Sicherheitspolitik:Abschied von der Sehnsucht nach Sicherheit

Lesezeit: 4 min

Heute ist Gewalt kein Privileg der Staaten mehr, sie ist individualisiert. Ein einziger Flugpassagier mit Sprengstoff in der Unterhose kann in der halben Welt ein Gefühl der Bedrohung auslösen. Den Sprengstoff kann sich jeder in der Küche zusammenmischen.

Es braucht wenig, um große Angst zu verbreiten. Das nennt man Asymmetrie, und niemand hat wirklich ein Rezept dafür, wie man wieder zu einem Gleichgewicht kommt.

Vielleicht muss man sich deshalb verabschieden von der Sehnsucht nach Sicherheit. Vielleicht muss man die Bedrohung hinnehmen und gleichzeitig eine Grenze ziehen, um das Maß an Verunsicherung zu reduzieren. Es kann ja nicht sein, dass die Angst vor der neuen Unsicherheit eine sonst funktionierende und im Kern stabile Gesellschaft lähmt.

Die noch immer gültige Botschaft der Anschläge vom 11. September 2001 lautet schließlich, dass Terror und Unsicherheit im 21. Jahrhundert ihre Wirkung vor allem in den Köpfen entwickeln.

Tempo und Wissen charakterisieren moderne Gesellschaften - sie machen sie angreifbar und tragen zur Verunsicherung bei.

Rohstoffe gegen Stillschweigen

Nachrichten über die dschihadistischen Umtriebe entlang der Pipeline-Strecken in Zentralasien lassen sich auf jedem Smartphone lesen, während das Benzin an der Zapfsäule in den Tank des eigenen Autos gluckert.

Die Nachricht vom Unterhosenbomber war in der Welt, als die Maschine mit ihm an Bord kaum in Detroit gelandet war. So viel Unmittelbarkeit trägt zu einem Gefühl der Dringlichkeit bei, die alle Unsicherheit nur verstärkt.

Westliche Gesellschaften erliegen leicht der Versuchung, all ihre Probleme unter der Rubrik "Sicherheit" abzuheften und eine Bedrohung daraus abzuleiten. Das amerikanische Haushaltsdefizit ist eine Bedrohung, der Klimawandel ist ein Sicherheitsproblem, der Streit um den Gaspreis mündet in zwischenstaatliche Spannungen, das Gebaren der Finanzindustrie destabilisiert Nationen und wühlt die Menschen auf.

Keine Frage: All das sind große Themen der nationalen und internationalen Politik. All das sind Bedrohungen in der einen oder anderen Form, die sich auch unmittelbar sicherheitspolitisch auswirken können.

Peking betreibt seine Außenpolitik mit Hilfe von Baubrigaden und Entwicklungsschecks. Taiwans größtes Problem ist nicht die militärische Bedrohung durch die Volksrepublik China, sondern der Kapitalabfluss. Iran kann mit seinen Nuklearumtrieben nur deshalb so hoch pokern, weil Peking einen Teufelspakt mit Teheran eingegangen ist: Rohstoffe gegen Stillschweigen.

Sicherheit - ein kostbares Gut

Alles also Sicherheitspolitik? Alles eine Bedrohung für den Westen, für Europa, für den Bürger in Kleinmachnow oder Großburgwedel? Es wäre fatal, wenn westliche Demokratien in diesem Spiel um Einfluss und Sicherheit eine Allzuständigkeit vorgaukelten, wenn die Regierungen den Eindruck zu vermittelten suchten, diese Unsicherheit ließe sich stets in Sicherheit umwandeln.

Sicherheit ist ein kostbares Gut in einer Demokratie. Wer es missbraucht, der spielt mit den Stützpfeilern der Gesellschaft.

Wer die Welt als eine einzige große Bedrohung erscheinen lässt, der radikalisiert und emotionalisiert, der treibt die Menschen entweder ins Schneckenhaus oder auf die Barrikaden. Pazifistische Generalverweigerung trägt dabei ebenso wenig zu mehr Sicherheit bei wie das Geschrei vom Weltenbrand.

Sicherheit erfordert Mäßigung und Aufmerksamkeit. Sicherheit braucht kundige Bürger, wehrkundige, sicherheitskundige Bürger.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema