Süddeutsche Zeitung

Britischer Premier: Kursbestimmung:Cameron lehnt Euro strikt ab

"Großbritannien wird eine globale Macht bleiben": Premier David Cameron erklärt in der SZ seine Position für eine moderne Außen- und Sicherheitspolitik. Offen für militärische Kooperationen, standfest in Afghanistan und in kritischer Distanz zum Euro solle sie sein.

Im Königreich regiert erstmals seit Jahrzehnten wieder eine Koalition, deren oberste Priorität die Konsolidierung des Haushalts ist. Premierminister David Cameron hat schriftlich auch dazu Fragen der Süddeutschen Zeitung beantwortet.

Worauf richtet sich jetzt, nach einem Jahrzehnt mit zwei asymmetrischen Kriegen, das Augenmerk der britischen Sicherheitspolitik?

Im vergangenen Oktober veröffentlichte die Koalitionsregierung eine neue Nationale Sicherheitsstrategie und eine Strategische Verteidigungs- und Sicherheitsüberprüfung, die zusammen eine umfassende Bewertung unserer Bedrohungslage vornehmen und darlegen, wie wir darauf reagieren werden. Kurz gesagt, geht die größte Gefahr nach unseren Erkenntnissen vom internationalen Terrorismus aus, sowie von Cyber-Angriffen, internationalen militärischen Krisen und nationalen Katastrophen wie zum Beispiel Überschwemmungen. Auf dieser Einschätzung beruhen auch die Entscheidungen, die wir im Hinblick auf die künftigen Fähigkeiten unseres Militärs und nationalen Sicherheitsdienste gefällt haben.

Eines möchte ich klarstellen: Großbritannien wird eine globale Macht ersten Ranges bleiben. Wir werden Streitkräfte und militärische Ausrüstung haben, die für das 21. Jahrhundert taugen, starke Sicherheits- und Nachrichtendienste, und Diplomaten und Entwicklungshilfe, die uns dabei helfen können, Gefahren schon an der Wurzel zu bekämpfen. Außerdem erhöhen wir unsere Ausgaben für Cyber-Sicherheit um rund eine Milliarde Euro. Natürlich mussten wir wegen des großen Defizits, das die Koalition geerbt hat, einige unliebsame Entscheidungen fällen und unser Engagement in einigen Bereichen zurückfahren. Aber ich bin sicher, dass wir die für die Sicherheit und den Wohlstand unseres Landes auf lange Sicht richtigen Entscheidungen getroffen haben.

Müssen wir für immer und ewig mit Extremisten leben?

In unserer Nationalen Sicherheitsstrategie gehen wir klar davon aus, dass die Bedrohung durch gewaltbereite Extremisten und Terroristen nach unserer Einschätzung in den nächsten fünf Jahren andauern wird. Niemand kann dieses Problem allein lösen. Als Erstes sollten wir gewährleisten, dass unser Einsatz in Afghanistan zum Erfolg führt. Zweitens sollten wir zusammenarbeiten, wo immer Terroristen unregierte Räume nutzen: im Jemen oder in Somalia zum Beispiel. Und drittens gibt es hier in Europa, in unseren eigenen Gesellschaftssystemen, einiges an Arbeit zu leisten, um das Problem der Radikalisierung anzugehen.

Ist ein weiterer Einsatz wie in Afghanistan in absehbarer Zukunft vorstellbar?

Wir dürfen nie vergessen, warum wir in Afghanistan sind. Al-Qaida hat das Land als Ausgangsbasis für die Anschläge vom 11.September benutzt. Unsere nationale Sicherheit ist immer noch der Grund, warum wir dort sind: Wir dürfen nie wieder zulassen, dass al-Qaida Afghanistan als Basis für Terrorismus benutzt. Der von meiner Koalition eingesetzte Nationale Sicherheitsrat hat deshalb die wichtigste Aufgabe, unseren Aktivitäten in Afghanistan eine klare Richtung zu geben. Das sind unsere Prioritäten: Wir wollen die Dynamik in Gang halten, die wir durch die Verbesserung der Sicherheitslage im Süden nach der massiven Aufstockung der Truppen geschaffen haben; wir wollen die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei weiter mit gleichem Nachdruck betreiben und die Regierung Afghanistans darin unterstützen, den politischen Prozess voranzubringen, der letzten Endes für den Aufbau von Stabilität in Afghanistan unverzichtbar sein wird.

Was ist mit der Special Relationship passiert?

Sie ist heute genauso stark wie zu jedem anderen Zeitpunkt in den vergangenen Jahrzehnten. Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor unser wichtigster bilateraler Verbündeter. Die Beziehungen zwischen unseren Ländern sind breitgefächert und tief verwurzelt - von der Zusammenarbeit im militärischen und nachrichtendienstlichen Bereich bis hin zu unseren Wirtschafts- und Handelskontakten. Aber wir sollten auch darauf achten, dass wir uns nicht an Prozessen, sondern an Ergebnissen orientieren.

Die größte Gefahr für Europas Stabilität entsteht durch die Finanzmärkte und die Angriffe auf den Euro. Sieht sich die Tory-Regierung in ihrer Kritik an der gemeinsamen Währung letztlich bestätigt? Muss der Euro überleben? Warum?

Es nützt nichts, den Märkten die Schuld zu geben. Ich war immer der Meinung, dass es schwierig ist, eine gemeinsame Währung zum Funktionieren zu bringen, solange man nicht eine viel einheitlichere Wirtschaftspolitik macht - und weil ich eine solche Unterminierung von Souveränität und Unabhängigkeit nicht will, lehne ich einen Beitritt Großbritanniens zur gemeinsamen Währung ab. Deshalb habe ich immer wieder gesagt, dass Großbritannien den Euro nicht hat und auch nicht einführen wird. Wir werden uns auch nicht überreden lassen, bei irgendwelchen neuen Regelungen zur Stützung des Euro mitzumachen. Verstehen Sie mich richtig: Ich will eine starke Eurozone, ich wünsche mir, dass sie ihre Probleme regelt, und Großbritannien wird auch nicht im Wege stehen, wenn Mitglieder der Eurozone es für notwendig halten, Maßnahmen zur Lösung der derzeitigen Probleme zu treffen. Eine starke, erfolgreiche Eurozone liegt im Interesse Großbritanniens.

Liegt im britisch-französischen Modell der Rüstungskooperation der Prototyp für eine gemeinsame europäische Verteidigung?

Ich sehe das britisch-französische Abkommen nicht unbedingt als Prototyp für eine europäische Zusammenarbeit. Aber es könnte durchaus nützlich sein als Vorbild für andere europäische Nationen, die enger zusammenarbeiten möchten. Zum Schutz unserer nationalen Interessen ist es sinnvoll, mit unseren engsten Partnern zu kooperieren. Hieraus ergaben sich einige Bereiche für die praktische, nüchterne Zusammenarbeit. Wir werden die Kosten für Entwicklung und militärisches Gerät teilen, unnötige Duplizierung beseitigen, die Logistik koordinieren und Forschungsprogramme angleichen. Ich glaube, dass wir mit all dem unsere souveränen militärischen Fähigkeiten auch in Zeiten knapper Kassen verbessern können.

Welche Kräfte wird man nie mit anderen teilen können?

Staaten werden immer unterschiedliche Prioritäten haben, die von historischen, geografischen oder kulturellen Faktoren abhängen. Mit Frankreich haben wir im vergangenen Jahr zwei Abkommen geschlossen: eines zur Interoperabilität unserer Streitkräfte und militärischen Ausrüstung und eines zur Zusammenarbeit in Sachen atomarer Sicherheit. Wir werden mit Frankreich zum Beispiel auf eine gemeinsame Eingreiftruppe hinarbeiten, und wir werden auch im Hinblick auf die Einsatzweise unserer Flugzeugträger kooperieren. Aber letzten Endes wird Großbritannien Entscheidungen über den Einsatz seiner Streitkräfte auch weiterhin souverän treffen. Wir arbeiten zwar bei der nuklearen Sicherheit zusammen, aber jeder behält seine eigenen unabhängigen atomaren Abschreckungswaffen.

Wird es eines Tages eine europäische Armee geben?

Meine Meinung hierzu ist eindeutig: Es wird keine europäische Armee geben.

Die Nato will ein neues Kapitel in ihren Beziehungen zu Russland aufschlagen. War dieser Schritt angesichts der Erfahrungen Großbritanniens in den vergangenen Jahren voreilig?

Russland spielt eine wichtige Rolle bei verschiedenen internationalen Fragen, zum Beispiel in Bezug auf Iran, Afghanistan, den Balkan. In manchen Punkten sind wir immer noch unterschiedlicher Meinung - etwa beim Fall Litwinenko, den ich persönlich mit Präsident Medwedjew angesprochen habe. Aber wir sollten mit Russland kooperieren, wo dies im beiderseitigen Interesse liegt. Ein solcher Bereich ist die Sicherheitspolitik. Ich unterstütze die Bemühungen von Nato-Generalsekretär Rasmussen um eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Russland. Der Nato-Russland-Gipfel im vergangenen Jahr war erfolgreich. Die Beziehungen sind jedoch nicht unproblematisch. So müssen wir zum Beispiel das richtige Verhältnis wahren zwischen unseren militärischen Interessen und unserer Sorge um die Menschenrechte. Aber wir haben jetzt eine gute Grundlage, auf der wir vorankommen können.

Sollte sich die EU gegenüber Russland öffnen, die Reisebeschränkungen lockern und die Handelsschranken abbauen?

Ein wichtiges Element unserer Russlandpolitik ist es, auf der Ebene der Bürger Brücken zu bauen. Ich weiß, dass Russland besonders an einer visafreien Einreise für russische Staatsbürger in den Schengen-Raum interessiert ist. Großbritannien ist zwar nicht Teil des Schengen-Raums, aber wir begrüßen diese Bestrebungen. Ich befürworte auch einen Beitritt Russlands zur WTO. Er würde Russland in eine bedeutende internationale Struktur einbinden, den Weg zu einem raschen, erfolgreichen Abschluss des neuen EU-Russland-Abkommens mit seinen ambitionierten handelspolitischen Bestandteilen ebnen und Präsident Medwedjews Modernisierungsprogramm unterstützen.

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URL:
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Quelle:
SZ vom 4. Februar 2011/segi
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