Serie: Körperbilder (15):Muskel und Masse

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Schröders Schweiß, Putins Oberkörper, Joschkas Bauch - was das Erscheinungsbild von Politikern über ihr Selbstverständnis verrät.

Kurt Kister

Im Englischen gibt es den ehrwürdigen Begriff vom body politic, dem politischen Körper. Schon Thomas Hobbes benutzte ihn in seinem 1651 erschienenen Klassiker "Leviathan" und meinte damit den Staat, den politischen Körper schlechthin. So wächst denn auch auf dem Titelblatt des "Leviathan" ein bärtiger Riesenmonarch mit Schwert und Zepter aus einer hügeligen Landschaft mit einer Stadt im Vordergrund. Der Körper des Leviathan besteht aus vielen kleinen Menschen, die in ihrer Gesamtheit den body politic ausmachen.

Wenn das Hemd am Leib klebte, war der Kanzler Gerhard Schröder in Hochform. (Foto: Foto: dpa)

Denkt man heute an den "politischen Körper", so hat man nicht unbedingt die Assoziation vom Gemeinwesen und dem Einen, gebildet aus den Vielen. Man denkt eher an mächtige Wichtigtuer, fast immer Männer, deren äußere Erscheinung ein erheblicher Teil des Typus ist, dem sie entsprechen wollen. Sie machen nicht unbedingt Politik mit dem Körper, aber ihr Körper gehört zur Politik.

Da ist etwa Silvio Berlusconi, der seine Haarverpflanzungen ebenso öffentlich zelebriert wie die zahlreichen Andeutungen reifer, wenn nicht überreifer Virilität. Er tritt auf wie eine Mischung aus Marcello Mastroianni und einem gealterten Veroneser Vorstadt-Stenz, der die eine Hand stets im Schritt, die andere am Telefonino hat.

Oder Wladimir Putin: Er pflegt das Image des kalten Engels, des Wasserblonden mit den harten Augen. Im Dienst trägt er dezente Anzüge, spricht kurze Sätze, und sein Gang ist so, als müsse er stets etwas entscheiden. Ein Büromensch? Nein, heilige Mutter Gottes von Kazan, ein Büromensch will Putin auf keinen Fall sein. Deswegen lässt er sich mit nacktem Oberkörper, Tarnhose und - Freud lässt grüßen - einer Angelrute fotografieren. Oder er schlägt im Karateanzug Dachziegel entzwei.

Und natürlich passt auch Nicolas Sarkozy, der hyperaktive Gestiker mit dem Napoleon-Komplex und dem öffentlich angetrauten Model, prächtig in diese Reihe.

Mannsein auf Mallorca

Bei Putin, Sarkozy und Berlusconi lautet die politische Botschaft nicht ecce homo (sieh, ein Mensch), sondern ecce vir (sieh, ein Mann). In Deutschland würde sich ein Politiker, der diese Art von Männlichkeit so zelebrieren würde, lächerlich machen. Man hat noch Rudolf Scharping in Erinnerung, einst Verteidigungsminister und daneben noch Teilzeit-Bademeister auf Mallorca.

Ja, gewiss, er war doch nur glücklich mit seiner neuen Frau. Aber das will man in Deutschland nicht wissen von einem Verteidigungsminister, und schon gar nicht von Scharping. Weil er damals, Hobbes möge verzeihen, seinen body private zur optischen Versinnbildlichung glücklichen Mannestums zeigte, flog er alsbald aus Gerhard Schröders Kabinett.

Aber ist nicht gerade Gerhard Schröder, körperpolitisch gesehen, bis heute eine Art Mastroianni vom Maschsee geblieben oder wenigstens ein nicht ganz lupenreiner Polit-Bodybuilder à la Putin? Doch, irgendwie schon. Kein anderer Bundeskanzler hat die Äußerlichkeiten so betont wie Schröder, zumindest wie der Schröder der ersten Amtszeit. Es waren die Jahre von Brioni und Cohiba, von Christiansen und "Wetten, dass..?"

Aber Schröder ist eben auch einer jener wenigen Politiker, die ihre Leidenschaft in der Körpersprache ausdrücken. Wenn er eine Rede hielt, mit der es ihm sehr ernst war, wenn er siegen wollte oder auch einem feindseligen Publikum gleichsam den Stinkefinger entgegenrecken mochte, dann tat er das, was Frank-Walter Steinmeier heute imitiert: Er schrie hemdsärmelig, er röhrte, er schwitzte, er höhnte, er haute aufs Pult und war unvornehm. Er konnte, ob auf Parteitagen oder in kleinen Runden, ein faszinierender, machtbewusster, höchst zielstrebiger Polterer sein, manchmal ein Prolet, der mit Worten und Körperlichkeit beeindruckte oder befremdete.

Noch bevor Schröder ins Amt kam, gab es die berlusconihafte Geschichte um Hillu, die Curry-Wurst und die damals neue, vierte Ehe. Die Körper spielten dabei eine gewisse Rolle, in jedem Fall aber stand der Phänotyp, das Äußerliche im Mittelpunkt. Das Personal der zu Tode zitierten Berliner Republik bestand weniger aus Denkern und Intellektuellen, sondern eher aus einer Politkaste, die nicht durch Albert Einstein und Wolfgang Borchert, sondern vielmehr durch das Café Einstein und das Restaurant Borchardt definiert wurde.

Joschka Fischer, der Cerruti-Außenminister, hielt gerne denkenderweise Hof und maulte fürchterlich, wenn man ihm vorhielt, in dieser Regierung sei der Schein mindestens ebenso wichtig wie das Sein. Ach, überhaupt: Joschka Fischer. Nirgendwo in der deutschen Nachkriegspolitik gab es jemals einen Haupt-Protagonisten, der das Volk so sehr an seinem Körper und dessen Entwicklungsstadien hätte teilnehmen lassen wie der mal mehr, mal weniger laufende Gourmet-Gourmand Fischer.

Joschka-Watcher (ein aussterbender Berufsstand) konnten an seinem Körpergewicht den Zustand seiner Beziehung, sein aktuelles politisches Hauptinteresse und bis zu einem gewissen Grad auch seinen Kontostand erkennen. Ist nicht mehr so wichtig heute, da seine Frau Minu häufiger in der Zeitung zu stehen scheint als er selbst.

Seitdem das rot-grüne Zwischenspiel unter Schröder und Fischer sein Ende gefunden hat, hat auch die Bedeutung des Phänotyps in der Politik nachgelassen. In Deutschland gibt es den etwas seltsamen Konsens, dass man eigentlich über den Körper, die Erscheinung eines Politikers wenig sagt und schreibt, weil das angeblich nichts mit der Politik zu tun habe.

Nun ja. Viele, die zum Beispiel den aktuellen Wirtschaftsminister sehen, denken wegen des gegelten Haars und der Wildleder-Brogues eher an Privatbank, Roland Berger, Jagdhunde, Segelclub als an Hartz IV, Migrationshintergrund oder Steuergerechtigkeit. Und wenn der Baron zu AC/DC geht, dann sieht er eben so aus wie ein Baron, der zu AC/DC geht.

Menschen beurteilen Menschen, zumal Politiker, nun einmal auch nach dem Aussehen und dem Auftreten. Kein Wunder, denn Kleidung, Frisuren, Bärte etc. sind zumeist sichere Indikatoren des Selbstgefühls eines Menschen; sie zeigen, wo sich einer einordnet oder sich eben nicht zugehörig fühlt. Sie senden Botschaften aus, im weiteren Sinne auch politische Botschaften. Wenn man Christian Ströbele oder Guido Westerwelle nur ansieht, kann man eine grundsätzliche Einschätzung gewinnen, wo sie herkommen und wo sie hingehören.

Das Kabinett Merkel ist von der Politik des Phänotyps her wieder auf der Ebene der Regierung Kohl. Zwar trifft dies nicht auf die Chefin zu, wohl aber auf viele Ministerinnen, Minister und Staatssekretäre. An Merkels Tisch sitzen Gestalten, aber kaum ein Typus, vielleicht mit Ausnahme von Schäuble und Steinbrück. Weder gibt es den spitzbübischen Dauerschwätzer à la Gysi noch den knorrigen Mir-doch-egal-Mann wie Struck, nicht einmal eine schwäbische Besserwisserin wie Herta Däubler-Gmelin. Dafür kommen die schönsten Männer (Minister zu Guttenberg, Sprecher Wilhelm) von der unwichtigsten Partei (CSU).

Im Schatten des Kolosses

Anders als ihre Vorgänger Kohl und Schröder fällt Merkel körperlich kaum auf. Wenn Kohl einen Raum, ja einen Saal betrat, wendete sich ihm alles zu: Er war schon immer groß und wurde im Laufe seiner langen Amtszeit immer dicker. Er war der Riese, der Koloss, der Situationsbeherrscher, der selbst den Mikro- und Kamerawald stets überragte. Er konnte regelrecht einschüchtern durch seine Masse. Die Tatsache, dass ihm selten einer bei seinen Monologen widersprach, hatte auch damit zu tun.

Schröder dagegen ist eher klein. Manchmal bemerkte man seine Ankunft nur, weil eine Phalanx von Sicherheitsbeamten die Menge in einem Saal teilte. Man wusste: Der in der Mitte, den du jetzt nicht siehst, das ist der Kanzler. Aber Schröder, der Amtsträger, war auch ein Charismatiker. Seine Anwesenheit war zu spüren, selbst wenn er nur irgendwo in der Ecke stand und, umgeben von seinen treuesten Hintersassen, griesgrämig eine Wurst mampfte. Klingt komisch, aber Kanzlersein macht Große riesig und Kleinere bedeutend.

Letzteres trifft auch auf Merkel zu. Ihr Weg von der zarten stellvertretenden Regierungssprecherin im letzten DDR-Kabinett zur Tante Deutschland im Jahr 2009 war lang. Sie hat zugelegt, politisch, an Erfahrung und auch sonst. Als Frau wird sie, so mag man hoffen, von ihrem Gatten wahrgenommen, und dann noch von all jenen, die sagen, dass es gut sei, dass endlich mal eine Frau regiere. Dabei regiert sie gar nicht so viel anders als ihre Vorgänger, allerdings macht sie weniger Gedöns um sich.

Wenn Schröder "Basta!" rief, wusste man, dass da auch der Macho schrie. Merkel würde in so einem Fall Steinmeier - kein Macho, keine Frau, kein Typus - vorher anrufen und dann Kauder "Basta!" sagen lassen. Und das ist wohl auch der wirkliche Unterschied: Körperbetonte Politik ist was für die Putins und Kohls, für die Berlusconis und Schröders. Die haben das nötig.

© SZ vom 20.05.2009/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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