluss an Russland vorbereitet.

Die Reise Gabriels war schon seit einigen Wochen geplant. Am Rande eines Wirtschaftsforums der russischen Handelskammer in Berlin entstand Anfang des Jahres die Idee für einen schnellen Antrittsbesuch in Moskau. Kleine Delegation, konkrete Gespräche, Energie, Wirtschaft, das eine oder andere Problem deutscher Unternehmen in Russland. Während der Vorbereitungen kam dann von russischer Seite das Angebot an den Vizekanzler, auch Putin zu treffen. Gabriel sagte natürlich zu.

Gabriel dachte daran, die Reise abzusagen

Angesichts der jüngsten Ereignisse hat er erwogen, die Reise abzusagen. Noch am Mittwochabend sprach er mit Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Es ging letztlich um die Entscheidung, welches Signal weniger Probleme schaffen würde: der Besuch bei dem Mann, dem die Bundesregierung den Bruch des Völkerrechts vorwirft. Oder eine Absage. Man entschied sich für den Besuch. Es sei wichtig, jetzt alle Gesprächskanäle offen zu halten. Das war Konsens zwischen Merkel, Steinmeier und Gabriel.

Die enge Abstimmung und die Einigkeit sind dem Vizekanzler wichtig. Er will nicht in den Verdacht eines Alleingangs geraten. Er versteht sich, um Himmels willen, auch nicht als Vermittler. Das wichtigste Ziel des Besuchs ist für ihn der Besuch selbst. Schon vor dem Gespräch zerstreut er jedwede Erwartung an irgendwelche Ergebnisse. Er ist nur gekommen, um Merkels Botschaft zu bekräftigen. Er ist, wenn man so will, der Kurier beim Zaren.

Nicht Ja, aber auch nicht Nein

"Wir brauchen die Kontaktgruppe", hat Gabriel schon im Flugzeug gesagt. "Wir müssen den Konflikt beherrschbar halten und eine weitere Eskalation verhindern." So lautet auch seine Botschaft im Gespräch mit Putin. Er erzählt dem russischen Präsidenten, dass in diesem Jahr viele Bücher über den Ersten Weltkrieg erschienen sind. Darin könne man lesen, dass in den letzten Wochen vor Kriegsausbruch zu wenig geredet worden sei. Auch wenn er die Situation nicht vergleichen wolle, so sei der Bundesregierung doch sehr daran gelegen, dass miteinander gesprochen werde. Deshalb der Vorschlag für eine Kontaktgruppe.

Die Kanzlerin hatte nach ihrem Telefonat mit Putin am vergangenen Sonntag eine Pressemitteilung verschicken lassen, wonach Putin die Einrichtung einer Kontaktgruppe akzeptiere. Doch die Verhandlungen gestalten sich mühsam. Die Russen wollen nicht mit Vertretern der neuen Regierung der Ukraine an einem Tisch sitzen. Auch im Gespräch mit Gabriel sagt Putin nicht Ja, aber auch nicht Nein. Er will darüber erst noch mit Sergej Lawrow sprechen, seinem Außenminister.

Um 14.30 Uhr verlässt Gabriel die Residenz. Er informiert Steinmeier und Merkel über das Gespräch. Am Freitag fliegt er weiter nach Kiew. Auch da war er schon mal wegen einer schwer zu kalkulierenden Bedrohung: Weil die erste Schutzhülle über dem Unglücksreaktor von Tschernobyl undicht war, bot der Umweltminister Gabriel seinerzeit die Unterstützung Deutschlands beim Bau einer neuen Hülle an.

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