Es hätte den einen Tag, an dem Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA gewählt wurde und in Deutschland die Ampelregierung zerbrach, gar nicht gebraucht, um der politischen Gegenwart eine besonders hohe Ereignisdichte zu attestieren. Normal- und Ausnahmezustand sind gerade kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Nichts mehr scheint zu enden, weder die Krisen noch die Kriege. Und alle Mittel zur Abwehr der Krisen, zur Bekämpfung der Kriege, Mittel, die man noch vor wenigen Jahren für absolut verlässlich hielt, scheinen ihr Verfallsdatum überschritten zu haben. Mehr als 1000 Tage sind vergangen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, mehr als 1000 Tage Tod und Zerstörung, mehr als 1000 Tage keine Lösung.
Und doch fällt es der deutschen Gesellschaft schwer, diese neue Realität zu akzeptieren. Krieg? Das ist bei den anderen! Nicht bei uns! Franz-Stefan Gady widerspricht dieser Projektion in seinem Buch „Die Rückkehr des Krieges“. Der österreichische Militäranalyst und Reserveoffizier ist überzeugt, dass neue Kriege in Europa wahrscheinlicher werden. Natürlich hat er dabei das imperialistische Russland Wladimir Putins im Blick. Er beschreibt aber grundsätzlichere Ursachen, Ursachen unabhängig von einem gefährlichen Despoten.
Irrationalität und Emotionen sind gefährlich
Kriege würden wahrscheinlicher, weil politische und militärische Fehleinschätzungen wahrscheinlicher werden, behauptet Gady und findet starke Argumente für diese These: Neue Technologien, etwa künstliche Intelligenz, die fälschlich suggerierten, dass sich Kriege heute schneller und unblutiger gewinnen ließen. Den Wandel der globalen geopolitischen Ordnung und das Fehlen eines sicherheitspolitischen Konsenses in den USA, das seinen wohl wirkmächtigsten Ausdruck in der Wahl Trumps angenommen hat. Oder, für Gady am wichtigsten, die Irrationalität, die Emotionen, die Hybris des Menschen. Kriege ließen sich eben nicht immer rational und kühl kalkuliert begründen oder aus dem Staatsinteresse ableiten.
Dass Kriege wahrscheinlicher werden, ist aber nur Gadys Ausgangsthese. Was er daraus entwickelt, ist die Forderung nach nichts weniger als einem Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Krieg. Gady will den Krieg wieder zu einem Teil unseres politischen und auch gesellschaftlichen Denkens machen. Eine Provokation basierend auf nüchtern-wissenschaftlich vorgetragenen Fakten. Gady beschreibt den Krieg und dessen Natur in vielen Dimensionen. So wird aus Phrasen wie „Krieg ist Gewalt“ oder „Krieg ist Zufall“ eine anhand vieler Beispiele plastisch erzählte neue Realität, die so einleuchtend wie erschreckend ist. Gady schöpft dabei aus einem großen historischen und militärtheoretischen Wissen. Er klopft kriegerische Auseinandersetzen aus allen Epochen danach ab, ob sie uns etwas über die Gegenwart sagen, findet Beispiele im alten Griechenland oder amerikanischen Bürgerkrieg, im Siebenjährigen Krieg oder den beiden Weltkriegen. Die historischen Exkursionen und theoretisch-wissenschaftlichen Teile reichert Gady durch persönlich Erlebtes an. Als Militäranalyst war er beispielsweise im Irak, in Afghanistan und reist seit der russischen Vollinvasion mehrmals im Jahr in die Ukraine.
Gerade nicht ein Buch für Militaristen und Nerds
Was ist der Unterschied zwischen der taktischen, der operativen und strategischen Ebene? Welche Bedeutung haben Willensstärke und Moral? Was ist eine militärische Doktrin? Was der Kampf der verbundenen Waffen? Auf solche Fragen findet man Antworten im Buch. Viele werden es deshalb gar nicht erst aufschlagen: Ist das nicht nur was für Nerds, Fachidioten, Militaristen?
Genau da liegt für Gady das Problem. Und deshalb endet das Buch hier nicht. Er will nicht nur denen, die genau verstehen wollen, was an der Front in der Ukraine passiert, das theoretische und semantische Rüstzeug vermitteln, er will die Zeitenwende in den Köpfen. Anders gesagt: Gady will uns den Krieg näherbringen. Das ist ein Satz, der falsch klingt, der bei den allermeisten einen sofortigen Abwehrreflex auslöst, auch in der politischen Klasse der Bundesrepublik. Gady hat viele solche Sätze parat, Sätze, die wehtun. Ein Beispiel: „Wir müssen uns in Europa wieder mit dem Gedanken anfreunden, unsere Streitkräfte als Instrumente der Gewalt und unsere Soldaten als Kämpfer zu betrachten.“
Die Gesellschaft verstehe den Krieg nicht
Den Abwehrreflex, den solche Sätze auslösen, beschreibt Gady in herausforderndem Superlativismus: Die Berührungsängste und Vorbehalte gegenüber dem Thema Krieg in Deutschland sind für ihn „ein großes, wenn nicht das größte Problem für die militärische Sicherheit Europas“. Gesellschaft und Politik täten zu wenig, um die Gefahr zu bannen, weil sie Krieg nicht verstünden, weil Krieg ein Tabuthema sei.
„Seit fast einem Jahrhundert wissen wir, dass der Ruf nach Pazifismus angesichts einer aggressiven Diktatur oft nichts anderes ist als Appeasement und Hinnahme dieser Diktatur.“ Das war ein zentraler Satz der Dankesrede, die die Publizistin und Historikerin Anne Applebaum vor einigen Wochen hielt, als sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen bekam. Das Buch Gadys kann man als eine Ausweitung der Rede ins Militärische lesen. Er formuliert provokativer, aber genauso klar und unmissverständlich.
Und er weiß, dass er sich damit in einer postheroischen Gesellschaft Vorwürfen aussetzt, er sei Waffenlobbyist, Kriegstreiber, vernachlässige die Möglichkeiten der Diplomatie. Gady schreibt selbst, dass einige seiner Formulierungen „für die meisten, die heute in Europa leben, martialisch, frevlerisch und rückwärtsgewandt klingen mögen“. Doch er ist kein Militarist. Für Gady sind höhere Rüstungsausgaben, mehr Soldaten oder eine gesellschaftliche „Aussöhnung“ mit moderner Kriegstechnologie die Voraussetzung dafür, dass Krieg in Europa nur ein Szenario bleibt und nicht Realität wird. Angesichts des Kriegstreibers in Moskau aber auch der Bedrohung durch China müsse Krieg jetzt, im Frieden, durchdacht werden. „An den Krieg zu denken und sich auf ihn vorzubereiten, ist das beste Rezept, um ihn zu vermeiden“, schreibt Gady.
Der Ausnahme- als Normalzustand
Das Buch ist ein Plädoyer für eine militärische Neuausrichtung von Politik und Gesellschaft, für eine Sicherheitspolitik, die auf dem alten, bewährten Prinzip Abschreckung basiert. Der militärische Ausnahmezustand muss demnach zum Normalzustand werden. In Zeiten, in denen Donald Trump in den USA regiert und sich Deutschland im Wahlkampf befindet, mit dieser Botschaft durchzudringen, ist schwierig. Gady weiß das und zitiert deshalb am Ende einen Satz, den der russische Revolutionär Leo Trotzki gesagt haben soll: „Du magst nicht an Krieg interessiert sein, aber der Krieg interessiert sich für Dich.“