Sigmar Gabriel:Der Außenminister a.D. warnt im Hörsaal vor deutschem Hochmut

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Der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel bei seinem Auftritt als Gastdozent an der Uni Bonn. (Foto: dpa)

Sigmar Gabriel hält seine erste Vorlesung an der Universität Bonn. Er kritisiert die Härte der Berliner Republik und plädiert für den Verzicht auf Moralin.

Von Christian Wernicke, Bonn

Sigmar Gabriel lächelt, als er den ersten Schritt in sein neues Leben hinter sich hat: Der "Bundesminister des Auswärtigen a.D." ist nun Gastprofessor, soeben hat er im holzvertäfelten Hörsaal 1 der Bonner Universität seine Antrittsvorlesung hinter sich gebracht. Die Studenten sind freundlich, sie zollen dem von seinen Genossen geschassten Außenminister mehr Beifall als mancher SPD-Parteitag. Trotz einer kleinen Panne, wie sie leicht passieren kann bei einem Debüt: "Deutschland in einer unbequem(er)en Welt" hatte der Projektor als Titel an die Wand geworfen. Dabei war doch "Europa" Gabriels Thema. "Aber das passiert uns Deutschen manchmal", amüsierte sich der Gastdozent, "dass wir das miteinander verwechseln."

Womit der Ex-Politiker gleich beim ersten von sehr vielen Themen ist, die er an diesem Tag streifen wird. Dass seine Landsleute sich neuerdings zu sehr als Herren des Kontinents aufspielen, nervt Gabriel. Es ist mehr als eine nette Referenz an seine Gastgeber, dass er eine Rückkehr zum "Blick der Bonner Republik" fordert: Vor der Wiedervereinigung, so Gabriel, hätten die Deutschen es besser verstanden, "mit unsichtbarer Bonner Hand" zu lenken, um gerade auch den kleineren EU-Partnerländern "auf Augenhöhe" zu begegnen. Die Berliner Republik sei "schneller, härter, auch vielfältiger" - und rede zu oft "mit dem Berliner Mund". Er meint, ohne es so zu sagen, die ruppige Berliner Schnauze.

Gabriel hebt gerade an zu einer Warnung vor moralischem Hochmut, fordert mehr Respekt für andere. Da tut sich oben auf der Empore etwas, womit der Ex-Minister selbstverständlich gerechnet hat beim Antritt in seinem allerersten Semester als Deuter globaler Zeitläufte: Einige Studenten rollen ein Pro-Israel-Plakat aus, andere werfen Flugblätter gegen den "Waffen-Sigi" und deutsche Rüstungsexporte in den Saal. Der Profi reagiert gelassen. "In einer Uni müssen Sie erst mal zuhören", mahnt er die Störer, "Ich hoffe, Sie kommen in mein Seminar." Als eine junge Frau protestiert, sie sei nicht zugelassen worden, sprengt Gabriel gleich die Universitätsordnung. Er wischt die per Zufallsgenerator entstandene Liste mit 40 Teilnehmern beiseite und bittet zur Debatte: "Ich lade Sie persönlich ein", ruft er, "aber wehe, Sie kommen nicht!"

Komplette Lösungen bietet Gabriel an seinem ersten Unitag nicht an

Weiter im Text. 47 Seiten lang ist Gabriels Vortrag, und das Scharmützel mit den Zwischenrufern hat Zeit gekostet. Also hetzt er durch sein Manuskript. Noch schwankt er zwischen den Rollen. Einerseits klingt er wie früher, wie der Minister, der die Lage in Syrien abwägt, die Kanzlerin lobt und bemängelt, der Westen lasse im Mittleren Osten seit Jahren jede Strategie vermissen. Die Diagnose stimmt, eine Therapie weiß auch er nicht. Dann wieder spricht bereits der Professor. Im akademischen Jargon beklagt Gabriel auf Englisch den Untergang der globalen "liberal order" und Europas mangelnde "Machtprojektion". Und manchmal steht der medial geschulte Berufspolitiker am Holzpult, der seine griffige Formel wiederholt, "in einer Welt von Fleischfressern" habe es Europa eben "als Vegetarier relativ schwer." Ganze Passagen seiner Vorlesung sind entliehen aus seiner letzten großen Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar - die damals als Bewerbung für den Verbleib im Außenministerium gedeutet wurde. Das Amt ging verloren, aber die Analyse hilft nun als Brücke ins neue Dasein.

Komplette Lösungen bietet Gabriel an seinem ersten Unitag nicht an. Sein roter Faden ist das Plädoyer für weniger Moralin und mehr Realpolitik. "Jedes Machtvakuum füllt sich", doziert er. Oder: "Die Weltpolitik wird nicht vor dem Amtsgericht verhandelt." Gabriel, der Realist, weiß, dass er damit nicht alle Studierenden begeistert. Vor fast 37 Jahren, so erinnert er, habe er nebenan im Bonner Hofgarten gegen die Nachrüstung protestiert. Und heute? "Würde ich gegen mich selbst demonstrieren" lacht er. Und schiebt noch ein Versprechen hinterher: "Das vertiefen wir dann noch im Seminar."

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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