Süddeutsche Zeitung

Serie "Deutscher Herbst":"Wir werden nun sterben..."

Heute vor 40 Jahren: In Mogadischu drohen die Entführer der "Landshut" mit Massenmord, Helmut Schmidt tischt den Terroristen eine Lüge auf - und schickt die GSG 9.

Von Robert Probst

Tag 43: Montag, 17. Oktober. "Bitte helft uns"

Um 2 Uhr deutscher Zeit startet die gekaperte Lufthansa-Maschine Landshut von Aden Richtung Norden, dreht dann aber eine große Schleife und landet zweieinhalb Stunden später auf dem Flughafen von Somalias Hauptstadt Mogadischu. Seit der Entführung am 13. Oktober hat die Boeing 737 insgesamt 9000 Kilometer zurückgelegt.

Mogadischu ist der Notfallplan der Entführer, sie setzen auf die palästinenserfreundliche Haltung des sozialistischen Staatschefs Siad Barre. Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski fliegt ebenfalls nach Mogadischu und eilt zu Verhandlungen mit dem afrikanischen Machthaber.

SZ-Serie "Deutscher Herbst"

Vor 40 Jahren stand die Bundesrepublik vor ihrer bislang größten Herausforderung. Die Rote Armee Fraktion (RAF), die im April 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback und im Juli den Bankier Jürgen Ponto ermordet hatte, entführte den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Ziel war es, die RAF-Anführer und andere Kampfgenossen aus den Gefängnissen freizupressen. Die SZ dokumentiert die dramatischen Tage der Schleyer-Entführung vom 5. September bis zum 19. Oktober, für die sich der Begriff "Deutscher Herbst" eingeprägt hat. Hinzu kommen politische Einschätzungen von damals und heute sowie neue Erkenntnisse der Zeitgeschichte. Die bisher erschienenen Folgen im Überblick.

Kanzler Helmut Schmidt telefoniert mit Barre, er sagt, die Entführer seien drei "kriminelle Deutsche" und ein Araber als ihr Sprecher, das Problem könne also auch von einer deutschen Spezialeinheit gelöst werden. Wischnewski sagt, ein Entgegenkommen der somalischen Regierung werde sich "positiv auswirken". Versprechungen über Geldzahlungen will niemand gemacht haben - doch später fließen reichlich Entwicklungshilfemillionen nach Somalia. Siad Barre ist einverstanden. Das Bundeskabinett billigt die "polizeiliche Aktion zur Rettung der Geiseln".

Hanns-Eberhard Schleyer versucht über den Genfer Anwalt Denis Payot direkten Kontakt zu den Entführern seines Vaters zu bekommen, er will einen Vorschlag "ohne jede staatliche Einflussnahme" unterbreiten. Der Kontakt kommt nicht zustande.

In Stuttgart-Stammheim führt ein Beamter des Bundeskanzleramts ein 70-minütiges Gespräch mit Andreas Baader, der "innerlich erregt und nervös" wirkt. Er macht langatmige Ausführungen zur Strategie der RAF und betont, dass die Gefangenen Gewalt gegen Zivilisten weiterhin ablehnen würden. Im Grunde, so fasst der Beamte zusammen, "war seine gesamte Argumentation fast ausschließlich auf den Gedanken einer Freilassung fixiert."

In Mogadischu wird der ermordete Flugkapitän Jürgen Schumann von Bord gebracht. Zohair Akache, der Anführer der vier Terroristen, legt das Ultimatum auf 15 Uhr MEZ fest - danach werde die Maschine gesprengt. Die Passagiere werden gefesselt, Alkohol- und Parfümflaschen werden über ihnen ausgegossen.

Akache lässt die Stewardess Gaby Dillmann, 23, eine letzte Botschaft an die Regierung durchgeben: "Wir werden nun sterben... Mein Gott, ich kann das nicht verstehen. Können Sie dies bis zum Ende Ihrer Tage mit Ihrem Gewissen vereinbaren? ... Bitte, falls irgendeine Möglichkeit besteht, helft uns, helft uns, bitte helft uns." Fünf Minuten vor Ende der Frist verlängert "Captain Mahmud"das Ultimatum um 30 Minuten, damit das Flugfeld geräumt werden kann.

Wieder sind es nur noch wenige Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums, da meldet sich der deutsche Geschäftsträger in Somalia, Michael Libal, vom Tower aus: "Wir haben gerade die Nachricht bekommen, dass die Häftlinge in den deutschen Gefängnissen, die sie freigelassen haben möchten, hier nach Mogadischu geflogen werden." Der Flug werde mehrere Stunden dauern - nichts davon ist wahr, doch die Entführer glauben die Botschaft und verlängern erneut das Ultimatum, diesmal bis 1.30 Uhr MEZ.

Wie immer geht es der Bundesregierung um Zeitgewinn, gegen 17.30 Uhr trifft eine Lufthansa-Maschine mit 60 Männern der GSG 9 in Mogadischu ein, die Entführer merken es offenbar nicht, doch das israelische Fernsehen meldet wenig später, eventuell sei da eine "Sonder-Kommando-Einheit" gelandet. Die Nachrichtenagentur AFP greift die Meldung auf - kurzzeitig sieht die Regierung die Befreiungsaktion gefährdet, denn auch die Entführer hören ja Nachrichten.

"Deutscher Herbst"

Quellen und Literatur zur SZ-Serie über den RAF-Terrorismus 1977. Zur Übersicht

Die Regierung bittet die Sender nach eineinhalb Stunden, die Nachricht nicht mehr zu verbreiten. Bereits gedruckte Exemplare der Welt vom nächsten Tag, worin die bevorstehende Stürmung der Landshut gemeldet wird, werden auf persönliche Intervention von Kanzler Helmut Schmidt wieder eingesammelt. Aus Sicht von Schmidt war diese Aktion im Nachhinein der "einzige Verstoß gegen das Gesetz" während des Deutschen Herbstes.

Im Krisenstab herrscht Anspannung und Nervosität. BKA-Präsident Horst Herold erinnert sich, an diesem Abend habe er das einzige Mal ein persönliches Gespräch mit Schmidt geführt. Um 23.15 Uhr beziehen die Einsatzkräfte der GSG 9 ihre Positionen, sie nähern sich der Landshut.

Die Serie erschien in einer ersten Version 2007 - und wurde für die Neuveröffentlichung leicht überarbeitet und erweitert. Die Rechtschreibung in Zitaten entspricht der Schreibweise der damaligen Zeit.

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