Sicherheitspolitik:Kaum ein Gefährder trägt eine elektronische Fußfessel

Überwachungszentrale elektronische Fußfessel

Die elektronische Fußfessel für islamistische Gefährder ist umstritten. Denn die Frage ist: Was bringt sie? Berlins Justizsenator etwa lehnt sie ab, weil sie Attentäter nicht stoppe.

(Foto: picture alliance / Susann Prauts)
  • Die Möglichkeit, Gefährder mit elektronischen Fußfesseln zu überwachen, wird kaum genutzt.
  • Von derzeit 705 islamistischen Gefährdern tragen in Deutschland derzeit nur zwei ein solches Gerät.
  • Es gibt jedoch auch Kritik, ob das Ausstatten mit einer Fußfessel bei möglichen Terroristen überhaupt sinnvoll ist.

Von Reiko Pinkert und Ronen Steinke, Berlin

Nur wenige Tage nach dem Lkw-Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt übertrafen sich die Koalitionäre von CDU und SPD mit Vorschlägen für neue Sicherheitsgesetze: mehr Videoüberwachung, verlängerte Abschiebehaft und einiges mehr. Bereits Anfang Januar einigten sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) darauf, dass islamistische Gefährder künftig mit einer elektronischen Fußfessel überwacht werden sollten. Man beschließe "Großes für die Sicherheit der Bürger", sagte de Maizière im Bundestag, als die Änderung des BKA-Gesetzes am 27. April durchging, "obwohl wir wissen, dass die Fußfessel nicht die allein selig machende Lösung in der Terrorabwehr ist". Am 9. Juni 2017 trat die Neuerung in Kraft.

Und nun, vier Monate später? Inzwischen zählen die Behörden 705 islamistische Gefährder, denen sie Anschläge zutrauen, mehr denn je. Hinzu kommen 428 sogenannte relevante Personen im islamistischen Spektrum, die als etwas weniger gefährlich gelten. Bis heute hat das Bundeskriminalamt (BKA) jedoch keinem einzigen von ihnen eine Fußfessel angelegt. Eine solche Maßnahme sei bislang weder "beantragt noch durchgeführt" worden, bestätigte eine Sprecherin auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung.

Es sind Syrien-Rückkehrer, salafistische Scharfmacher oder gescheiterte Terrorplaner. De Maizières Fußfessel-Gesetz ist bei keinem von ihnen zum Einsatz gekommen, und bei den Praktikern im BKA hatte das offenbar so recht auch niemand erwartet. Es klingt fast nach einem großen Missverständnis: Das BKA selbst überwacht so gut wie nie Gefährder, wird dort betont. Sondern das tun die Länder.

Das kleine, hoch spezialisierte BKA hat nur drei Dienststellen, in Wiesbaden, Berlin-Treptow und Meckenheim. Man hätte also gar nicht die Leute in der Fläche, um Gefährder etwa in Schleswig-Holstein oder Brandenburg zu beobachten. Höchstens fahndet das BKA mal nach gesuchten Gefährdern, bis sie lokalisiert sind. Dann übernimmt das Land.

In der Folge hat es das Bundesinnenministerium bislang auch nicht eilig gehabt, die praktische Umsetzung seiner Fußfessel-Idee für das BKA zu regeln - etwa einen Arbeitsauftrag an die technische Zentralstelle zu erteilen, die alle deutschen Fußfesselträger zu jeder Tages- und Nachtzeit im Blick behält, die Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder (GÜL) mit Sitz in Bad Vilbel. Die Verhandlungen über eine "Überleitungsvereinbarung" mit der GÜL ziehen sich hin.

Länder sollten eigene Regelungen anpassen

Die eigentliche Idee - so heißt es jetzt vom Bundesinnenministerium - sei gewesen, dass die Länder das BKA-Gesetz als Vorlage nehmen und ihre eigenen Regelungen entsprechend anpassen. "Ein weiteres Ziel der Vorschrift war und ist es daher, Modell für entsprechende Ländervorschriften zu sein", teilte das Ministerium mit.

Beinahe alle Bundesländer hatten auch vor, dem BKA-Beispiel zu folgen, gaben sie sechs Wochen nach dem Berlin-Attentat in einer Umfrage der Rheinischen Post an. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Sachsens Markus Ulbig (CDU), erklärte damals, er wolle sich für eine zügige einheitliche Regelung aller Länder einsetzen. "Wir brauchen eine strenge Überwachung von Gefährdern, die Fußfessel ist dafür ein geeignetes Instrument." Die SZ hat nun erneut nachgefragt, und es stehen zwar grundsätzlich alle Länder weiter zu dem Plan. Nur in Berlin herrscht nach dem Wechsel hin zu Rot-Rot-Grün Diskussionsbedarf, der grüne Justizsenator Dirk Behrendt lehnt die elektronische Fußfessel ab, weil sie Attentäter nicht stoppe.

Aber allein Bayern hat den Plan auch umgesetzt. Seit dem 1. August 2017 ist dort ein neues Polizeigesetz in Kraft. Gegen zwei islamistische Gefährder hat die bayerische Polizei schon Fußfessel-Anträge bei Gericht gestellt. Beide Male mit Erfolg.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, sah die Idee der Dschihadisten-Fußfessel von Beginn an skeptisch, sagt er heute: "Bei Pädophilen kann man sinnvoll bestimmte Zonen definieren, die sie nicht betreten sollen. Kindergärten, Spielplätze. Da bringt eine Fußfessel etwas. Bei Stalkern, die immer zu einem bestimmten Opfer hingehen, auch. Aber bei Dschihadisten?" Auch der Innenminister von Niedersachsen, Boris Pistorius (SPD), sieht nur wenige denkbare Anwendungsfälle. Man müsse stets überlegen, ob nicht eine verdeckte Observation zielführender sei. Pistorius zählt trotzdem zu den Befürwortern.

"Es geht darum, das Instrument im Werkzeugkasten zu haben. Für den Fall, dass man es braucht. Was mich ärgert, ist eher der Hype, der darum in Berlin gemacht worden ist." Während die rein präventive Fußfessel gegen Gefährder, die noch keine Tat begangen haben, ein viel diskutiertes Novum in Deutschland ist, gibt es sie schon seit 2011 als Mittel der sogenannten Führungsaufsicht gegen bereits verurteilte Täter, die aus der Haft entlassen werden. Auch diese Möglichkeit ist durch Gesetzesänderungen der großen Koalition auf Bundesebene im Sommer ausgeweitet worden. Die Initiative ging von Heiko Maas aus. Auch hier sinken aber die realen Zahlen.

Bundesweit werden derzeit 88 Personen mit elektronischen Fußfesseln überwacht, 87 Männer und eine Frau; die beiden bayerischen Islamisten sind da schon eingerechnet. Die Tendenz ist rückläufig. "Wir kontrollieren strenger als früher, aber deshalb nur selten", sagt der Leiter der Fußfessel-Zentralstelle GÜL, Hans-Dieter Amthor. Politische Reden mögen einen anderen Eindruck erwecken. Die Praxis geht von dieser Technik offenbar eher weg.

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