Serie "Glaubenssache": Indien:Im Supermarkt der Seelen

Indische Neuzeit-Gurus bieten gestressten Kunden den schnellen Weg zum Glück - und werden so zu Gewinnern der Globalisierung.

Von Stefan Klein

Sie pilgern zu heiligen Stätten, meditieren in der Wüste, verehren Gott in der Natur, in Tempeln, Moscheen und Kathedralen: Überall suchen Menschen nach einem höheren Sinn ihres Daseins - und gehen dabei sehr unterschiedliche Wege. In einer Serie beschreiben SZ-Korrespondenten das spirituelle Leben in verschiedenen Kulturen der Erde.

Die Gurus der neuen Zeit: Sie sind die Konditionstrainer der Seele. Sie arbeiten praktisch, einfach, schnell. Sie pflegen den Appeal von Instantcoffee, denn sie wissen, dass im Hamsterrad der Globalisierung nichts so knapp ist wie Zeit. Sie haben eine allumfassende Vorstellung von Religion und Spiritualität, konfessionelles Denken ist ihnen fremd. Sie sind Experten darin, sich zu vermarkten, sie beherrschen die modernen Mittel der Kommunikation.

Ihr Mantra ist, anders als bei ihren Vorgängern, nicht die Lossagung von allem Materiellen. Sie sind ganz im Gegenteil dem Irdischen verhaftet und wollen es für ihre Kunden beherrschbar machen, und zwar unter Vermeidung von Stress, Frustrationen und Komplikationen. Denn darum geht es ja: mit dem Druck der zusehends materialistischen indischen Gesellschaft fertig zu werden. Neue Zeiten, neue Gurus. "New-age-gurus" nennt sie die Hindustan Times, von "Pop-Gurus" schreibt India Today. Ein Berufsprofil der anderen Art und entsprechend die Karrieren: Einer, der gestern Jeans verkauft hat, mag heute schon mit spirituellem Fastfood handeln.

Bei Vikas Malkani war es tatsächlich so. Der war mal Manager einer großen Textilfirma, er weiß, wie man ein Produkt vermarktet und dass es dazu vor allem griffiger Slogans bedarf, so genannter "buzz words". Die Fähigkeit, sich solche Schlagworte nutzbar zu machen, hat er nach seiner Erweckung im Alter von 29 Jahren nicht verloren, vielleicht ist sie dadurch sogar erst zur vollen Blüte gekommen.

Seelenkrieger

Was anderswo Praxis hieße, nennt Malkani "Soul Centre", also Zentrum für die Seele, und weil es natürlich auch einer Philosophie bedarf, hat er sich die des "Seelenkriegers" zugelegt. Trifft man sich mit ihm zum Gespräch, dann kann es sein, dass er plötzlich ein Kärtchen hervorzieht, auf dem nicht nur die Website, sondern auch das Motto des Vikas Malkani gedruckt steht: "Live Life Godsize!" Schwer zu übersetzen und vermutlich der Tabakwerbung entliehen. Man soll sich, heißt es wohl, an der Größe Gottes orientieren.

Dabei ist Malkani gar nicht religiös. Er zitiert zwar Jesus und Buddha (Worte des Letzteren hat er ebenfalls auf Kärtchen parat), findet aber, Gott sei zu groß, um in eine einzige Religion zu passen. Da denkt man dann unwillkürlich an das Anprobieren einer Jeans, aber vielleicht liegt das auch daran, dass wir noch keine Seelenkrieger im Malkanischen Sinne sind.

Im Supermarkt der Seelen

Die nämlich kämpfen gegen Ignoranz und negatives Denken, gegen Egomanie und Dunkelheit und vermutlich auch gegen Ironie und Sarkasmus. Malkani sagt, es sei nichts wirklich Neues, was er lehre, er habe die alten Weisheiten nur mit einem neuen Namen versehen und ihnen ein anderes Format gegeben, eines, das unkompliziert ist, leicht zu verstehen, kurzum: so benutzerfreundlich wie nur möglich. Damit der "Selbsttransformation" seiner Klienten nichts im Wege steht.

Ins Innere vom Inneren

Es sind die Gestressten, die zu ihm kommen. Das mögen solche sein, die trotz Ruhm und Geld nicht glücklich sind, aber auch solche, die sich im globalen Wettlauf abgehetzt und erschöpft haben. Malkani sagt: "Globalisierung erhöht den Stressfaktor, aber je größer der Stress ist, umso stärker ist das Bedürfnis nach einer Lösung." Und umso besser sind natürlich die Aussichten für ihn, Kunden zu finden. Sind es neue, dann macht er zunächst mit ihnen, was er eine "soul-to-soul-session" nennt - die eine Seele lehrt die andere, wie man richtig atmet und Spannungen abbaut. Später geht es dann noch tiefer, ins Innere vom Inneren.

Er arbeitet mit Kindern ("SoulKids"), er arbeitet mit Frauen ("SoulWomen), er hat Filmstars als Kunden, Politiker, und gelegentlich sind es auch große Firmen, die mit seiner Hilfe ihre Performance zu verbessern suchen. Und zwischendurch schreibt Malkani Bücher.

Die handeln von den direkten Wegen zu Erfolg und Liebe, und das nächste Werk wird seine Rezepte verraten für ein erfülltes Sexleben. So diesseitig ist der Mann, dass er sagt: "Sex ist genauso spirituell wie Geld." Einen Sadhu, einen auf höhere Einsichten fixierten Hindu-Asketen, mag es da schütteln, aber Malkani hat es ja gerade zum Markenzeichen gemacht, dass er einer ist, der nicht nur mitten im Leben steht, sondern auch dessen süße Seiten schätzt - und die technischen sowieso.

Zwei TV-Shows täglich

Zwei Fernsehshows hat er am Tag, seine Lehren vertreibt er mit Hilfe von CDs und Audio-Kassetten, und wenn seine prominenteren Kunden gerade nicht persönlich anwesend sein können, dann hilft er auch schon mal per Telefon oder online. Seine Zentren für die Seele sind teils real, teils virtuell.

Seriös? Die Frage stellt sich nicht, solange die Kunden kommen, und Malkani und Kollegen scheinen daran keinen Mangel zu haben. Natürlich gibt es Kritiker. Der Dichter und Aktivist Javed Akhtar etwa spottet über die spirituellen Supermärkte mit ihrem "instant Nirvana" im Angebot und behauptet, Spiritualität sei zur "Beruhigungspille für die Reichen" verkommen. Auch Professor Harish Narang, der an der Jawaharlal Nehru Universität in Delhi lehrt, hat so seine Zweifel. Viele dieser neuen Gurus, meint er, seien Scharlatane, gerissene Schwindler mit Sinn für die menschliche Psychologie - und das machten sie sich zunutze. Angezogen würden sie von dem vielen Geld, das mit Spiritualität zu verdienen sei - "bei dem Stress, wie er in Indien heute herrscht, ist das eine Millionen-Dollar-Industrie."

Mondstrahl und Massageöl

In der Tat, der Boom ist spürbar. Man erkennt es an den immer neuen spirituellen Fernsehkanälen, die den Malkanis ein Forum bieten. Man erkennt es an solchen spirituellen Läden wie "Moonbeam" (Mondstrahl), wo man sich mit Seelenhilfen aller Art eindecken kann - von entspannender Musik über Massageöl bis hin zu Kassetten und Büchern, die solche Titel tragen wie "Glück von innen" oder "Entdecke dich."

Geeta Shandra, die Besitzerin, sagt, es würden immer mehr solche Läden aufgemacht, weil es eine entsprechende Nachfrage gebe: "Die Menschen haben einfach das Bedürfnis, den Stress abzureagieren, dem sie tagtäglich ausgesetzt sind." Man erkennt den Boom aber auch an dem Erfolg des Ravi Shankar und seiner Stiftung "Art of Living". Das heißt: Die Kunst des Lebens.

Ravi Shankar gehört zu den Gurus der neuen Art, die Professor Narang für echt und glaubwürdig hält, sodass er selber schon einen seiner Kurse besuchen wollte. "Ich würde es liebend gerne machen", sagt er, "ich weiß, wie beruhigend das sein würde, wie eine Entgiftungskur." Und woher weiß er das? Von einem Bekannten, der an einem Kurs teilgenommen habe und anschließend ein neuer Mensch gewesen sei - kaum noch aggressiv, sehr viel entspannter.

Bei Narang selber scheiterte es aber am Zeitmangel oder anders gesagt: an eben jenem beruflichen Stress, dem er so gerne ein Ventil verschaffen würde. Vielleicht tut er es ja noch - wie Millionen andere, die bei Ravi Shankar richtiges Atmen gelernt haben.

Nasa und Shell als Kunden

Die Stiftung hat viele Zentren und viele Kurse, nicht nur in Indien, sondern in aller Welt. Furore gemacht hat aber vor allem jener Kurs, der darauf zugeschnitten ist, "corporate executives", also Spitzenmanagern, zu helfen, mit Stress fertig zu werden. Die Weltbankhat davon ebenso schon Gebrauch gemacht wie die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa, American Express oder der Ölriese Shell.

Und wenn man wissen will, wie es den Chefs denn so gefallen hat, dann wirft Gautam Vig, der Mediendirektor der Stiftung, auch schon seinen Laptop an, und kurz danach flimmert über den Schirm ein kleiner Film, der eine Gruppe Männer zeigt, wie sie die Arme in die Luft werfen. Es handelt sich um das Management der "Saudi American Bank", das nach dem Kurs vom neuen Teamgeist in der Bank schwärmt. Inzwischen soll sich der Aktienkurs des Unternehmens fast verdoppelt haben.

Im Supermarkt der Seelen

Nur drei Tage dauert der von Ravi Shankar entworfene Kurs, dem dann aber das tägliche Üben folgen muss. Das Ergebnis, sagt Gautam Vig, seien Menschen, die effektiver, produktiver und glücklicher seien, "und zwar in diesem Leben, nicht im nächsten." Früher sei die Erkenntnis im Ashram gesucht worden oder in der Einsamkeit des Himalaya, heute, im ständigen Wettbewerb, sei das nicht mehr möglich. Deshalb biete man Techniken mit "sofortiger Wirkung" an, "absolut lösungsorientiert." So könnten auch Manager reden, und ein Zufall ist das wohl nicht. Art of Living ist ja selber zum Global Player geworden. Guru Shankar wirkt zwar auf Fotos immer so selig entspannt - aber kann einer das tatsächlich sein, wenn er für seine Stiftung dauernd unterwegs ist und zum Beispiel im letzten Jahr 175 Städte in aller Welt besucht hat?

Heiligkeit in FrankfurtRavi

Shankar, den seine Anhänger mit Holiness, Heiligkeit, anreden, trägt ein weißes, mit Goldfäden durchwirktes Gewand. Er sitzt auf einem Sofa, eine Mitarbeiterin, sehr schön und ebenfalls weiß gekleidet, hockt zu seinen Füßen. "Alles klar?", fragt er zur Begrüßung. Er war auf seinen Reisen öfter in Deutschland und hat dort ein paar Brocken Deutsch aufgeschnappt. Was unter einem modernen Guru zu verstehen sei, fragen wir ihn. Da lächelt er und sagt, er sei nur ein Kind, das sich weigere, erwachsen zu werden. Im Folgenden ist dann viel von Liebe und Verständnis, Harmonie und Freundlichkeit die Rede. An einer Stelle fragen wir, ob es denn nicht manchmal zum Verzweifeln sei, so vielen gestressten Menschen zu begegnen. Da lacht Ravi Shankar und sagt, Verzweiflung könne er sich nun wirklich nicht leisten, ausgerechnet er, der doch Hoffnung zu bringen versuche. Lacht immer noch, und die Schöne kichert.

Keine Frage, der Mann scheint auch im wirklichen Leben so entspannt zu sein, wie er auf Fotos wirkt. In dem Haus in Delhi, in dem wir ihn treffen, wimmelt es vor Menschen, und alle wollen Guru Shankar sehen oder wenigstens in seiner Nähe sein. Gerade war er in Kaschmir, der nächste Flug geht nach Frankfurt - da könnte einer durchaus ein bisschen hektisch werden und das ruhige Atmen vergessen. Ravi Shankar indes hält liebenswürdig Hof, lächelt, ist positiv, hört selbst dem geschwätzigsten Schwätzer noch geduldig zu - so geduldig und so gelassen, dass er zur nächsten Veranstaltung, einer Open-Air-Andacht mit Tausenden Anhängern, um Stunden zu spät kommt.

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