Sexualmoral:Der Anti-Antibabypillen-Papst

Die katholische Kirche und die Antibabypille

Der Katholikentag in Essen sandte 1968 eine klare Botschaft nach Rom. Mit der Entscheidung des Papstes war man ganz und gar nicht einverstanden.

(Foto: SZ Photo/dpa)
  • Vor 50 Jahren war es die Meldung des Tages: Papst Paul VI. verbietet den Gläubigen künstliche Verhütungsmittel.
  • Damals hatte der Papst seine Enzyklika veröffentlich, die Empörung über den Inhalt war groß.
  • Einen großen Einfluss auf den Beschluss hatte offenbar der damalige Bischof und spätere Papst Johannes Paul II.

Von Matthias Drobinski

Es war ein Paukenschlag für die katholische Welt, ein Schock für viele Katholiken; weltweit war dies an jenem 25. Juli 1968 die Meldung des Tages: Papst Paul VI. verbietet den Gläubigen künstliche Verhütungsmittel. Kein Papstschreiben hat je eine solche Wirkung gehabt wie die "Pillen-Enzyklika" Humanae Vitae, die vor 50 Jahren erschien - wenn auch anders, als Papst Paul VI. gehofft haben mag. Sie hat die Katholiken nicht von Pille und Kondom ferngehalten - sie hat einen tiefen Graben aufgerissen zwischen Gläubigen und Lehramt. Sie fördert und festigt bis heute den Ruf der katholischen Kirche, lebensfern und sexualfeindlich zu sein.

Die Enttäuschung vieler Katholiken war auch deshalb so groß, weil sie gehofft hatten, dass die katholische Kirche von ihrer bisherigen rigiden Position abrücken würde. Hatte nicht eben erst das Zweite Vatikanische Konzil so viele Fenster zur Welt geöffnet? 1967 war bekannt geworden, dass die Mehrheit einer päpstlichen Kommission in einer Denkschrift dafür plädierte, nicht jeden einzelnen Sexualakt moralisch zu bewerten, sondern ob die "Gesamtheit des Ehelebens" offen für Kinder sei. Im Herbst des gleichen Jahres, so ist jetzt bekannt geworden, fragt Papst Paul VI. diskret Bischöfe um ihre Meinung: Nur sieben von 25 waren gegen eine Freigabe der künstlichen Verhütung.

Doch Papst Paul VI. folgte überraschend dem Plädoyer der Minderheit. Besonders beeindruckt hatte ihn ein Aufsatz des jungen Erzbischofs von Krakau, Karol Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II.: Pille und Kondom seien auch deshalb verwerflich, weil sie Frauen den Männern jederzeit sexuell verfügbar machten - ein geradezu feministisches Argument. Die Art aber, mit der die Enzyklika durchaus bedenkenswert über Sexualität, Liebe, Hingabe und Elternschaft schrieb, wurde als legalistisch und starr empfunden. Der Text verlange "blinde Hinnahme", klagte der Schriftsteller und Katholik Heinrich Böll.

Was folgte, war ein Aufstand der Katholiken vor allem in Westeuropa. Der deutsche Katholikentag wenig später in Essen wurde zum Tribunal der empörten Laien. Die deutschen Bischöfe versuchten die Wogen mit der "Königsteiner Erklärung" zu glätten: Wie katholische Ehepaare verhüteten, müssten sie "in gewissenhafter Prüfung nach objektiven Normen" herausfinden. Den Liberalen war das zu wenig, den Konservativen galt das als Verrat.

Die meisten Katholiken lösten das Problem auf gut katholische Weise: Sie machten ohne große Diskussion, was sie für richtig hielten; nur eine Minderheit verzichtete aus religiösen Gründen auf Pille und Kondom. Die sexuelle Revolution war mächtiger als der Papst. Für Paul VI., der vor der Veröffentlichung lange mit sich gerungen hatte, war die Sache tragisch: Er, der leise Reformer, war auf einmal der verspottete "Pillen-Paule"; er sah sich unverstanden und schrieb bis zu seinem Tod 1978 keine einzige Enzyklika mehr.

Für seinen Nachfolger Johannes Paul II., der ja zu den Vätern von Humanae Vitae gehörte, blieb die Sexualmoral ein Lieblingsthema. Papst Benedikt XVI. blieb dann wesentlich zurückhaltender; ohne das Verhütungsverbot insgesamt infrage zu stellen, stellte er fest, dass es besser sei, wenn HIV-Infizierte Kondome nutzten, um den Partner nicht anzustecken. Franziskus scheint nun zu versuchen, Humanae Vitae positiv zu interpretieren - Paul VI. sei es darum gegangen, dass bei der Frage der Geburtenregelung die "Würde der Person respektiert" werde.

Er könnte, wenn er wollte, das Pillen-Verbot für Katholiken aufheben. Doch danach sieht es auch 50 Jahre nach Humanae Vitae nicht aus.

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