SPD:Sigmar Gabriel: Ich, mein größter Fan

Sigmar Gabriel

SPD-Chef Sigmar Gabriel kann sich immer noch an sich selbst berauschen.

(Foto: dpa)

Mal mault er, mal ist er nachdenklich und manchmal auch ratlos. Trotz der schlechten Lage der SPD kann sich ihr Vorsitzender immer wieder an sich selbst berauschen.

Von Nico Fried

Der Genosse hat seinem Parteivorsitzenden etwas mitgebracht: Er solle ihm Grüße von der Hannelore überbringen, sagt der ältere Herr bei einer Wahlkampfveranstaltung in Magdeburg. Sigmar Gabriel braucht einen Moment, bis er versteht, dass Hannelore Kohl gemeint ist, Richterin im Ruhestand und Vorsitzende der Bundesschiedskommission der SPD. Ihr wird gelegentlich erhöhte Aufmerksamkeit zuteil, wenn es um Parteiausschlussverfahren geht. "Danke", antwortet Gabriel prompt dem Genossen, "will sie mich rausschmeißen?" Gelächter im Saal. "Na ja", feixt der SPD-Chef, "man weiß ja nie."

Ein typischer Gabriel. Er mag es, sein Verhältnis zur Partei ein wenig distanziert zu kommentieren, irgendwo zwischen Selbstironie und Sarkasmus. Tatsächlich handelt es sich um eine spannungsreiche Beziehung. "Man weiß ja nie", sagen auch viele Sozialdemokraten immer mal wieder über ihren Vorsitzenden, weil er sie gerne mit unabgestimmten Vorschlägen überrascht. Ganz meinerseits, kann Gabriel seit dem letzten Parteitag antworten, wo er bei der Wiederwahl mit 74 Prozent ein unerwartet schlechtes Ergebnis bekam.

Gabriel lässt sich nichts anmerken, allenfalls erhöhte Rauflust

Nun stehen drei Landtagswahlen an. Die Umfragen prognostizieren der SPD in Baden-Württemberg ein sehr bescheidenes Abschneiden, in Sachsen-Anhalt könnte sie sogar auf Platz vier fallen, noch hinter die AfD. Lediglich in Rheinland-Pfalz besteht für die Sozialdemokraten ein Rest Hoffnung, dass Ministerpräsidentin Malu Dreyer ihr Amt gegen Julia Klöckner von der CDU verteidigt. Und wenn nicht? Dass Gabriel gestürzt wird, gilt als unwahrscheinlich, weil niemand seinen Job will. Aber was ist, wenn er die Lust verliert? Man weiß ja nie.

74 Prozent, das war bitter. Doch nach der Weihnachtspause hat Gabriel sich erst einmal nichts anmerken lassen. Allenfalls erhöhte Rauflust: Der Vizekanzler schrieb höchstpersönlich eine ausführliche Reaktion zu einem kritischen Artikel auf Spiegel Online. Nach dem Streit um TV-Debatten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ätzte Gabriel wiederholt gegen den Intendanten des Südwestrundfunks, zuletzt während einer Pressekonferenz in Mainz, wo er ihm mangelnde Courage im Umgang mit der AfD vorhielt. Und in der vorletzten Sitzung der Bundestagsfraktion ergriff Gabriel im Streit um das Asylpaket II gleich dreimal das Wort, unter anderem um sich gegen anonyme Kritiker in den eigenen Reihen zu wehren.

Diese gesteigerte Neigung zum Streit ist nicht immer leicht zu deuten. Manchmal ist es Frust, dann drückt Gabriel mit seiner Maulerei nur aus, wie ihn der ganze politische Betrieb nervt, die eigene Partei, nicht zuletzt die Journalisten. Manchmal aber ist es schiere Lust am politischen Kampf. Gabriel ist gut in Debatten. Er provoziert gerne, auch um sich angreifbar zu machen. Das hilft ihm, in Fahrt zu kommen. Und er hat gute Erinnerungen an Krawall: Gabriel ist überzeugt davon, dass sein legendärer Disput mit ZDF-Moderatorin Marietta Slomka über den Mitgliederentscheid in der SPD 2013 manchen Genossen stolz gemacht und so den Weg in die große Koalition erleichtert hat.

Das Trauma der SPD ist, in der Koalition unter Wert gehandelt zu werden

In Magdeburg aber ist zunächst noch ein zweiter Gabriel zu erleben. Ziemlich nachdenklich, fast verblüffend zurückhaltend. Ein Zuhörer beklagt die jüngste Blockade bei der Gesetzgebung zu Leiharbeitern und Werkverträgen. Gabriel könnte nun auf Kosten von CDU und CSU ein paar billige Punkte machen. Er aber sagt: Der Logik nach müsste jemand, der sich darüber ärgert, dann SPD wählen. Statt dessen werde jedoch AfD gewählt. Die Leute nähmen mittlerweile "die ganze Politik in Haftung".

Das existenzielle Trauma der SPD in der Regierungszeit von Angela Merkel ist der Eindruck: Wir werden unter Wert gehandelt. Das war schon zu Zeiten der ersten großen Koalition unter Merkel so. Minister wie Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück empfanden ihren Anteil an der Lösung der Finanzkrise nicht angemessen gewürdigt. Lange wurde lamentiert, wie ungerecht es sei, dass die Kanzlerin Erfolg habe und die SPD nur grausame Wahlergebnisse. Schlimmer konnte es wohl nicht kommen. Oh doch.

Obwohl die Union an Zustimmung verliert, profitiert die SPD nicht, nur die AfD

Gabriels traumatische Erfahrung könnte noch heftiger werden und sie nimmt ihren Ausgang an einem Spätsommertag 2015 im sächsischen Heidenau. Der Vizekanzler hatte gerade das Erstaufnahmelager besucht, vor dem Bürger gegen Flüchtlinge gepöbelt hatten. Gabriel verurteilte "das Pack", sprach aber auch von einer "doppelten Integrationsaufgabe". Einerseits müssten die Flüchtlinge integriert werden, andererseits dürften sich vor allem sozial schwächere Deutsche nicht zurückgesetzt fühlen. So ähnlich hatte er schon monatelang argumentiert, als die Flüchtlingszahlen noch bedeutend kleiner waren. Wenn wegen der Kosten für die Integration von Flüchtlingen Kindergärten nicht gebaut oder Schwimmbäder geschlossen würden, schaffe das politische Unzufriedenheit.

Gabriel kann also heute mit einigem Recht behaupten, frühzeitig auf mögliche Probleme hingewiesen zu haben. Aber es nützt ihm nichts. Und seiner Partei auch nicht. Schlimmer noch: Obwohl Merkel und die Union erstmals seit Jahren in den Umfragen nur Richtung Süden driften, profitiert die SPD nicht davon. Nur die AfD.

Aus aus dem Dauerstreit zwischen CDU und CSU zieht die SPD keinen Nutzen

Natürlich liegt das auch daran, dass Gabriel Merkels Flüchtlingspolitik im Grundsatz eisern stützt. Die Unterschiede liegen im Detail, das ist zu wenig, um sich erkennbar abzugrenzen. Am Donnerstagabend, nach der Rückkehr aus Magdeburg, sitzt der SPD-Chef in der ZDF-Talkshow bei Maybrit Illner und nimmt immer wieder die CDU-Kanzlerin Merkel gegen die wütenden Angriffe des CSU-Politikers Edmund Stoiber in Schutz. Verkehrte Welt.

Gabriel ist sauer, dass sich die Öffentlichkeit fast schon gewöhnt hat an den Dauerkonflikt zwischen CDU und CSU, wenn auch kopfschüttelnd. Die SPD jedenfalls zieht auch daraus keinen Nutzen. Im Gegenteil, es wird immer deutlicher, wie sehr auch die Sozialdemokraten im politischen Spagat stehen. Die Spanne reicht von uneingeschränkter Solidarität mit Merkels Flüchtlingspolitik bis zu offener Kritik. Und der Dissens nimmt eher noch zu: Zuletzt votierte am Donnerstag im Bundestag ein gutes Viertel der SPD-Fraktion nicht für das mühsam mit der Union vereinbarte Asylpaket II. Der Parteivorsitzende ist bemüht, aus der Not eine Tugend zu machen und zitiert nun gerne einen alten Satz von Willy Brandt, mit dem dieser, so Gabriel, für Ausgleich und Balance, Maß und Mitte geworben habe: "Wir sind die Partei des donnernden Sowohl-als-auch."

Gabriel mahnt, nicht nur über die Flüchtlinge zu reden

Die nächste Wortmeldung in Magdeburg: Jemand will wissen, ob die Bekämpfung des Pflegenotstandes nun in den Hintergrund trete. Gabriel sagt, er sei froh, dass diese Frage gestellt werde. "Das ist ein Beispiel dafür, was den Leuten wirklich Sorgen macht." Immer wieder höre er nun: "Für die Flüchtlinge macht ihr alles, für uns nix." Die Leute sähen, "dass wir einen Haufen Geld hatten, Banken zu retten, und dann noch Geld, um Griechenland Kredite zu geben". Und jetzt die Flüchtlingspolitik.

An dieser Stelle wird aus dem nachdenklichen Gabriel nun wieder der streitbare. "Nichts von dem, was wir in der Koalition vereinbart haben, darf jetzt liegen bleiben", fordert er, und nennt die Pflege, die Solidarrente, mit der niedrige Altersbezüge angehoben werden sollen, und die Besserstellung von Leiharbeitern als Beispiele. Und schon hat Gabriel auch einen neuen Gegner identifiziert: Finanzminister Wolfgang Schäuble und die schwarze Null.

Einem Menschen, der sich frage, wie er die Pflege der Eltern bezahlen solle, dürfe man nicht sagen: "Tut uns leid, der ausgeglichene Haushalt ist uns wichtiger als Deine Mutter." So schiebe man nur "Sprengsätze in die Gesellschaft". Drei Stunden und eine Rückfahrt nach Berlin später ist daraus eine Forderung geworden, ein Begriff, ein Schlagwort: Deutschland, so Gabriel im ZDF, brauche "ein neues Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung".

Es ist wieder ein typischer Gabriel. Einstweilen ist der SPD-Chef also ganz der alte. Er kann sich noch begeistern, als erstes an sich selbst. Und auf die Frage, ob er nach den Landtagswahlen noch SPD-Chef sei, antwortet er lapidar: "Ganz sicher."

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