Sexismus-Vorwürfe:Liberale nehmen Brüderle in Schutz

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"Stern"-Autorin Laura Himmelreich, die in einem Artikel Sexismus-Vorwürfe gegen Rainer Brüderle erhebt, erntet Kritik aus den Reihen der FDP. Parteifreunde nehmen den Fraktionschef in Schutz und sehen Brüderle als Opfer einer Kampagne. Der Betroffene selbst äußert sich weiter nicht.

Nach den Sexismus-Vorwürfen, die die Stern-Redakteurin Laura Himmelreich in einem Text gegen Rainer Brüderle (FDP) erhebt, nehmen Parteikollegen den Fraktionsvorsitzenden der Liberalen öffentlich in Schutz und kritisieren die Autorin des Artikels. Außenminister Guido Westerwelle bezeichnete "diese Art der Berichterstattung ein Jahr nach einem angeblichen Vorfall" im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa als "zutiefst unfair". Zudem sei es "unmöglich", Brüderles Ehefrau in die Berichterstattung hineinzuziehen.

Himmelreich beschreibt in ihrem Artikel in der aktuellen Ausgabe des Stern einen Annäherungsversuch Brüderles in einer Hotelbar vor gut einem Jahr. "Brüderles Blick wandert auf meinen Busen", berichtet sie dort, anschließend habe der FDP-Mann gesagt: "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen." Im Laufe des Gesprächs habe er nach ihrer Hand gegriffen und diese geküsst.

Als Himmelreich versucht habe, den Politiker daran zu erinnern, dass sie Journalistin sei, habe er nur geantwortet: "Politiker verfallen doch alle Journalistinnen." Anschließend soll sich eine Sprecherin Brüderles bei Himmelreich entschuldigt haben.

Neben Westerwelle melden sich auch andere FDP-Vertreter zu Wort. Er halte es für "unprofessionell" und "abwegig", dass eine junge Journalistin, die sich vor über einem Jahr belästigt gefühlt habe, nunmehr "diese Belästigung auskramt", sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Rainer Stinner im Deutschlandfunk. Die Veröffentlichung komme zu dem Zeitpunkt, an dem Brüderle als Spitzenkandidat zur Bundestagswahl "eine neue herausragende Position" eingenommen habe.

Ohnehin sei das Hamburger Magazin Stern, das den Text veröffentlicht hatte, dem FDP-Fraktionschef "deutlich nicht gewogen", sagte Stinner. "Das ist so durchsichtig und das ist so primitiv, dass ich sage, das fällt eher auf den Journalismus des Stern zurück als auf Herrn Brüderle."

Autorin nimmt via Twitter Stellung zu Veröffentlichungszeitpunkt

Der Stern-Beitrag stieß auch bei anderen FDP-Politikern auf Kritik. "Es ist schade, auf welches Niveau der Stern mittlerweile gesunken ist", sagte der FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, zu Spiegel Online. "Ich wundere mich, dass die junge Journalistin offensichtlich über ein Jahr gebraucht hat, um ihr Erlebnis zu verarbeiten." Auf die Frage des FDP-Politikers Oliver Luksic, wieso sie ihre Vorwürfe erst ein Jahr später publik mache, antwortete Himmelreich in einer Twittermeldung.

"Diese Geschichte ist ein Tabubruch", sagte der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) Spiegel Online zufolge. "Wer es nötig hat, so etwas als 'Story' zu verkaufen, hat sich von seinem Chefredakteur vor den schmutzigen Karren spannen lassen." Wenn diese Art von Journalismus darauf abziele, "einen Menschen und seine Familie mit einem rücksichtslosen Schlag unter die Gürtellinie zu beschädigen", sei eine "Wegmarke" überschritten worden, sagte die FDP-Bundestagsabgeordnete Elke Hoff dem Online-Dienst.

Der thüringische FDP-Generalsekretär und Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für den Aufbau Ost, Patrick Kurth, hat den Bericht laut einer Vorabmeldung in der Mitteldeutschen Zeitung ebenfalls kritisiert. "Das riecht nach Inszenierung statt Recherche", sagte er. Es gebe für die Darstellung keine Belege und keine Zeugen. Kurth fügte hinzu: "Mir ist unverständlich, warum der Stern so einen für die Berufssparte peinlichen Artikel veröffentlicht." Das Büro von Brüderle wollte sich auf wiederholte Nachfrage nicht zu dem Artikel äußern.

Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn hat das Portrait inzwischen verteidigt. Der Artikel sei legitim, erklärte Osterkorn. Der erste Eindruck, den die Autorin vor einem Jahr vom Umgang des FDP-Politikers mit Frauen gewonnen habe, sei "im Laufe der Zeit bei weiteren Beobachtungen und Begegnungen" bestätigt worden. Es scheine ein "wiederkehrendes Verhalten" zu sein. Die Begegnung zwischen Brüderle und Himmelreich habe nicht in einem privaten Rahmen, sondern öffentlich an einer Bar stattgefunden, betonte Osterkorn. Junge Journalistinnen seien kein Freiwild, "weder für Piraten noch für ältere Herren aus der Politik".

Die Autorin selbst sagte dem Deutschlandfunk, sie habe Brüderle nicht anprangern wollen. Himmelreich wurde vom Deutschlandfunk auf dessen Internetseite zitiert, vor einem Mikrofon habe sie nichts sagen wollen. Sie wolle aber die Intention ihres Artikels persönlich klarstellen: "Der Tenor ihres Artikels sollte nie sein: Sie wurde von Rainer Brüderle belästigt und jetzt will sie ihn an den Pranger stellen." Wörtlich heißt es weiter: "Ihre Absicht sei es gewesen, aufzuzeigen, dass Brüderle ein Politiker sei, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Und dass der 67-Jährige nun als Spitzenkandidat der FDP im Wahljahr 2013 ins Rennen geschickt wird - das passe nicht."

Das Thema Sexismus hat jüngst größere öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Vor eineinhalb Wochen hatte die Spiegel-Online-Journalistin Annett Meiritz in einem Artikel den Sexismus im Berliner Politikbetrieb beschrieben. Darin hatte sie geschildert, wie aus den Reihen der Piraten diffamierende Gerüchte über sie verbreitet wurden und sie öffentlich als Prostituierte bezeichnet wurde.

Auch von Mitgliedern etablierter Parteien schrieb sie damals, ohne Namen zu nennen. "Schön ist es nicht, wenn mich ein amtierender Bundesminister zur Begrüßung extrafest an die Taille packt. Oder wenn, wie es eine Volontärin erlebte, ein Spitzenpolitiker nach einem Arbeitsessen 'Ich vermisse deine Nähe' simst." Der Artikel fand im Netz ein großes Echo. Der Vorstand der Berliner Piraten entschuldigte sich später in einem offenen Brief und kündigte an, sich stärker gegen Sexismus einzusetzen.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/kjan - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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