Sexualisierte Gewalt in Kriegen:Weit verbreitet, immer noch tabuisiert

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Diese Kongolesin ist eine Überlebende sexualisierter Gewalt und Fürsprecherin für Betroffene. In der Republik Kongo sind Vergewaltigungen als Kriegsmittel seit Jahrzehnten verbreitet.

(Foto: AFP)
  • Am Dienstag hat der UN-Sicherheitsrat auf Initiative Deutschlands eine Resolution gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten angenommen.
  • Dazu gehören den Vereinten Nationen zufolge nicht nur Vergewaltigung und Missbrauch, sondern auch erzwungene sogenannte Prostitution, Sterilisation, erzwungene Schwangerschaft oder erzwungene Abtreibung.
  • Genaue Zahlen darüber, wie viele dieser Übergriffe weltweit passieren, gibt es nicht. Auch weil die Situation oft zu chaotisch für eine stringente Datenerfassung ist.

Von Jana Anzlinger

Das Mädchen trägt eine Gesichtsbemalung. Unter der weißen und blauen Farbe ist es selbst kaum noch zu erkennen. Die Frau hat ein traditionelles Tuch um ihren Kopf gewickelt, nur eine Haarlocke und ihre dunklen Augen schauen hervor. An ihrem Blick erkennt man, wie ernst der Gesichtsausdruck sein muss. Der Mann steht im Schatten, nur ein Teil seines Gesichts ist sichtbar - ein anderer Mann steht hinter ihm wie eine Bedrohung. Die drei Fotos aus dem diesjährigen Bericht über sexualisierte Gewalt in Konflikten des UN-Generalsekretärs sind nur Symbolbilder. Aber selbst wenn sie keine tatsächlichen Überlebende zeigen, können sie als sinnbildlich für die Thematik gesehen werden. Sexualisierte Gewalt ist in Kriegs- und Konfliktgebieten weit verbreitet und trotzdem ist das Problem in der Weltöffentlichkeit nicht präsent: Die Betroffenen werden nicht gesehen.

"In modernen Konflikten ist es gefährlicher, eine Frau zu sein, als ein Soldat zu sein": Dieser Satz eines UN-Generals bezog sich 2008 auf die Lage in Zentralafrika. Nicht nur dort ist der Satz mehr als zehn Jahre später noch aktuell. Viele Konflikte sind von Übergriffen gegen Frauen und vermehrt auch gegen Kinder geprägt, wie Generalsekretär António Guterres in dem aussagekräftig bebilderten Bericht zum Thema schreibt. "Die Analyse der Trends von 2018 bestätigt, dass sexualisierte Gewalt weiterhin zur breiteren Strategie in Konflikten gehört, und dass Frauen und Mädchen besonders betroffen sind." Zu dieser Art von Gewalt gehören den Vereinten Nationen zufolge eine Reihe von Vergehen: nicht nur Vergewaltigung und Missbrauch, sondern auch erzwungene sogenannte Prostitution, Sterilisation, erzwungene Schwangerschaft oder erzwungene Abtreibung.

Genaue Zahlen darüber, wie viele dieser Übergriffe weltweit passieren, gibt es nicht. Zum einen ist die Situation oft zu chaotisch für eine stringente Datenerfassung. Zum anderen werden Betroffene in vielen Ländern stigmatisiert. "Leider stoßen viele Überlebende von konfliktbezogener sexualisierter Gewalt auf entmutigende soziale und strukturelle Barrieren, weshalb ihre Fälle nicht gezählt und erst recht nicht weiterverfolgt werden", so Guterres.

In welchen Konflikten diese Art von Gewalt überhaupt eine Rolle spielt, lässt sich allerdings recht gut nachvollziehen, vor allem aufgrund von Berichten etwa von UN-Mitarbeitern und NGOs. Auch die Täterschaft ist häufig bekannt. So entsteht eine Art Weltkarte des Grauens:

Der UN-Bericht bestätigt einen Eindruck vieler NGO- und UN-Mitarbeiter vor Ort: Die Übergriffe werden immer häufiger von nicht-staatlichen Akteuren begangen. "Während des Berichtszeitraums waren nicht-staatliche Akteure wie etwa bewaffnete Gruppen, lokale Milizen und kriminelle Elemente für die Mehrheit der Vorkommnisse verantwortlich", schreibt Guterres. Das spiegelt heutige Konflikte wider, die sich häufig nicht mehr zwischen zwei Regierungen abspielen.

Die Ursachen für diese Form der Gewalt sind nicht einfach auszumachen. Fest steht: Es handelt sich meist nicht um vereinzelte Verbrechen, ausgeführt von seelisch abnormen Tätern. Aus dem Osten des Kongo etwa ist bekannt, dass bis in die Gegenwart Massenvergewaltigungen als Waffe eingesetzt werden, um die Zivilbevölkerung für eine mutmaßliche Zusammenarbeit mit dem Gegner zu bestrafen und die Dorfgemeinschaften zu zerstören. In den vergangenen Jahrzehnten, in denen die Kämpfe in der Demokratischen Republik Kongo nie aufgehört haben, wurden bereits mehrere Hunderttausend Frauen und Mädchen vergewaltigt. Wie die Vereinten Nationen nun berichten, ist die Zahl der Opfer 2018 sogar noch einmal angestiegen.

In vielen Fällen droht die Gefahr von mehreren Konfliktparteien, etwa in Syrien: Für das Land ist es dem Bericht zufolge zwar schwierig, zuverlässige Daten zu erhalten. Es gebe aber glaubwürdige Hinweise etwa auf Übergriffe gegen Frauen und Mädchen in Flüchtlingslagern, an Straßensperren oder wenn die Männer in ihrem Haushalt festgenommen würden. Die Täter stammen aus der Armee und aus Milizen, die mit den Regierungstruppen verbündet sind. Außerdem kritisieren die Vereinten Nationen, dass noch immer Frauen - und auch sehr junge Mädchen - gezwungen werden zu heiraten. Wo Extremisten die Kontrolle übernommen haben, wurden Männer unter dem Verdacht der Homosexualität "mittelalterlichen" Strafen unterzogen - was bedeutet, dass sie ermordet wurden. Als Strategie gegen Jesiden hat der sogenannte IS zudem deren Frauen und Mädchen entführt und lange Zeit in Gefangenschaft gehalten, missbraucht und vergewaltigt. Aber nicht immer ist klar, wer die Täter sind.

Der UN-Sicherheitsrat beschäftigt sich mit dem Thema

Für die internationale Politik waren derartige Verbrechen lange Zeit kein Thema. Das Interesse der breiten Öffentlichkeit weckten Hilfsorganisationen und Menschenrechtsgruppen erst, als sie in den 90er-Jahren die Massenvergewaltigungen im Balkankonflikt anprangerten. In einigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates wurde seitdem Vergewaltigung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.

Am Dienstag hat der UN-Sicherheitsrat auf Initiative Deutschlands eine Resolution gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten angenommen. Für den Entwurf stimmten in New York 13 Staaten. Russland und China enthielten sich. Die Bundesregierung hatte den Text eingebracht, um wirksamer und schneller gegen Vergewaltigungen in Kriegen vorzugehen. Die USA hatten zunächst mit einem Veto gegen die Resolution gedroht. Sie wehrten sich gegen eine Passage über sexuelle und reproduktive Gesundheit, die auch Abtreibungen erwähnte. Die Passage wurde gestrichen.

Mit der Resolution werde sichergestellt, dass sexuelle Gewalt Konsequenzen habe für die Täter, auch in Form von Sanktionen, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), der die Sitzung leitete. Deutschland hat bis 2020 einen der nichtständigen Sitze inne und aktuell den Vorsitz des Gremiums. Die Welt müsse die Strafverfolgung der Täter sicherstellen, sagte der Bundesaußenminister. Die Überlebenden gehörten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. "Die Resolution ruft deshalb alle UN-Mitgliedstaaten dazu auf, sie zu unterstützen, durch besseren Zugang zur Justiz, medizinische und psychologische Hilfe und Unterstützung bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft." Die Betroffenen müssten nach ihren schrecklichen Erfahrungen ein Leben in Würde führen können.

Neben Guterres nahmen unter anderem auch die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney und die Friedensnobelpreisträger von 2018 Nadia Murad und Denis Mukwege teil. Beide kämpfen gegen sexualisierte Gewalt - die Jesidin Murad als Überlebende, der Kongolese Mukwege als Arzt, der Betroffenen wieder zu einem Leben in Würde verhilft.

"Dass sexualisierte Gewalt in der deutschen Politik als Thema gesehen wird, ist ein Erfolg, keine Frage. Aber das ist erst seit Kurzem so", betont die Ärztin und Aktivistin Monika Hauser, die sich seit rund 30 Jahren für Überlebende einsetzt. Im Interview mit der SZ betont sie, im Kampf gegen sexuelle Gewalt und die weltweit verbreitete Straflosigkeit gebe es für Staaten wie Deutschland allerdings noch viel zu tun. Eine Möglichkeit sei etwa eine "konsequent feministische Außenpolitik", wie sie etwa Schweden verfolge, das bei allen Entscheidungen die Auswirkungen auf Frauen mit bedenke.

"Wenn wir nicht noch mehr Fälle von Vergewaltigung und Gefangenschaft gegenüber Frauen wollen, müssen wir diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die sexualisierte Gewalt als eine Waffe angewendet haben": Diesen Satz formulierte die Aktivistin Murad im Dezember 2018, als sie den Nobelpreis entgegennahm - und zeigte sich verhalten optimistisch, dass die neue Aufmerksamkeit für das Thema nachhaltig wirkt: "Ich hoffe, dass heute eine neue Ära beginnt - in der Frieden eine Priorität ist und in der die Welt gemeinschaftlich an einem Plan arbeitet, um Frauen, Kinder und Minderheiten vor Verfolgung und besonders vor sexualisierter Gewalt zu beschützen."

Mitarbeit: Markus C. Schulte von Drach

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