Deutsche Sicherheitspolitik:Besser gewappnet für die "neuen Realitäten"

Deutsche Sicherheitspolitik: Im Koalitionsvertrag hat die Ampelregierung ausgemacht, dass sie an einer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie arbeitet - nicht ahnend, dass das Thema so schnell aktuell würde. Am Freitag hat Annalena Baerbock dazu im Außenministerium erste Gedanken vorgestellt.

Im Koalitionsvertrag hat die Ampelregierung ausgemacht, dass sie an einer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie arbeitet - nicht ahnend, dass das Thema so schnell aktuell würde. Am Freitag hat Annalena Baerbock dazu im Außenministerium erste Gedanken vorgestellt.

(Foto: Thomas Trutschel/IMAGO/photothek)

Die Bundesregierung arbeitet an einer nationalen Sicherheitsstrategie. Dazu soll auch eine glaubwürdige Abschreckung gehören.

Von Paul-Anton Krüger und Mike Szymanski, Berlin

Von Sehnsucht spricht Annalena Baerbock am Freitagmorgen unter den Kronleuchtern im holzvertäfelten Weltsaal des Auswärtigen Amtes. Sie hat das diplomatische Korps in Berlin geladen. Mit dem Termin lanciert die Bundesregierung die Arbeit an einer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie für Deutschland. Das hatte sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen. Doch da habe sich noch niemand vorstellen können, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Ukraine angreifen werde, sagt die Bundesaußenministerin. Dieser Bruch mit der Friedensordnung in Europa wecke die "Sehnsucht nach Sicherheit", die man "lange nicht, die vielleicht meine Generation noch nie so richtig gespürt hat".

Ihre Kollegin im Verteidigungsministerin, Christine Lambrecht von der SPD, räumt im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung ein, Europa sei "eben doch nicht nur von Freunden umgeben, wie wir uns nach 1990 eingeredet haben". Der Bombenhagel auf die Menschen in der eingeschlossenen Hafenstadt Mariupol macht Sicherheit wieder zur Überlebensfrage für Europa, für die transatlantische Allianz. Es gehe auch darum, "die Freiheit unseres Lebens" und die liberale Demokratie zu schützen, sagte Baerbock.

Den russischen Raketenangriff auf einen ukrainischen Stützpunkt 25 Kilometer von der Grenze zu Polen dürfte der Kreml auch als warnende Botschaft gedacht haben. US-Präsident Joe Biden wird am Donnerstag im Brüssel zu einem außerordentlichen Nato-Gipfel erwartet. Er wird die Solidarität mit der Ukraine bekunden, aber vor allem die Unverbrüchlichkeit des Beistandsversprechens in der Allianz; die USA sind die Garantiemacht dafür.

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Putins Angriff aber bedeutet "eine geopolitische Zäsur mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die europäische Sicherheit", wie Baerbock sagt. Die bisherige Stolperdraht-Logik, die durch Mindestpräsenzen von Nato-Verbänden in den baltischen Staaten und Polen signalisiert habe, dass ein Angriff auf ein Nato-Land ein Angriff auf alle ist, "wird in der jetzigen Form nicht mehr ausreichen", sagt die Grünen-Politikerin. Die Truppenverstärkungen der vergangenen Wochen müssten "langfristig ausgestaltet" werden und die Manöver der Nato "die neuen Realitäten abbilden". Damit rückt auch die Bundesregierung ab von der Nato-Russland-Grundakte von 1997, in der die Allianz auf die dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen auf dem Gebiet früherer Staaten des Warschauer Paktes verzichtet hatte.

Das gesamte östliche Bündnisgebiet unterliege einer neuen Bedrohung, die Nato müsse daher auch ihre Präsenz in den Ländern Südosteuropas neu aufstellen. "Deutschland wird hierzu in der Slowakei einen substanziellen Beitrag leisten", kündigte Baerbock an. "Richtig ausgestattete und schnell einsatzfähige Verbände" verspricht Bundesverteidigungsministerin Lambrecht. "Das ist für mich ganz wichtig", sagt die SPD-Politikerin. "Wenn wir das Konzept der Abschreckung verfolgen, dann glaubwürdig." Baerbock bezieht das ausdrücklich auch auf die nukleare Abschreckung, die Deutschland mit dem Kauf von F-35-Kampfflugzeugen aus den USA untermauert. Zugleich verlangt die Außenministerin auch eine "Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie".

Mit dem Krieg in der Ukraine kehre das Bewusstsein zurück, wie wichtig die Kernaufgabe der Bundeswehr sei, die Landes- und Bündnisverteidigung, sagt Lambrecht. Baerbock allerdings macht deutlich, dass Deutschland zugleich in der Lage sein müsse, auch in anderen Teilen der Welt Stabilisierungseinsätze zu leisten. "Es ist nicht entweder oder. Fern oder nah." Deutschland müsse seine Sicherheit "hier vor unserer Haustür" ebenso verteidigen wie "in der vernetzten Welt". Dazu gehöre auch die Abwehr von Cyberattacken und Formen der hybriden Kriegsführung. Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bundeswehr und nationalen Sicherheitsbehörden, zwischen Bund und Ländern müsse diskutiert werden.

Biden, die Bundesregierung, die Alliierten, sie alle betonen auch die Unterstützung für die Ukraine. Die USA weiten ihre Waffenlieferungen deutlich aus, auch Deutschland prüft das. Die USA wollen Putin politisch weiter und auf Dauer isolieren. Biden nennt ihn einen "Kriegsverbrecher" und "mörderischen Diktator". Auf dem Nato-Gipfel aber wird deutlich werden, dass dies einigen Alliierten nicht mehr genügt. Polen will seinen Vorschlag für eine Friedensmission in der Ukraine einbringen, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Derlei Ansinnen jedoch lehnt die Bundesregierung im Einklang mit Washington ab. "Wir müssen verhindern, dass aus diesem furchtbaren Krieg ein Flächenbrand wird. Die Nato wird nicht zur Kriegspartei, dabei bleibt es", sagt Lambrecht der SZ. Auch die Risiken einer Flugverbotszone wären "unkalkulierbar", deswegen die klare Entscheidung, "keine solche Zone einzurichten". Für die Menschen in der Ukraine bleibt die Sehnsucht nach Sicherheit wohl noch länger ohne Erfüllung.

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