Sexismus-Vorwürfe in London:Mächtige Männer, junge Frauen - und sehr späte Scham

General Views Of Houses of Parliament

Ein Fußgänger vor dem Westminster-Palast, in dem das britische Parlament tagt.

(Foto: Getty Images)
  • Gegen den noblen Londoner "Presidents Club" sind nach einer Spendengala Sexismus-Vorwürfe erhoben worden.
  • Laut den Recherchen der Financial Times wurden Hostessen dort massiv bedrängt und mussten eine Schweigevereinbarung unterschreiben.
  • Der Skandal erreicht auch die Regierung: Einige Politiker waren dort Gäste oder haben den Abend mit organisiert.

Von Cathrin Kahlweit, London

Nadhim Zahawi ist die Sache offenbar peinlich. Er verurteile das Verhalten der Männer, die sich auf einer Party des "Presidents Club" danebenbenommen hätten, schreibt er auf Twitter. Die Berichte über den Abend seien "schockierend". Und er wolle, so viel sei sicher, nie wieder einer Einladung zu einer Veranstaltung folgen, die ausschließlich für Männer ausgerichtet werde.

Es ist anzunehmen, dass Zahawi, Staatssekretär im Erziehungsministerium und pikanterweise zuständig für Kinder und Familien, schwer bereut, am vergangenen Donnerstag überhaupt ins edle Dorchester Hotel im Stadtteil Mayfair gegangen zu sein. Und dass er sich ärgert, nicht hinterher empört bei seiner Parteiführung Bericht erstattet zu haben, was da los war.

Grund genug hätte es gegeben, wie man seit Mittwoch weiß, als eine Reporterin der Financial Times die Bombe platzen ließ. Sie hatte sich als eine von 130 Hostessen für die Spendengala des Presidents Club, einem seit 33 Jahren abgehaltenen Charity Event, anwerben lassen; Bedingung: gutes Aussehen, hohe Absätze, knappes, schwarzes Kleidchen, schwarze Unterwäsche, kein Handy, keine Pause während der Arbeit, nett sein und flirten - und die Unterzeichnung einer fünfseitigen Schweigevereinbarung.

Diese war offenbar auch nötig, denn die Reporterin berichtete über Männer, die ihre Hände überall hatten, über unsittliche Angebote, über einen Mann, der unter dem Tisch seinen Penis aus der Hose geholt haben soll, von reichen Kerlen, die junge Damen aufforderten, den Champagner runterzukippen, ihr Höschen auszuziehen und auf dem Tisch zu tanzen. Nach der FT-Journalistin gingen auch andere Frauen, darunter viele Studentinnen, an die Presse, die sich für einen Abend von einer Personalagentur für den Job hatten anheuern lassen. Sie berichteten ebenfalls von aggressiver Anmache; "wir wurden behandelt wie Sex-Spielzeug", sagt eine.

Offizielles Motto des Abends: bei Wirtschaftsbossen und Magnaten Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln, wie jedes Jahr. Inoffizielles Motto: Mädels, nun habt euch doch nicht so.

In Zeiten, in denen "MeToo" die Schlagzeilen füllt und die britische Premierministerin nach mehreren Skandalen in den eigenen Reihen eine Kampagne gegen sexuellen Missbrauch in Parlament und Regierung gestartet hat, hätte man vielleicht vermuten dürfen, dass die Veranstalter den Abend etwas dezenter anlegen. Aber der Presidents Club hat das bei seinen Abendveranstaltungen immer schon so gemacht, "men only" - so wie auch einige der renommiertesten Clubs der Stadt bis heute keine Frauen aufnehmen. Der exklusivste von ihnen, White's an der St. James Street, 1693 gegründet, rühmt sich, über die Jahrhunderte viele Royals zu seinen Mitgliedern zu zählen, heute gehört Prinz Charles dazu. Frauen müssen draußen bleiben. Brook's, ein paar Häuser weiter, gewährt Frauen zwar Zutritt - aber sie dürfen keine Vollmitglieder werden. Boodle's, wo Kriegspremier Winston Churchill und James-Bond-Autor Ian Fleming einst Mitglieder waren, nimmt nicht nur keine Frauen auf, sondern hat auch einen eigenen Fraueneingang.

Theresa May hat wissen lassen, sie sei "entsetzt"

Und so wird der jüngste Aufreger nun in Zeitungskommentaren wie auf den Fluren von Westminster als weiterer Beweis dafür gehandelt, dass die Machos in Politik und Wirtschaft nicht lernfähig sind - und dass der Effekt der "MeToo"-Debatte nicht nachhaltig ist. Kabinettsmitglied Zahawi, erst vor zwei Wochen ernannt, erschien zum Beispiel nicht zu einer Fragestunde im Parlament, die am Mittwochmittag, direkt nach Bekanntwerden des Skandals, zum Presidents Club angesetzt worden war. Später wurde er zum Chief Whip der Tories, einer Art Einpeitscher der Fraktionsführung, bestellt; der zeigte ihm die gelbe Karte. Er muss wohl nicht zurücktreten, wurde aber ermahnt. Den weiteren Rauswurf eines Regierungsmitglieds kann sich May derzeit auch nur schwer leisten; im Herbst 2017 mussten zwei Minister wegen sexueller Belästigung gehen, andere Fälle werden noch immer untersucht.

Kolleginnen im Parlament schäumten. Die Staatssekretärin für Digitales, Margot James, sprach von "Sexismus mit einem Lächeln im Gesicht". Labour forderte den Politiker auf, zurückzutreten - und die Regierung, den Fall zu untersuchen. Theresa May hat wissen lassen, sie sei "entsetzt". Sie will nun überprüfen lassen, ob solche Schweige-Vereinbarungen, wie sie die Hostessen vor dieser Nacht offenbar unterschreiben mussten, verboten werden können. Einer der Organisatoren, ein reicher Geschäftsmann, räumte seinen Posten im Beirat des Erziehungsministeriums.

Kein Wunder. Mittlerweile füllen die Berichte über den skandalösen Abend, an dem etwa 300 Industrielle, Manager, Politiker und Prominente junge, für den Abend angeheuerte Frauen wie Prostituierte behandelten, die Medien wie kein anderes aktuelles Thema in Großbritannien. Sogar Mays Rede in Davos und ihr Treffen mit US-Präsident Donald Trump bekommen weniger Aufmerksamkeit. Es ist ja auch wirklich alles geboten, was einen echten Skandal ausmacht: mächtige Männer, junge, schockierte Frauen, Sex, Geld - und späte Scham. Sehr späte Scham.

Der Vorstand des Clubs sagt, es habe keine Übergriffe gegeben

Die Organisatoren des Dinners haben bekannt gegeben, dass es den Presidents Club als Spendensammel-Vereinigung nicht länger geben wird. Zahlreiche Organisationen, die von den etwa 25 Millionen Euro profitierten, die über die Jahre bei Dom Pérignon, Paté und Kaviar eingesammelt wurden, haben angekündigt, das Geld zurückzugeben. Die Great-Ormond-Street-Kinderklinik, Empfängerin eines Löwenanteils des Geldes, weist die Vermutung zurück, man habe schon immer ein schlechtes Gefühl bei der Annahme dieser Millionen gehabt. Aber nun sei in jedem Fall Schluss. Alles werde zurückgezahlt. Und die Prüfbehörde für Wohlfahrtsunternehmen, die Charity Commission, untersucht die Causa jetzt auch.

Derweil beteuert der Vorstand des exklusiven Clubs, man sei sich keiner Schuld bewusst, und es habe keine Übergriffe gegeben. Teilnehmerlisten kursieren, auf denen sich die wichtigsten Namen aus der City, Fernsehstars, Lobbyisten, Immobilienhaie, Investoren und Vorstandschefs finden. Unklar ist, wer nur auf der Liste stand, aber vielleicht gar nicht da war - weshalb das blame game, die Verbreitung öffentlicher Schuldzuweisungen, nur langsam anläuft.

Unter denen, die da waren und das auch sagen, gibt es einige, die bekunden, die Vorwürfe seien "ausgemachter Quatsch". Peter Bellman, Partner in einer Vermögensverwaltung, sagte der Times, die Hostessen seien da, damit der Abend Spaß mache. "Es ist eine Nacht für Jungs, aber der Fokus liegt auf der Wohltätigkeit." Sehr überzeugend klingt das nicht.

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