Siedlungspläne in Ost-Jerusalem:Israel brüskiert selbst seine engsten Verbündeten

"Zutiefst enttäuscht": Mit dem Entschluss, 1100 neue Wohnungen in Ost-Jerusalem zu bauen, brüskiert Israel die Palästinenser - und den Westen. Netanjahu gefährdet die Neuaufnahme der Friedensverhandlungen. Diplomaten von UN und EU fordern Israel zur Umkehr auf und sogar die USA, Israels wichtigster Fürsprecher, kritisiert die Pläne überaus deutlich. Für den palästinensischen Chefunterhändler ist die Entscheidung eine Ohrfeige und "1100 Neins" auf den Vorschlag des Nahost-Quartetts.

Mit deutlicher Kritik hat die internationale Gemeinschaft auf den Beschluss Israels zum Bau hunderter Wohnungen in Ost-Jerusalem reagiert. Das Weiße Haus ist nach den Worten von Sprecher Jay Carney "zutiefst enttäuscht" über die Baupläne. Israel will in einer jüdischen Siedlung im arabischen Ost-Teil Jerusalems 1100 neue Wohnungen bauen.

A construction site in Gilo

Ein orthodoxer Jude passiert eine Baustelle im jüdischen Stadtteil Gilo in Ost-Jerusalem. Bereits in 60 Tagen sollen hier die Bauarbeiten für 1100 neue Wohnungen beginnen.

(Foto: dpa)

"Wir haben stets die Auffassung vertreten, dass jede Seite im Disput zwischen den Palästinensern und Israelis Schritte unternehmen sollte, die sie direkten Verhandlungen über die Fragen näherbringen, die einem palästinensischen Staat und einem sicheren jüdischen Staat Israel im Wege stehen", sagte Carney am Dienstag. "Wenn eine Partei einseitige Maßnahmen ergreift, dann lässt sich das schwerer erreichen."

Scharfe Kritik kam auch von US-Außenministerin Hillary Clinton: Der Schritt sei kontraproduktiv bei den Bemühungen um eine Wiederaufnahme der direkten Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern. Beide Seiten seien wiederholt aufgefordert worden, alles zu vermeiden, was von der Gegenpartei als Provokation aufgefasst werden könnte. "Wir waren an dieser Stelle schon öfter in den vergangenen Jahren", sagte sie.

EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton äußerte tiefes Bedauern und forderte Israel auf, den Plan zu überdenken. Die Siedlungspolitik gefährde eine Zwei-Staaten-Lösung für Israel und die Palästinenser. "Dies (Projekt) sendet das falsche Signal zur falschen Zeit", heißt es in einer Erklärung des Sprechers von UN-Sonderkoordinator Robert Serry.

Besorgt reagierte auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle. "Die heutigen Ankündigungen stehen nicht im Einklang mit dem Geist der Erklärung des Nahost-Quartetts. Gerade in der gegenwärtigen Situation sollte nichts getan werden, was die Wiederaufnahme von Verhandlungen behindern könnte", sagte Westerwelle nach Angaben eines Sprechers. Auch Russland äußerte Sorge angesichts der Pläne.

Netanjahu schließt Siedlungsstopp aus

Israel hatte am Dienstag den Bau von 1100 Wohnungen in Ost-Jerusalem genehmigt. Sie sollten gemäß einer Entscheidung der Planungsbehörde in Jerusalems Stadtteil Gilo errichtet werden, teilte das Innenministerium mit. Nach einer 60-tägigen Frist für öffentliche Stellungnahmen könnten die Bauarbeiten beginnen. In einem Interview mit der israelischen Zeitung Jerusalem Post schloss der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein weiteres Einfrieren des Siedlungsbaus aus.

Israel hatte das Gebiet im Sechstagekrieg 1967 erobert und später annektiert. Der Bau jüdischer Siedlungen in den von Israel besetzten Gebieten ist eines der größten Hindernisse für Friedensverhandlungen.

Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat sprach von einer "Ohrfeige für die internationalen Friedensbemühungen". "Israel hat auf den Vorschlag des Nahost-Quartetts mit 1100 Neins reagiert", hieß es in der schriftlichen Stellungnahme Erekats. Netanjahu habe alle bloßgestellt, die in Israel einen Friedenspartner gesehen hätten.

Friedens-Fahrplan in Gefahr

Das Nahost-Quartett aus USA, Russland, Vereinten Nationen und Europäischer Union bemüht sich zurzeit intensiv, Israelis und Palästinenser wieder an den Verhandlungstisch zu bekommen. Der Fahrplan sieht vor, dass Israel und die Palästinenser binnen eines Monats direkte Gespräche aufnehmen. Nach drei Monaten sollen beide Seiten Vorschläge für den Verlauf der Grenzen und Sicherheitsgarantien vorlegen. Und bis 2012 soll eine endgültige Übereinkunft erzielt worden sein.

Allerdings macht Palästinenserpräsident Mahmud Abbas einen Stopp des Siedlungsbaus im Westjordanland und in Ost-Jerusalem zur Vorbedingung. Die Palästinenser wollen in Ost-Jerusalem die Hauptstadt eines unabhängigen Staates ausrufen. Israel aber beansprucht Jerusalem als seine "ewige und unteilbare" Hauptstadt.

Israels stellvertretender Regierungschef Silvan Schalom erklärte sich grundsätzlich bereit zu neuen Friedensgesprächen mit den Palästinensern. Er äußerte aber Vorbehalte zu dem vorgelegten Zeitplan. So sei die vorgesehene Einigung auf einen Friedensvertrag innerhalb eines Jahres ebenso "problematisch" wie die Vorgabe, binnen drei Monaten eine Abmachung über Grenz- und Sicherheitsfragen zu treffen, "ohne zu wissen, was aus anderen Themen wie zum Beispiel Jerusalem wird".

Hunderte Palästinenser vertrieben

Unterdessen warfen UN-Experten Israel vor, seit Jahresbeginn verstärkt palästinensische Häuser im Westjordanland und in Ost-Jerusalem abzureißen. Dies sei eine "nicht hinnehmbare Menschenrechtsverletzung", sagten sie vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Seit Januar seien im Westjordanland und in Ost-Jerusalem mindestens 387 Gebäude - darunter 140 Wohnhäuser - abgerissen worden. Dies habe zur Vertreibung von 755 Palästinensern geführt. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres seien mehr Menschen vertrieben worden, als im ganzen Jahr 2010, erklärten die Experten.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte am Vortag erneut daran erinnert, dass die Vertreibung von Palästinensern durch Israel gemäß Artikel 49 der vierten Genfer Konvention völkerrechtswidrig ist. Auch die Annexion von Ost-Jerusalem und die israelischen Siedlungen dort seien völkerrechtswidrig und würden von den Vereinten Nationen nicht anerkannt.

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