Sexualstrafrecht:Wenn schon das Wort Nein genügt

Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink

Gina-Lisa Lohfink am 1. Juni 2016 im Amtsgericht Tiergarten.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Die mutmaßliche Vergewaltigung von Gina-Lisa Lohfink beschäftigt die Politik. Der Justizminister will das Sexualstrafrecht rasch verschärfen.

Von Verena Mayer, Berlin, und Ronen Steinke

Dass zwei Mitglieder der Bundesregierung am Wochenende neu über die geplante Reform des Sexualstrafrechts diskutiert haben, liegt an einem schummrigen, vier Jahre alten Video. Eine junge Frau wurde von zwei Männern beim Sex gefilmt. Über Stunden, obwohl sie protestierte: "Ihr seid krank, wie kann man nur die ganze Zeit filmen?"

Die Männer machten weiter, sie wollten das Video der Bild-Zeitung und RTL verkaufen, später stellten sie es ins Internet. Denn die Frau, um die es geht, ist berühmt, das Model Gina-Lisa Lohfink, 29. Sie zeigte die Männer wegen des Videos an. Die Wohnungen der beiden wurden durchsucht, Computer und Handys beschlagnahmt, auf einem fanden sich acht Filme von Lohfink. Die beiden Männer kamen vor Gericht und wurden zu einer Geldstrafe verurteilt, wegen "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen".

Bis hierhin könnte dies eine weitere Episode aus dem Leben einer Prominenten sein, die mal Kandidatin der Castingshow "Germany's Next Top Model" war. Doch seither fügte Lohfink ihren Vorwürfen weitere hinzu. Sie hätte damals K.o.-Tropfen verabreicht bekommen, sei zum Sex gezwungen worden, habe Wunden davongetragen. Deswegen gibt es in Berlin nun einen neuen Prozess. Allerdings nicht gegen die beiden Männer.

Auf der Anklagebank sitzt Gina-Lisa Lohfink. Wegen falscher Verdächtigung. Der Fall befeuert die ohnehin brodelnde politische Debatte um den Vergewaltigungs-Paragrafen 177. Nicht nur in sozialen Netzwerken, wo sich Nutzer unter dem Hashtag #TeamGinaLisa hinter das Model stellten, gilt er vielen nun als Exempel. Vor allem, weil Lohfink selbst beklagt: Die Justiz glaube ihr nur deshalb nicht, weil sie sich nicht körperlich gegen die beiden Männer gewehrt habe.

Opfer sollen nicht erst beißen, kratzen oder schlagen müssen

Es gibt haarsträubende Beispiele aus deutschen Gerichtssälen für eine solche Haltung von Richtern. Von einem "Widerstand", den eine Frau leisten müsse, bevor die Justiz von einer Vergewaltigung ausgeht, stand nie etwas im Gesetz; erst Richter hatten damit begonnen, dies einzufordern.

Heiko Maas (SPD) nutzte am Samstag das aktuelle Interesse, um sich davon zu distanzieren. Der Justizminister, der den Vergewaltigungsparagrafen bislang in ein paar anderen Punkten verschärfen will, zeigte sich bereit, die Gerichte in der umstrittenen Frage des "Widerstands" stärker an die Kandare zu nehmen: Opfer müssten nicht erst beißen, kratzen, schlagen, damit man von einer Vergewaltigung spreche; schon wenn sie Nein sagten, wäre ihre sexuelle Selbstbestimmung geschützt. "Für eine praxistaugliche ,Nein heißt Nein'-Lösung sind wir offen", sagt Maas.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) erneuerte ihre Forderung nach dem Prinzip "Nein heißt Nein" mit Verweis auf den Fall Lohfink; ebenso die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), die kritisierte, Maas bewege sich noch zu langsam.

Ob aber die Berliner Justiz, die den Fall Lohfink verhandelt, tatsächlich noch an die Kandare genommen werden muss?

Selbst Lohfinks Anwalt sprach von "einvernehmlichen sexuellen Handlungen"

Vor dem Amtsgericht hatte Lohfink Anfang Juni einen Schwächeanfall, der Prozess musste vertagt werden. Er soll am 27. Juni fortgesetzt werden, dann werden erste Zeugen gehört. Vor der Tür des Gerichtssaals sagte Lohfink unter Tränen, sie sei froh, dass sie überhaupt am Leben sei. "Die haben mich da eingesperrt, ich hätte auch sterben können."

Die, das sind: Pardis F., 28, Fußballer, und Sebastian C., 34, VIP-Betreuer in einem Berliner Club. Man lernte sich im Juni 2012 auf einer Party in Berlin kennen, "F. war ja nett, der C. auch", sagte Lohfink später der Polizei. F. kannte sie, die beiden schrieben einander, auch noch mehrere Tage nach der Tat. "Geht's dir gut, vermisse dich", schrieb Lohfink.

An jenem Juniabend trank man erst Wodka-Red-Bull, Weißwein-Schorle und Champagner, danach ging man zu dritt in eine Wohnung am Kurfürstendamm, wo das Video entstand. Über Jahre war es auf Porno-Portalen illegal abrufbar, erst vor einigen Tagen wurde es dort gelöscht.

Von hier an weichen die Versionen voneinander ab. Lohfink sagt, sie habe geweint und versucht davonzulaufen. Sie habe "Nein, nein, nein" und "Hilfe, Polizei" gerufen. Christian Gerlach, der Anwalt der beiden Männer, nennt diese Vorwürfe "völlig unglaublich".

Der Süddeutschen Zeitung sagte er, auf den Dateien, die auf den Handys der beiden Männer gefunden wurden, sehe man, wie Lohfink tanze, singe, einen der Männer küsse, zum Sofa gehe oder am Computer sitze. Während des Filmens habe sie immer wieder das Zimmer verlassen. Selbst Lohfinks Anwalt, der 2012 gegen die Verbreitung des Videos vorging, sprach in der Anzeige, die der SZ vorliegt, von "einvernehmlichen sexuellen Handlungen".

Die Staatsanwältin verfolge Verbrechen an Frauen mit harter Hand

Die Ermittler sichteten Filmdateien, ließen Gutachten erstellen. Von Lohfink eine Aussage zu bekommen war kompliziert. Einen Termin bei den Ermittlern sagte ihre Managerin ab, weil Lohfink sich erkältet habe, als sie für einen Werbespot auf Mallorca in einen Pool mit kaltem Wasser sprang.

Ein weiterer kam nicht zustande, weil Lohfink für einen Auftritt bei der Berliner Erotikmesse stundenlang in der Maske sitzen musste. "Ärgerlich", notierte die Staatsanwältin in den Akten. Über die Juristin heißt es in Berliner Justizkreisen, dass sie Verbrechen an Frauen mit harter Hand verfolge. Als der Sohn von Uschi Glas 2015 zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil er eine Prostituierte getreten hatte, hatte sie ein Jahr Haft gefordert.

Schließlich gab es ein Gutachten aus dem Labor der Berliner Charité. Darin schloss der Toxikologe, der alle Filmdateien gesehen hatte, aus, dass Lohfink unter Drogen gesetzt wurde. Sie sei zur Tatzeit wach und ansprechbar gewesen, habe angemessen reagiert, Fragen beantwortet. All das sei unmöglich, wenn man K.o.-Tropfen im Körper habe.

Und wenn schon das Wort Nein genügt? Auch nach diesem strengeren Prinzip sah die Staatsanwältin keinen hinreichenden Verdacht, denn als Gina-Lisa Lohfink zu den Männern "Hör auf" sagte, habe sie sich nicht auf eine sexuelle Handlung bezogen, sondern auf das Filmen.

"Dieses Wort Vergewaltigung ist ja so ein großer Begriff, das ist so schwer", sagte Lohfink 2012 bei der Polizei. Damit hat sie wohl die Diskussion um das Sexualstrafrecht auf den Punkt gebracht.

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