"Wann ist ein Mann ein Mann?", fragte Herbert Grönemeyer im Jahr 1984. Vier Minuten lang philosophierte er in seinem Song über Männer und war sehr erfolgreich damit, das zugehörige Album hielt sich mehr als anderthalb Jahre in den Charts. Man muss kein Fan sein, aber wer will, kann zwischen den Zeilen Kritik an Geschlechterklischees und schon damals überkommenen Rollenbildern herauslesen.
Dreißig Jahre später ist die Gesellschaft nicht viel weiter. Ein gewisser Mario Barth füllt mit flachen Frau-Mann-Vergleichen ganze Stadien, und in den Köpfen der meisten Menschen existieren symbolisch zwei große Schubladen: In der einen stecken Frauen, in der anderen Männer. Dazwischen gibt es nichts. Immerhin: Inzwischen sind auch homosexuelle Beziehungen akzeptiert. Lesbische TV-Moderatorinnen müssen ihre Partnerin nicht mehr verstecken, und Bürgermeister können öffentlich sagen: "Ich bin schwul, und das ist auch gut so."
Doch von einer wirklichen Akzeptanz sexueller Vielfalt ist Deutschland noch weit entfernt. Transsexuelle, Intersexuelle oder Menschen, die sich einfach nicht in eine Kategorie einordnen lassen wollen, stoßen auf Unverständnis und erfahren Diskriminierung. SZ.de räumt mit den häufigsten Vorurteilen über Transsexuelle, Intersexuelle und die Dualität der beiden Geschlechter auf.
Zum Stichwort "Akzeptanz sexueller Vielfalt" aus aktuellem Anlass:
Weil trans- und intersexuelle Menschen in öffentlichen Schwimmbädern häufig angefeindet werden, sollen sie in Berlin jetzt frei von den Blicken anderer schwimmen können. Das Stadtbad Schöneberg wird künftig zwei Stunden pro Monat nur für Trans- und Intersexuelle öffnen. In "geschützten Räumen" sollen sie ohne "abfällige Bemerkungen" Sport treiben können, wie SPD und Grüne in Tempelhof-Schöneberg argumentieren. So soll Menschen, die sich kaum in Badekleidung in die Öffentlichkeit gewagt haben, entspanntes Schwimmen ermöglicht werden, weil andere sonst oft gehässig reagieren. Ähnliche Regelungen gibt es bereits in einem privaten Kreuzberger Bad. (dpa/sebi)
Vorurteil eins: Geschlecht ist etwas Eindeutiges und Naturgegebenes
"Geschlecht ist eine wichtige Ordnungsstruktur unserer Gesellschaft," sagt Judith Conrads vom Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW der Universität Duisburg-Essen. "Das Alltagswissen geht davon aus, Geschlecht sei etwas Natürliches", sagt Conrads. "Und Naturgegebenes wird selten hinterfragt."
Allein durch ihre Existenz stellen Intersexuelle das vermeintlich Naturgegebene in Frage, denn auch sie sind nun mal von "Natur aus" so, wie sie sind. Deshalb wird in der Wissenschaft zunehmend eine soziale, gesellschaftliche Komponente der Kategorie Geschlecht diskutiert. Demnach ist die Trennung zwischen nur zwei Geschlechtern eben nicht naturgegeben, sondern menschengemacht und willkürlich konstruiert.
Prominenteste Vertreterin dieser These ist die Genderforscherin Judith Butler, die in zahlreichen Werken ausbuchstabiert hat, dass Körper und Gesellschaft nicht getrennt voneinander zu sehen sind. Konkret: Auch wenn der Körper als naturgegeben erscheint, ist er Teil einer gesellschaftlichen Vorstellung. Dahinter steht die Frage, was eine Frau zur Frau macht - und was einen Mann zum Mann. Gängige Antwort: Frauen können Kinder bekommen, Männer nicht. Dass weit verbreitete Denkmodelle wie diese zu kurz greifen, verdeutlicht allein die Tatsache, dass Tausende von Menschen in Deutschland keine Kinder bekommen können, obwohl sie sich welche wünschen. Sind sie also keine Frauen oder keine Männer?