Serie "Glaubenssache":Einsam im Aschram

Auf der Flucht vor dem Krieg suchen Israelis zunehmend ihr Heil in der Meditation und ziehen dafür sogar in die Wüste.

Von Thorsten Schmitz

Es sind fast 40 Grad im Schatten, Yoav Zeevi dreht sich eine Zigarette, nippt am selbst gepressten Papayasaft und lächelt trotz der flirrenden Hitze. Um die Hüften trägt er ein Batiktuch, um ihn herum schwirren Fliegen, ansonsten herrscht Stille in Schitim, mitten in der Negev-Wüste Israels.

Seit vier Uhr ist der gebürtige Jerusalemer auf den Beinen, hat eine Stunde lang im Schneidersitz meditiert, dann Tee getrunken, barfuß die nähere Wüstenumgebung inspiziert und dabei Zwiesprache gehalten mit seinem Gott. Die letzten zwei Stunden hat er Gemüse geschnippelt fürs Mittagessen, Couscous gekocht und Salatblätter gewaschen. Wenn die anderen sich ausgehungert übers Essen hermachen, wird er - quasi als Beilage - Gitarre spielen und Lieder singen.

Yoav Zeevi ist 32 Jahre alt und behauptet, er habe sich einen Lebenstraum erfüllt. Er lebt im "Aschram in der Wüste", einem Flecken auf halbem Weg zwischen den israelischen Wüstenstädten Mizpe Ramon und Eilat. Hier, in der endlosen Weite des südlichen Negev, ist Israel ganz weit weg, ¸¸und ich kann ich sein, wie ich bin", sagt Zeevi, der fast jeden zweiten Satz mit einem "Inschallah" beendet - wenn Gott will. In dem Aschram, der aus ein paar Häusern, Hängematten und Happenings besteht, ¸¸vergesse ich ständig, dass ich in Israel bin und nicht in Indien", sagt er.

Der Trend in Israel zur Spiritualität hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Über das ganze Land verteilt machen immer mehr Yogazentren und Meditationsschulen auf, bieten Therapeuten oder Indien-Heimkehrer Selbsterfahrungskurse und Workshops. Der in Jerusalem praktizierende Psychologe Alon Halutz hat eine einfache Erklärung dafür: "Das New Age erlaubt es uns, den Krieg vor der Haustür zu vergessen. Wir suchen uns eine bessere Welt."

In der Sehnsucht nach Spiritualität drückten sich gleichermaßen Ohnmacht und die Erkenntnis aus, dass man an der kriegsähnlichen Situation ohnehin nichts ändern könne. Fast alle Jugendlichen, die ihren Militärdienst absolviert haben, - Männer drei, Frauen zwei Jahre - fahren anschließend so weit weg wie irgend möglich. Die beliebtesten Ziele sind Indien, Tibet, Nepal und Thailand, Länder, in denen nicht militärischer Drill den Alltag bestimmt - sondern Sanftmut.

Yoav Zeevi aber hat das Land nicht verlassen. Zusammen mit zehn anderen Israelis baute er vor drei Jahren die verlassenen Gebäude eines Kibbuz in einen Aschram um, ein Zentrum für Meditation, in dem an fast allen Wänden Fotos des Sektenführers Bhagwan aus dem indischen Poona hängen. Jede Woche veranstaltet der Aschram einen anderen Workshop, gerade klingt ein Nackt-Wochenende aus, bei dem alle Gäste tagelang ihre Hüllen fallen ließen - und zum Missfallen Zeevis manche dies als Aufforderung zum Sex missverstanden hatten.

Heute beginnt ein dreitägiger "Re-Birthing"-Kurs, bei dem die Teilnehmer durch Atem- und Schrei-Sitzungen versuchen, gedanklich in den Mutterleib zurückzukriechen, um anschließend "befreiter wieder auf die Welt zu kommen", wie Zeevi berichtet. Zu dem Kurs hat sich auch eine 84 Jahre alte Dame angemeldet, "unser Stammgast".

Bürgermeister beim Yoga

Wenn Yoav Zeevi nicht gerade Neuankömmlingen den Aschram erklärt oder Küchendienst hat, schreibt er ein Buch über die New-Age-Welle in Israel, die sich als Alternative zur Moderne versteht. Der Staat der Juden sei "ein Imperium des New Age. Es gibt keinen Ort auf der Welt, wo du so viele Angebote an Esoterik und Spiritualität hast." Sogar der Bürgermeister von Tel Aviv hat kürzlich seine Bewohner aufgefordert, den Alltag in Ruhe ausklingen zu lassen und den Sonnenuntergang bei Yoga, Tai Chi und Meditation zu genießen.

Zeevi sagt: "Wir sind ein Volk der Totalität und auch der Hammel, wir laufen jedem Trend hinterher." In Israel kann man in Hararit leben, einem Dorf im Norden des Landes, wo alle 60 Familien nach den Lehren des indischen Gurus Maharischi Mahesch Yogi leben und davon überzeugt sind, dass dessen transzendentale Meditation auch den Nahostkonflikt lösen könne.

Wer die Kunst des Meditierens dort erlernen will, muss dies teuer bezahlen: Ein Einführungskurs kostet etwa 1800 Euro. Die Bewohner Hararits sind keine Hippies, sie sind Ärzte, Lehrer, Schauspieler. Besucher können auch einfach nur das vor Ort gepresste Olivenöl kaufen, ¸¸garantiert organisch".

Ansonsten bietet Israel Lach-Yogakurse, man kann seine Chakras (Energiekanäle) testen lassen, Veranstaltungen besuchen, in denen die eigenen Gene auseinander genommen und anschließend wieder ¸¸richtig justiert" werden. Der Vollmond lässt sich in der Wüste betanzen, ebenso der (nicht vorhandene) Regen bei einer ¸¸Full Nature Moon Soon" Party. Es gibt Workshops mit dem Titel ¸¸Der dynamische Schmetterlingseffekt-Kurs", ebenso Ayurveda-Kochkurse. Biodynamisch essen ist en vogue , vor allem in Tel Aviver Restaurants, ebenso wie die Lektüre des Alternativ-Magazins Chaim Acherim (Anderes Leben), das jeden Monat erscheint, gespickt mit Tipps für ein ¸¸bewussteres Leben".

Wassertänze im Pool

Der Osho-Aschram in der Wüste lädt ein zu Tantra-Kursen, Wassertänzen im Swimmingpool, holistischen Massagen, Vorträgen über "das Kind in uns" und indianische Medizin. Zum Entspannen gibt es nachts "Funk Shui Parties", und wem das alles noch zu passiv ist, darf selber mit anfassen: Wessen Budget die 30 Euro für ein Bett im Doppelzimmer nicht zulässt, kann im Aschram gemeinnützige Arbeiten übernehmen und sich so Kost und Logis verdienen.

In der hauseigenen Broschüre wird die Arbeitsselbsterfahrung so angepreist: ¸¸Willst du bei uns arbeiten und mit uns wachsen?" Das Mitmachprogramm heißt ¸¸Working Meditation Progress", kurz Womp. Dafür hat sich Ayala Amit entschieden, eine 31-jährige Webdesignerin aus Tel Aviv. Mit dem Bus ist sie die dreieinhalb Stunden in den Aschram gefahren, um, wie sie sagt, ¸¸meinen Zynismus loszuwerden". Jetzt steht sie, kurz vor dem gemeinsamem Mittagessen, in einem leeren Pool, der Schweiß rinnt ihr übers Gesicht und sie schrubbt den Dreck vom Nacktfestival weg.

Die Realität in Israel, sagt Ayala Amit, "ist sehr hart, manchmal ist sie mir zu unerträglich, ich brauche dann ein Gegenprogramm". Ihr Zynismus sei wie eine allergische Reaktion auf die Gewalt in der Region, in der Ungewissheit, ¸¸ob ich morgen auch noch am Leben bin". Im Aschram werde eine Religion praktiziert, die es im israelischen Alltag nicht gebe: Der ¸¸Glaube an das Gute im Menschen, dass man mit einem Lächeln im Gesicht mehr bewegt als mit Waffen vor der Brust". Ayala ist ständiger Gast im Aschram, sie hat auch schon viele Freunde überredet, die inzwischen auch regelmäßig kommen.

Ein Erlebnis aus der vorigen Woche hat Ayala Amit darin bestätigt, dass längst alle Bevölkerungsschichten in Israel von der Welle der Spiritualität erfasst sind. Sie wartete mehr als eine Stunde bei einer Krankenversicherung auf das Gespräch mit ihrer Sachbearbeiterin. Als sie schließlich aufgerufen wurde und ihrer Wut freien Lauf ließ, "lehnte sich die Sachbearbeiterin zurück, setzte ein mildes Lächeln auf und sagte zu mir, jetzt atme erst dreimal tief durch und konzentriere dich auf etwas Schönes, du bist ja gar nicht mehr geerdet".

Vergessen in Indien

Anders als Ayala Amit hat es Avischay Jeruschalmi in die Ferne gezogen, und bis heute ist er von seiner Weltenbummelei nicht zurückgekehrt. Der 35 Jahre alte Israeli lebt seit acht Jahren in Amsterdam und kommt nach Israel nur zu Stippvisiten. Jeruschalmi sitzt auf einem Stuhl in einem Tel Aviver Café im Schneidersitz und lässt sich nicht vom Lärm um ihn herum ablenken. Wenn er eine Antwort sucht, zwirbelt er in seinen Rastazöpfen, die bis zur Hüfte baumeln, oder er streichelt den Hund seiner Freundin Michal, einer Schauspielerin, die in einer Soap-Opera über den Alltag von Stewardessen mitspielt.

Avischay Jeruschalmi war in den drei Jahren seines Armeedienstes in einer Kampfeinheit, "freiwillig, ich Idiot", sagt er heute und lacht. Den Einsatz während der ersten Intifada hat er als Albtraum in Erinnerung: ¸¸Ich war ja noch ein Jugendlicher und plötzlich mit Leben und Tod konfrontiert." Als er die Armee verließ, wurde er von einer ¸¸tiefen Depression" erfasst - und der Sehnsucht, das Land zu verlassen. So machte er sich auf die Reise nach Costa Rica in eine Öko-Kommune, nach Nepal und Indien, wo er den Buddhismus für sich entdeckte.

Die gewaltlose indische Gesellschaft zog ihn an, ¸¸das war wie Balsam für meine Seele". In der indischen Weite vergaß er die Armee und den Nahost-Konflikt, er versank in Büchern über Buddhismus und machte dessen Grundthese "Lebe den Moment" zu seiner neuen Lebensphilosophie. Karriere will er nicht machen, sein Geld verdient er mit Jobs auf Kunstmessen. Jeruschalmi meditiert heute fast täglich, und er trainiert die indonesische Kampfsportart Pencak Silat. Deren Kunst besteht darin, Angriffe nicht zu kontern, sondern ihnen geschickt auszuweichen.

Zurück nach Israel zog es ihn in all den Jahren nicht: "Zu hektisch, zu gewalttätig, zu neurotisch. Man kann nicht 35 Jahre lang über ein fremdes Volk herrschen und glauben, das hätte keinen Effekt auf die israelische Volksseele. Die zunehmende Gewalt unter Schülern in Israel ist auch ein Ausdruck unserer Besatzungspolitik." Anstatt Mathematik und Geschichte, so überlegt er laut vor sich hin und nippt an seinem Cappuccino, ¸¸sollten die Schüler in Israel Yoga beigebracht bekommen". Er hält inne und lächelt: "Vielleicht ist das meine nächste Aufgabe."

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