Siedlungsbau in Ostjerusalem: USA vorgeführt:Eine Freundschaft in Scherben

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Die israelische Regierung brüskiert mit Vehemenz die USA. Der große Partner muss Israel jetzt die Grenzen aufzeigen - sonst droht im schlimmsten Fall der Nahe Osten im Krieg zu versinken.

Peter Münch

Alles war aufs feinste vorbereitet: Präsident Schimon Peres öffnete väterlich die Arme beim Empfang des hohen Gastes aus den USA, und Premierminister Benjamin Netanjahu hatte sogar eine Urkunde vorbereitet, die er dem amerikanischen Vizepräsidenten in Jerusalem überreichen wollte. Der feste Bund zwischen Israel und den USA sollte gefeiert, vielleicht sogar erneuert werden. Doch dann geschah das Malheur - das Glas im Rahmen der Urkunde war gesplittert. Netanjahu und Joseph Biden standen vor einem Häuflein Scherben. Und ein besseres Bild hätte es wohl kaum geben können, um jenseits der politischen Inszenierung den wahren Stand der Beziehungen zu verdeutlichen.

Israel und die USA - das ist ein Paar in schwerer Beziehungskrise. Seitdem in Washington Barack Obama regiert und in Jerusalem Benjamin Netanjahu, wuchern Misstrauen und Enttäuschung in dem Verhältnis. Obamas schwungvoller Aufbruch zu einem Frieden in Nahost ist von Netanjahu bis heute boykottiert worden. Die persönliche Beziehung der beiden Männer gilt als weitgehend zerrüttet. Erstaunlich ist allein, dass dies bis heute noch keinerlei Konsequenzen hatte. Im Gegenteil: Washington toleriert bislang noch jede Jerusalemer Eskapade, schluckt den Ärger herunter und antwortet auf Provokationen beharrlich mit Beistandsgarantien. Zu erklären ist das wohl allein mit der Einzigartigkeit dieser "special relationship".

Denn ungleich war das Paar gewiss schon immer: hier die fast unangreifbare Weltmacht, da der von Feinden umzingelte Zwergstaat. Goliath hatte sich mit David verbündet, und meist war das zu beider Vorteil. Israel verdankt der amerikanischen Waffenhilfe - die allerdings erst in den sechziger Jahren die französischen Lieferungen ablöste - seine militärische Vormachtstellung in der Region. Im Gegenzug sicherten sich die USA einen zementierten Stand im unruhigen Nahen Osten. Doch im Kern geht es in dieser Beziehung um mehr als nur um eine strategische Partnerschaft, und auch um mehr als nur den Einfluss finanzstarker Lobby-Gruppen. Es geht um die Wertegemeinschaft einer älteren und einer jüngeren Pioniergesellschaft, durchaus auch mit religiöser Konnotation auf jeder Seite. Dies ist das Band, das die beiden im Innersten zusammenhält.

Die Verbindung zu Israel hat die USA jedoch von Anfang an in Interessenkonflikte gebracht. Denn für die ölabhängige Wirtschaftsmacht Amerika ist auch das Verhältnis zu Israels feindlichen Nachbarn von eminenter Bedeutung. Washington hat das über die Jahrzehnte zu manchem Spagat zwischen dem jüdischen Staat und der arabischen Welt gezwungen. Oft ist die Spreizbewegung sogar erstaunlich gut geglückt - wenn nicht in den Augen der arabischen Massen, so doch immerhin im Urteil der meist korrupten Regierungen. Amerika präsentierte sich gekonnt in einer Doppelrolle: als treue Schutzmacht Israels und als machtvoller Makler im Friedensprozess, der dem Schützling auch einmal den Weg weisen kann.

Unter Präsident George W. Bush war allerdings auch diese Kunst im "Für uns oder gegen uns"-Geschrei zerstört worden. Amerika musste dafür einen hohen Preis entrichten. Obamas Ziel war es nun gewesen, in Nahost wieder die Maklerrolle anzunehmen, die von demokratischen Präsidenten wie Jimmy Carter und Bill Clinton gespielt worden war. Deutlich wurde dies bei seiner Kairoer Rede, die mittlerweile nur noch so weit als historisch gelten kann, als dass sie längst Geschichte ist. Dort war Obama offen auf die arabische Welt zugegangen und hatte von Israel explizit einen Stopp des Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten gefordert. Hätte er in diesem Moment einen Partner auf israelischer Seite gehabt, vielleicht wäre er weit gekommen auf diesem Weg - vielleicht gar bis zu einem Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Doch in Israel wartete kein Partner, sondern Benjamin Netanjahu, und was diesem Premier an Visionen fehlt, kompensiert er mit Finten und Finessen.

Obamas Einsatz wurde in Jerusalem nicht als Chance, sondern als Gefahr verstanden - und auf Gefahren reagiert Israel mit Abwehr, deren beste Form nicht selten der Angriff ist. Nur so ist zu verstehen, mit welcher Vehemenz die Regierung derzeit die USA brüskiert. Das musste nun Vizepräsident Biden mit aller Macht erleben: Er predigte gerade noch die unverbrüchliche Freundschaft, da kündigte das israelische Innenministerium den Neubau von 1600 Wohnungen im arabischen Ostteil von Jerusalem an.

Das ist Provokation, ja es zeugt von Hybris - der kleine Partner führt den großen vor. Für Präsident Obama sollte dies der Anlass sein, Premierminister Netanjahu druckvoll klarzumachen, dass auch die besondere Freundschaft zwischen den beiden Staaten Grenzen kennt. Die rote Linie verläuft dort, wo Israel Amerikas Autorität untergräbt. Zögert Obama nun, dann wächst die Gefahr, dass sich Jerusalem auch in einer anderen Frage löst von einer Kursabstimmung mit Washington: im Umgang mit dem Teheraner Atomprogramm. Wenn Israel, wie bereits angedroht, tatsächlich im Alleingang die iranischen Atomanlagen bombardieren wird, dann droht die ganze Region im Krieg zu versinken.

Im Video: Die israelische Regierung bemüht sich um Schadensbegrenzung, nachdem während des Besuchs von US-Vizepräsident Biden neue Pläne zum Siedlungsbau bekanntgeworden sind.

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© SZ vom 11. März 2010/segi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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