Sicherheitspolitik:Hässliche neue Welt

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Vernetzt, abhängig, zerstörerisch - willkommen in der neuen Normalität! Was früher der Kalte Krieg war, ist jetzt Terror und aggressiver Nationalismus der Aufsteiger-Staaten. Das eigentliche Drama in der Multi-Welt: Anspruch und Werk des Westens passen nicht zueinander.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Das amerikanische Militär hat einen interessanten Begriff gefunden für das Chaos, das sich gerade auf der Welt entfaltet: The New Normal. Übersetzung: Das ist jetzt normal, was anderes gibt es erst mal nicht. Wolfgang Schäuble würde sagen: S'isch, wie's isch.

Weil es so ist, wie es ist, fahren französische Fremdenlegionäre durch die malische Wüste gen Timbuktu, überfallen Dschihadisten ein Gasfeld in Algerien, greift die israelische Luftwaffe einen Waffenkonvoi in Syrien an, stationiert die Bundeswehr in einer Operetten-Mission ein paar Patriot-Luftabwehrbatterien in der Türkei, kreisen ferngesteuerte amerikanische Flugzeuge mit stiller Billigung der pakistanischen Regierung über Wasiristan. Willkommen im 21. Jahrhundert der Unübersichtlichkeit, willkommen in der Normalität der Multi-Welt.

Die Multi-Welt ist ein Gebilde, in dem Grenzen fließen und Sorgen wachsen. Die Multi-Welt ist einerseits vernetzt und abhängig, siehe etwa den Apple-Konzern, der seine Computer und Telefone in China montieren lässt, oder Toyota, das jede Menge Fahrzeuge dort produziert und verkauft. Andererseits ist die Multi-Welt sehr zerstörerisch. Zum Beispiel könnte es Ärger geben über die Arbeitsbedingungen bei der iPhone-Montage in Wuhan, worunter das saubere Apple-Image leidet und die vernetzte Apple-Welt zusammenbrechen könnte. Ebenso könnte sich Toyota plötzlich nationalistischen Anfeindungen in China ausgesetzt sehen, weil Peking und Tokio über Inseln, Ölfelder und das größere Ego streiten. Toyotas Absatz in China wäre gefährdet - aber auch Tausende chinesische Arbeitsplätze.

Welt aus Terror statt Kaltem Krieg

The New Normal kann man also auch etwas geblähter mit "die neue Unübersichtlichkeit" übersetzen. Oder in den hemdsärmeligen Worten eines amerikanischen Generals: "Vor 20 Jahren sind wir in die Wüste gegangen und bis heute nicht mehr zurückgekommen." Ein fast schon resignativer Befund: Vor 20 Jahren begann die Operation Desert Storm zur Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung. Und heute sorgt sich die westliche Welt mit ihren Soldaten um die Sicherheit von Bamako über Bagdad bis Baglan.

Muss sie das überhaupt? Hat sie jemand gebeten? Übernimmt sie sich nicht mit ihrer Weltverbesserung? The New Normal ist ein frecher Begriff, weil er ja nichts anders meint als: Was früher euer Kalter Krieg war, ist jetzt diese Welt aus Terror, Dschihad, Islamismus und aggressivem Nationalismus der Aufsteiger-Staaten. Oder noch simpler: Hier ist die neue Weltordnung aus Chaos und Willkür, ein stets simmernder Konflikt - wehrt euch, oder lasst euch von ihr drangsalieren.

Es ist eine klare angelsächsische und selbst französische Haltung, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss auf der Welt; dass man erstens seine Werte hat und zweitens eine Ordnung, die auf dem Völkerrecht und dem Prinzip der Friedfertigkeit beruht. Wenn also in Timbuktu aus Intoleranz ein Kulturschatz der Menschheit zerstört wird, oder wenn die Uran-Förderung des Landes in Gefahr gerät, dann geht das einen etwas an. Ganz abgesehen davon, dass es viele Tausend Argumente gibt für den Widerstand gegen die fundamentalistische Barbarei der Dschihadisten - eines für jedes Menschenleben, das sie zerstören.

Im Amerika gibt es die holzschnittartige Einteilung in die guten und die bösen Jungs. Eine grobe Simplifizierung vielleicht - aber nicht nur. Wer seine Argumente derart zuspitzt, der verfügt nicht selten auch über einen messerscharfen Verstand. In Washington und anderswo an den Schalthebeln der westlichen Wertegemeinschaft macht sich bei klugen Menschen eine große Sorge breit: Dass man in die Defensive geraten könnte mit den Idealen der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit; dass die autoritären Systeme stärker sein könnten und die jungen Männer vom Steinzeit-Dschihad allemal.

In Deutschland wird dieser strategische Weltblick der Amerikaner und selbst der Franzosen nicht unbedingt geteilt. Mali ist weit weg, man glaubt an die Kraft der Argumente und der Vermittlung. Deutschland diskutiert darüber, ob es moralisch und rechtlich in Ordnung ist, ein ferngesteuertes Flugzeug einzusetzen. Jeder Feldwebel der Bundeswehr ist dankbar, wenn die Aufklärer eine Drohne hinter den nächsten Hügel fliegen lassen. Ansonsten müsste er womöglich seine Soldaten in einen Hinterhalt schicken.

Jede Drohne wird von mehr Piloten gesteuert als ein Kampfjet. Und weil sie stundenlang über einem potenziellen Ziel kreisen kann, bleibt mehr Zeit, um über ihren Einsatz nachzudenken als dies bei einem Kampfflugzeug der Fall ist, dessen Pilot nur wenige Sekunden hat, ehe er seine Entscheidung über Leben und Tod fällen muss. Kundus grüßt.

Die Drohnen-Debatte in Deutschland zeugt davon, wie sehr sich das Land abgekoppelt hat von der Analyse der anderen Partner im Bündnis. Einerseits. Andererseits zeugt der sehr stolze Vormarsch der französischen Streitkräfte auf Timbuktu von der absurden Vorstellung, dass man es alleine aufnehmen könnte gegen diese neuen Feinde in der Multi-Welt.

Kluft zwischen Analyse und Tat

Sicher, Frankreich mag einen militärischen Erfolg erzielt haben, aber jeder weiß, dass das Problem mit der Vertreibung der Pickup-Kämpfer nur verdrängt und nicht gelöst ist. Jetzt kommen die Analysten, die über gesellschaftliche Ursachen und politische Lösungen reden, über Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit und Hilfsprogramme - allerdings ohne Ergebnis. Hätte man nicht nach Libyen dafür sorgen müssen, dass . . .? Wäre es nicht sinnvoll, für Ägypten ein Programm . . .?

Die EU hat monatelang ihre Ausbilder-Mission für Mali auch deswegen nicht auf die Beine stellen können, weil es eine gewaltige Kluft gibt zwischen der klugen Analyse und der beherzten Tat. Dies ist das eigentliche Drama in der Multi-Welt: Anspruch und Werk des Westens passen nicht zueinander, weil die Aufgabe zu groß ist und die Geschlossenheit zu gering; nicht zu reden vom Geldbeutel, den die neue Normalität überfordert.

Ein paar Dinge ließen sich besser machen, wenn man sie zusammen machte. Wenn die Europäer ihrer Außenpolitik Zähne verliehen; wenn sich nicht 27 Mini-Metternichs um das richtige Programm balgten, sondern ihre Außenpolitik-Beauftragte für alle handeln ließen; wenn der Irrsinn der europäischen Rüstungskleinstaaterei beendet würde zugunsten integrierter Streitkräfte mit integrierter Ausstattung. Das würde Abermilliarden sparen und die Schlagkraft erhöhen. Freilich müsste dann ein ganz großes Opfer gebracht werden: die nationale Souveränität in der Außenpolitik und der Sicherheit. Die aber gehört zum Kernbestand der alten Normalität. Und die ist auch in der Multi-Welt sehr beharrlich.

© SZ vom 02.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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