Süddeutsche Zeitung

Sexualstrafrecht:Die Opfer sind Frauen

Justizminister Heiko Maas strebt eine Reform des Sexualstrafrechts an. Sie ist gut gemeint, aber zu schwach. Es muss im Gesetz verankert werden, dass es schon Gewalt ist, wenn ein Täter gegen den ausdrücklichen Willen des Opfers verstößt.

Von Joachim Käppner

Das Model Gina-Lisa Lohfink beschuldigt zwei Männer, sie vergewaltigt zu haben. Doch die Staatsanwaltschaft in Berlin glaubt ihr nicht. Die Männer waren zumindest widerwärtig genug, ein Video der Szenen ins Netz zu stellen, von denen sie behaupten, es gehe um einvernehmlichen Sex. Der Film ist nun gelöscht, dass die offenkundig benommene Lohfink darauf wiederholt "Hör auf" sagt, hat die Staatsanwaltschaft nicht überzeugt, da stets nur einzelne Handlungen gemeint gewesen seien. Man wundert sich da schon, es ist aber Sache des Gerichts, die Wahrheit zu finden.

Ganz unabhängig davon, wer nun recht hat und recht bekommen wird, weist der Fall auf grundsätzliche Probleme des Sexualstrafrechts hin, auf Defizite zu Lasten der Opfer nämlich - und diese Opfer sind in den meisten Fällen Frauen, die Täter Männer. Nur hier mutet das Gesetz dem Opfer zu, eine bestimmte Rolle zu spielen: Es muss sich seinem Peiniger deutlich entgegensetzen oder mit Gewalt gezwungen werden. Ist das Opfer aber zum Beispiel vor Angst stumm und apathisch, wehrt es sich vor lauter Schock nicht, sind die Kriterien einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung nach Paragraf 177 des Strafgesetzbuches meist nicht erfüllt. Es genügt nicht einmal, Nein zu sagen, obwohl Nein nicht schwer zu begreifen ist.

Typische Delikte dieser Art geschehen nicht so häufig nachts durch Fremde in dunklen Gassen, sondern meist im sozialen Nahbereich. Viele Frauen, die von den eigenen Männern geprügelt und missbraucht werden, sind seelisch gar nicht mehr imstande, sich so zu wehren, wie es das Gesetz von ihnen verlangt. Das Ganze ist so, als würde ein muskulöser Straßenräuber, der einen alten Herrn auffordert, ihm sofort sein Geld zu geben, nur als einfacher Dieb bestraft, weil das verängstigte Opfer nicht protestiert und sein Portemonnaie überreicht hätte, statt sich mit dem Krückstock zur Wehr zu setzen.

Eine Reform der Reform ist nötig. Ihr Prinzip: Nein heißt Nein

Dabei hat die Bundesrepublik 2011 die Istanbul-Konvention des Europarates unterzeichnet: Nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen sollen unter Strafe stehen. Was gibt es daran misszuverstehen? Aber geltendes Recht ist das in Deutschland noch nicht geworden. Nicht einmal die gut gemeinten Reformpläne für das Sexualstrafrecht durch Justizminister Heiko Maas (SPD) schließen diese Schutzlücke wirklich. Völlig zu Recht fordern Abgeordnete aller Parteien nun die Verankerung des Prinzips: Nein heißt Nein. Es verlangt ja niemand, dass künftig jeder Flirt als versuchtes Sexualverbrechen zu bewerten wäre, solche Behauptungen sind ideologischer Unsinn. In einem fraktionsübergreifenden Eckpunktepapier von Abgeordneten heißt es: "Der Täter muss gegen den Willen des Opfers handeln, um eine Strafbarkeit zu begründen. Das Opfer muss einen der sexuellen Handlung entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringen" - ob es nun Nein sagt, weint oder sich wehrt. Das sind klare und vernünftige Prinzipien.

Ein Gegenargument lautet, in vielen Fällen würde der Beweis schwerfallen oder gar nicht möglich sein. Dann stehe Aussage gegen Aussage, besonders, wenn das Geschehen länger zurückliegt und es keine Beweismittel mehr gibt. Das ist in der Tat ein Problem, kann aber nicht bedeuten, dass man dann eben gleich auf die Anwendung des Strafrechts verzichten soll, Pech für die Opfer. Ähnlich haben die Gegner des heutigen Straftatbestandes der Vergewaltigung in der Ehe lange Zeit argumentiert, die Praxis hat sie dann widerlegt.

Auch bei ihnen klang immer eine Haltung mit, derzufolge nicht wahr sein dürfe, was man nicht wahrhaben will. Es bleibt also eine Aufgabe des Staates, das Sexualstrafrecht endgültig von jenem Geist vieler Jahrzehnte zu lösen, in dem die Rechte der Frauen als nachrangig galten.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2016
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