Siedlungsbau:Was man über die israelischen Siedlungen wissen sollte

Siedlungsbau: Blick von der palästinensischen Seite auf die israelische Siedlung Maale Adumim.

Blick von der palästinensischen Seite auf die israelische Siedlung Maale Adumim.

(Foto: Oded Balilty/AP)

Am Mittwoch trifft Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf Donald Trump. Im Zentrum des Treffens dürfte auch die Frage nach den israelischen Siedlungen stehen.

Von Benjamin Moscovici

Was ist eine "Siedlung"?

Gemeint sind israelische Städte und Dörfer, die außerhalb der sogenannten Grünen Linie liegen, also der Waffenstillstandslinie von 1949. Die ersten Siedlungen im palästinensischen Westjordanland entstanden direkt nach dem Sechstagekrieg 1967. Die Vereinten Nationen betrachten diese Siedlungen als illegal. Dennoch hält Israel am Siedlungsbau fest. Die Begründung der Israelis: Zum Zeitpunkt des Siedlungsbaus hätten die Grundstücke niemandem gehört. Das ist zwar in vielen Fällen richtig, erklärt sich aber aus dem Umstand, dass viele Palästinenser sich mit ihren Besitzansprüchen auf das Gewohnheitsrecht stützten statt auf ein Grundbuchamt und Dorfgemeinschaften gemeinschaftlich genutztes Land häufig nirgendwo hatten eintragen lassen.

Einige der israelischen Siedlungen bestehen nur aus einigen hundert Familien, andere sind längst zu Städten mit Universitäten und Krankenhäusern angewachsen. Die größte Siedlung ist Modiʿin Illit mit knapp 65 000 Einwohnern. Für israelische Verhältnisse ist das schon eine größere Stadt. Selbst die Mittelmeermetropole Tel Aviv hat gerade einmal gut 400 000 Einwohner.

Neben den offiziellen Siedlungen gibt es allerdings auch solche, die selbst nach israelischem Recht illegal sind. Diese "Outposts" bestehen häufig nur aus wenigen Familien und wurden meistens auf eingetragenen palästinensischen Privatgrundstücken gebaut. Obwohl der Staat diese Siedlungen offiziell als illegal einstuft, werden selbst diese Siedler von der israelischen Armee geschützt.

Insgesamt gibt es derzeit rund 130 israelische Siedlungen mit mehr als 400 000 Einwohnern im Westjordanland. Weitere 200 000 Israelis leben in Siedlungen im annektierten Ostjerusalem. Hinzu kommen einige Tausend Siedler in den Outposts.

Siedlungsbau: SZ-Karte; Quelle: Peace now

SZ-Karte; Quelle: Peace now

Wer sind die Siedler?

Viele stellen sich unter Siedlern schwer bewaffnete Fanatiker vor, die die Olivenbäume der Palästinenser ausreißen, ihre Moscheen zerstören und von einem israelischen Großreich träumen. Auch wenn es solche Siedler gibt - die Realität ist komplizierter: Die israelische Beobachtungsstelle "Peace Now" geht davon aus, dass nur etwa ein Drittel der Siedler aus einer ideologischen Motivation ins Westjordanland zieht. Die Mehrheit komme, um in den Genuss staatlicher Subventionsprogramme zu gelangen. Ein Drittel der Siedler sei sogar säkular eingestellt.

Wer die Siedler verstehen will, muss einen Blick auf die extrem komplexe israelische Gesellschaft zu werfen: Es gibt unter den Israelis einige größere Bevölkerungsgruppen aus Deutschland, Frankreich und Österreich, andere aus Polen, der Ukraine oder Weißrussland. Wieder andere kommen aus dem Irak, Jemen oder aus Äthiopien. Und mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind etwa eine Million russische Juden nach Israel gezogen. Ähnlich breit gefächert sind die religiösen Überzeugungen der Israelis.

Die einfache Unterscheidung zwischen Säkularen, Liberalen, Orthodoxen und Ultra-Orthodoxen greift zu kurz, da es dutzende Abstufungen und opponierende Strömungen gibt. Eine wichtige Wasserscheide innerhalb der verschiedenen Gruppen ist das Verhältnis zum Staat Israel.

So spaltet sich zum Beispiel die Gruppe der Ultra-Orthodoxen in eine Fraktion, die glaubt, dass die Staatsgründung Israels Gotteslästerung gewesen sei, weil nur Gott die Juden aus der Diaspora befreien könne, indem er den Messias auf die Erde schickt. Diese Gruppe der Ultra-Orthodoxen lehnt den Staat Israel ab und ist deshalb sogar vom Militärdienst befreit. Die andere Fraktion hat zwar eine genauso strenge Auslegung der Heiligen Schriften, geht aber davon aus, dass man die Ankunft des Messias beschleunigen könne, indem man den Staat Israel aufbaut und damit die Voraussetzung für das Reich Gottes schafft.

Die letztgenannte Fraktion der Ultra-Orthodoxen, die religiösen Zionisten, stellen etwa zehn Prozent der israelischen Bevölkerung und den größten Teil der ideologisch motivierten Siedler. Allerdings leben nicht alle zionistischen Ultra-Orthodoxen tatsächlich in Siedlungen. Umgekehrt leben aber viele der etwa 100 000 antizionistischen Ultra-Orthodoxen aus der erstgenannten Fraktion in Siedlungen. Der Grund: Die meisten von ihnen widmen ihr ganzes Leben dem Studium der Thora und sind finanziell auf die Unterstützung des Staates angewiesen. Und nirgendwo bietet der Staat seinen Bürgern mehr Unterstützung an als in den Siedlungen.

Welche Motivation steckt hinter der Siedlerbewegung?

Schon seit der Gründung des Staates Israel begründen Zionisten ihre Gebietsansprüche über eine religiöse Argumentation. In der Schöpfungsgeschichte wird beschrieben, wie Jakob, der Enkel Abrahams, in der Gegend nördlich von Jerusalem unterwegs ist. Nachts im Traum erscheint ihm Gott und sagt: "Das Land, auf dem du ruhst, will ich dir und deinen Nachfahren geben."

Die Römer kamen diesem Versprechen in die Quere, zerstörten den Tempel der Juden in Jerusalem und vertrieben sie aus dem "Gelobten Land". Seitdem ist Jerusalem das Sehnsuchtsziel von Juden auf der ganzen Welt. Jedes Jahr an Pessach wünschen sie sich ein Wiedersehen "nächstes Jahr in Jerusalem". Seit 2000 Jahren. Soweit die religiöse Argumentation.

Aber es gibt auch politisch und strategisch motivierte Unterstützer der Siedlerbewegung, insbesondere in der Politik. Deren Argument: Das aktuelle Staatsgebiet sei so schmal - an der schmalsten Stelle gerade einmal 15 Kilometer - dass es kaum zu verteidigen sei. Ein Kampfflugzeug kann innerhalb von wenigen Sekunden von Jordanien kommend in den israelischen Luftraum eindringen und Jerusalem erreichen. Bis zur Grenze sind es gerade einmal dreißig Kilometer. Vor diesem Hintergrund dürfe Israel keine Gebietszugeständnisse an Palästina machen.

Was sind die Vorteile, in einer Siedlung zu leben?

Ein Großteil der Siedlungen gilt als "National Priority Areas". Das bedeutet, die Regierung subventioniert dort private Landkäufe, Investitionen in Infrastruktur und Bauprojekte mit bis zu 70 Prozent. Auch Schulen erhalten in Siedlungen mehr staatliche Unterstützung als im Rest des Landes. Zudem sind die Gehälter für Lehrer in Siedlungen höher und Abiturienten werden bei der Auswahl für Stipendien bevorzugt behandelt. Um zusätzliche Arbeitsplätze für die Siedler zu schaffen, hat Israel mehrere Industriegebiete in Siedlungsnähe gegründet und mit Steuervorteilen und weiteren Subventionen unterstützt.

Wie steht die israelische Regierung zu den Siedlungen?

Das Verhältnis der israelischen Regierungen zu den Siedlern hat sich über die Jahre immer wieder gewandelt. Dennoch ist die Siedlungspolitik seit 1967 nahezu ununterbrochen fortgesetzt worden. Die einfache Formel "die Rechten unterstützen den Siedlungsbau - die Linken sind dagegen" greift zu kurz. So ließ zum Beispiel der rechte Ministerpräsident Ariel Sharon 2005 die Siedlungen im palästinensischen Gazastreifen räumen. Umgekehrt plante beispielsweise der linke Ministerpräsident Yitzchak Rabin, Jerusalem zur ungeteilten Hauptstadt Israels zu machen und dabei mehrere Siedlungen in Ostjerusalem einzugemeinden.

Wie gespalten das Verhältnis der israelischen Regierungen zu den Siedlungen ist, zeigt eine geheime Datenbank, die 2009 der israelischen Tageszeitung Haaretz zugespielt wurde. Sie belegt, dass in 75 Prozent aller Siedlungen im Westjordanland Bebauungen zum Teil in erheblichem Umfang ohne Genehmigung oder sogar gegen israelische Bestimmungen vorgenommen wurden: In mehr als 30 Siedlungen wurden Gebäude und Straßen auf Privateigentum von Palästinensern errichtet. Die damalige Regierung war zwar empört über den Rechtsbruch, reagierte aber nicht und hielt ihre Erkenntnisse unter Verschluss.

Die aktuelle Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besteht aus sechs Parteien, von denen mindestens zwei als absolute Unterstützer der Siedlerbewegung gelten.

Was sind die aktuellen Siedlungspläne der israelischen Regierung?

Die aktuelle Regierung fokussiert sich bei ihren Bauprojekten schon seit Jahren vor allem auf jene Gebiete, die nach einem Friedensvertrag um die Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern an Israel fallen würden. Gebaut wird in Ostjerusalem und in den Siedlungen entlang der sogenannten Grünen Linie, die Israel offiziell von den Palästinensergebieten trennt. Die Regierung will kein Geld in Siedlungen investieren, die tiefer in den umkämpften Gebieten liegen und später an einen Palästinenserstaat fallen würden.

Mit Donald Trump statt Barack Obama im Weißen Haus fällt viel internationaler Druck von der israelischen Regierung ab, denn anders als Trump hatten seine Vorgänger die Siedlungspolitik regelmäßig kritisiert. Gleich nach Trumps Wahlsieg kündigte Netanjahu daher neue Bauprojekte im Westjordanland an. Und im Februar 2017 hat das israelische Parlament ein umstrittenes Gesetz gebilligt, mit dem etwa 4000 Wohnungen israelischer Siedler rückwirkend genehmigt werden, obwohl sie widerrechtlich auf privaten Grundstücken von Palästinensern errichtet wurden. Das Gesetz sieht eine Entschädigung der palästinensischen Besitzer vor. Das höchste israelische Gericht könnte es noch kippen.

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