Serie: Albtraum Atombombe (1):Angst vor der Bombe

Im August 1945 wurden die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki durch die ersten Atomwaffeneinsätze vernichtet. Seitdem prägt die Furcht vor der Bombe die internationale Politik.

Oliver Das Gupta

Im ersten Winter nach Ende des größten Gemetzels der Menschheit hat Albert Einstein seine Hoffnung auf eine bessere Welt zu Papier gebracht. Die Sätze des Jahrhundertgenies, die im November 1945 in der Zeitschrift The Atlantic Monthly erschienen, lesen sich 65 Jahre später so idealistisch wie naiv.

HIROSHIMA MUSHROOM CLOUD NUCLEAR BOMB EXPLOSION

Der Atompilz über der japanischen Stadt Hiroshima am 6. August 1945. Abgeworfen wurde die Uranbombe "Little Boy" von dem US-Bomber "Enola Gay". Drei Tage später zerstörte die Plutoniumbombe "Fat Man" die Stadt Nagasaki.

(Foto: AP/U.S.Army/Hiroshima Peace Memorial Museum)

Unter dem Eindruck der Atombomben-Explosionen über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 wollte Einstein die nukleare Gefahr bannen. Der Nobelpreisträger, der wenige Jahre vorher den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt dazu gedrängt hatte, die Bombe zu entwickeln, bevor die Nazis es tun könnten, grübelte nun darüber nach, wie die Büchse der Pandora wieder geschlossen werden könnte.

Seine Lösung: Eine Weltregierung. Sie sollte das tödliche Geheimnis der Bombe verwahren und verwalten.

"Da ich nicht übersehe, dass die Atomenergie auf lange Frist ein großer Segen sein wird, muss ich betonen, dass sie für den Augenblick eine Drohung ist", schrieb Einstein: "Vielleicht ist es gut, dass es sich so verhält. Es mag dies dem Menschengeschlecht so viel Furcht einjagen, dass es seine internationalen Beziehungen in Ordnung bringt - etwas, was ohne den Druck der Angst nicht zu erreichen sein wird."

Oppenheimers "teuflische" Erfindung

Als die Sprengkörper Little Boy und Fat Man die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki vernichteten, brach eine neue Ära an, das Atomzeitalter. Der "Druck der Angst", den Einstein benannte, bedeutete: Eine einzige Waffe kann eine ganze Metropole austilgen, ein paar Bomben mehr können ein ganzes Land auslöschen. Die Menschheit war 1945 auf einmal imstande sich selbst vernichten - binnen Sekunden.

Das Wissen über die bis dato nichtgekannte Zerstörungskraft mobilisierte Millionen friedensbewegter Menschen - und spornte die Mächtigen gleichzeitig an, sich die "teuflische" Erfindung (Bomben-Entwickler Robert Oppenheimer) zu eigen zu machen. Der Sowjetführer Stalin, Chinas Staatsführer Mao, aber auch der Präsident Frankreichs und der britische Premierminister machten ihre Länder bald zu Atommächten. Einsteins Plädoyer für einen atomaren Verzicht zugunsten einer Weltregierung dürfte den Staatenlenkern wie romantisches Gesäusel vorgekommen sein.

Und doch hatte der Physiker richtig gelegen: Die Sorge vor einem Atomkrieg sollte der Welt eine gewisse Ordnung verschaffen. Im Ost-West-Konflikt, der sich schon vor Ende des Zweiten Weltkrieges abzeichnete, sollte die Bombe zunächst den Amerikanern die Vormacht sichern.

US-Präsident Harry Truman setzte die fürchterlichen Waffen gegen das militärisch schon besiegte Japan als Zeichen der Macht ein, das gerade im Kreml wirken sollte. Die gewaltigen Detonationspilze über Hiroshima und Nagasaki sorgten für einen Paradigmenwechsel: Die Zeiten, in denen gewaltige Materialschlachten über Sieg und Niederlage entschieden, waren vorbei. Künftig sollte nicht mehr die Zahl der Soldaten, Panzer und Flugzeuge entscheiden, sondern die Substanz des Kernwaffenarsenals.

Schon 1949 zog die Sowjetunion mit einem erfolgreichen Atomtest nach: Auch Stalin verfügte über die Bombe. Damit war die nukleare Bewaffnung zum zentralen Instrument der Rivalität zwischen Kommunismus und westlicher Welt geworden - es wuchs sich ein Konflikt aus, den man bald Kalten Krieg nannte.

Ein Wettrüsten begann: Hüben wie drüben wuchsen die atomaren Depots zu bizarrer Größe an, der Planet konnte per Knopfdruck theoretisch menschenfrei gemacht werden. Doch gerade das atomare Patt, diese Fähigkeit zur gegenseitigen atomaren Vernichtung, verhieß: Stabilität.

Als die Menschheit am Dritten Weltkrieg vorbei schrammte

Während der Kuba-Krise 1962, als die Erde an einem Dritten Weltkrieg vorbeischrammte, gingen die Chefs der Supermächte dementsprechend vernünftig vor: US-Präsident John F. Kennedy und Sowjetführer Nikita Chrustschow waren sich einig, dass es bei einer Eskalation keinen Sieger geben würde. Und beide Seiten hielten sich an die von US-Verteidigungsminister Robert McNamara seinerzeit formulierte Maxime, "nie, unter gar keinen Umständen, Atomwaffen als Erster einzusetzen".

Das Motto war Abschreckung. Sie brachte - eine gefährliche - Ordnung in die bipolare Welt. Das Paradoxon lautete: Man musste die Bombe haben, um einen Bombenangriff anderer unmöglich zu machen. Zum Einsatz taugte die ultimative Waffe längst nicht mehr. (Was später weder Moskau, noch Washington davon abhalten sollte, Munition aus abgereichertem Uran in Afghanistan, im Kosovo und im Irak zu verwenden.) Die Kuba-Krise war für die Großmächte eine Lehre gewesen. Fortan vermied man direkte Auseinandersetzungen - und verlagerte die ideologischen Schlachtfelder an die Peripherie: nach Vietnam, Afghanistan, nach Chile und anderswo.

Es gab manche Phasen während des Kalten Krieges nach der Kuba-Krise, in der die USA und die UdSSR über Abrüstung sprachen und Abkommen schmiedeten. Das hielt trotz der angenommenen Unmöglichkeit eines Atomkrieges die Regierungschefs in Moskau wie Washington nicht davon ab, immer neue Strategien für den Fall der Fälle auszuarbeiten. Die Folge waren neue Generationen von Kernwaffen. Und vor allem: Ihre Zahl stieg. 45.000 Bomben auf sowjetischer und 32.000 Bomben auf amerikanischer Seite lagerten zwischenzeitlich in den Magazinen und Raketensilos.

Strauß' Kernwaffenpläne, Adenauers Verniedlichung

Längst besaßen die hochentwickelten Superwaffen teilweise eine Sprengkraft von bis zu mehreren zehntausend Kilotonnen TNT. Zum Vergleich: Little Boy verglühte mit gerade mal 13 Kilotonnen TNT die Stadt Hiroshima mit mindestens 70.000 Menschen - ebenso viele starben an den Spätfolgen.

Auch in der jungen Bundesrepublik entfaltete die Erinnerung an Hiroshima große innenpolitische Wirkung: Mitte der fünfziger Jahre forcierte der aufstrebende Atomminister Franz Josef Strauß den Bau von Meilern zur Energiegewinnung. Wenig später, als Bundesverteidigungsminister, schickte sich der christsoziale Bayer an, die neu geschaffene Bundeswehr nuklear zu bewaffnen. Die aus CDU und CSU bestehende Bundesregierung erlaubte schließlich 1958 die Aufstellung von Atomwaffen in Westdeutschland unter Nato-Oberbefehl.

Bundeskanzler Konrad Adenauer fand für taktische Atomwaffen sogar eine niedliche Bezeichnung: Er spielte sie als "Weiterentwicklung der Artillerie" herunter.

Mächtiger Protest entwickelte sich damals: "Kampf dem Atomtod" lautete die Kampagne, der sich nicht nur Pazifisten, SPD und Gewerkschaften anschlossen, sondern auch die evangelische Kirche und sogar Linkskatholiken.

Hunderttausende gingen 1957 und 1958 hierzulande auf die Straße. Wie lagerübergreifend die Ablehnung der Regierungspläne war, zeigte sich im Appell der "Göttinger 18", also von namhaften Wissenschaftlern um den Physiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker. Der ältere Bruder des späteren Bundespräsidenten hatte im Krieg selbst mit an einem Atomprogramm für Adolf Hitler gebastelt, beabsichtigt erfolglos, wie er behauptete.

Nun riefen Weizsäcker und seine Mitstreiter Bonn dazu auf, freiwillig auf Atomwaffen zu verzichten. Ein späteres Gespräch der Forscher mit Adenauer zeigte Wirkung: Von da an hielt sich der greise Kanzler in der Causa zurück. Die Sache war bald ohnehin vom Tisch: Der Nato-Rat beschloss, nur den USA obläge die Verfügungsgewalt über Atomwaffen in Westdeutschland. Ein Jahrzehnt später unterzeichnete die Bundesrepublik den Atomwaffensperrvertrag.

Neue Gefahren

Doch die Anti-Atomtod-Kampagne setzte einen Impuls, der fortdauerte: Sie bildete die Vorläuferin zur Achtundsechziger-Apo sowie zur Friedens- und Umweltbewegung, die sich 1983 schließlich parlamentarisch mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag manifestierte. Da war Helmut Schmid schon nicht mehr Bundeskanzler.

Auch den Hamburger Sozialdemokraten hat in seinen letzten Amtsjahren die Atomfrage beschäftigt - und beschädigt: Dem Kanzler, der den Nato-Doppelbeschluss vorangetrieben hat, brach dabei der Rückhalt seiner Partei weg. Viele Deutsche konnten mit Schmidts Einsatz für die Nachrüstung mit Pershing-II-Raketen nichts anfangen - kein Wunder: Sowohl die Bundesrepublik, als auch die DDR wären in allen Kriegsszenarien als atomare Schlachtfelder für immer verwüstet gewesen.

Serie: Albtraum Atombombe (1): Start einer "Pershing II ED-4" Mittelstreckenrakete von einer mobilen Abschussrampe. Mit der Stationierung solcher atomar bestückter Raketen in Westeuropa reagierten die USA Anfang der achtziger Jahre auf die Bedrohung durch die sowjetischen Atomraketen vom Typ "SS-20".

Start einer "Pershing II ED-4" Mittelstreckenrakete von einer mobilen Abschussrampe. Mit der Stationierung solcher atomar bestückter Raketen in Westeuropa reagierten die USA Anfang der achtziger Jahre auf die Bedrohung durch die sowjetischen Atomraketen vom Typ "SS-20".

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Strahlender sowjetischer Nachlass

Inzwischen ist der Ost-West-Konflikt seit zwanzig Jahren vorbei, und für manche auch das Atomzeitalter. Die Anschläge vom 11. September 2001 seien die historische Zäsur gewesen, schrieb etwa die Frankfurter Allgemeine vor fünf Jahren. Nun sei der Terrorismus und seine Bekämpfung das beherrschende Thema.

Das ist nicht ganz falsch, aber doch zu kurz gedacht: Nach wie vor hadert die Menschheit über die friedliche Nutzung der Kernkraft. In Deutschland hat die Atomenergie seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wohl bei der Mehrheit der Bevölkerung die Zustimmung verloren. Innenpolitisch knirscht es gewaltig wegen Reaktorlaufzeiten. In anderen Staaten wie in Frankreich, China und anderswo setzen die Regierungen auf neue Meiler: als klimafreundliche Energiequelle.

Das Problem der Endlagerung ist nach wie vor ungelöst. In Russland rotten die Atommüllbehälter vor sich hin, eine doppelte Gefahr: Mit dem strahlenden Nachlass des untergangenen Sowjetreichs wird unter der Hand längst gehandelt. Das Szenario von atomarem Material in Händen von Al-Qaida-Terroristen ist real. Der kollabierende Atomstaat Pakistan, der die radikalislamischen Taliban aufgebaut hat, gibt zusätzlich Anlass zur Sorge.

Hinzu kommt die Furcht um vor der Verbreitung der Bombe in Problemstaaten. Nordkoreas stalinistischer Machthaber Kim Jong Il hat sich ein paar Sprengköpfe fertigen lassen, und droht immer wieder mit deren Einsatz. Eine noch größere Bedrohung ist Irans Atomprogramm, an dem Teheran im Geheimen werkeln lässt.

Teheraner Vernichtungsphantasien

Präsident Mahmud Ahmadineschad wettert, die Amerikaner seien doch diejenigen, die Atomwaffen bereits eingesetzt hätten. Der Staatschef beteuert zwar immer wieder, sein Land strebe die friedliche Nutzung des Atoms an - doch glaubhaft ist es nicht, nicht nur in Israel. Das Land ist immer wieder Gegenstand Teheraner Vernichtungsphantasien.

Die USA und die (unerklärte) Atommacht Israel haben bereits einen Militärschlag gegen Iran angedroht. Amerikas oberster Soldat, der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs, Admiral Mike Mullen, erzählte jüngst sogar unverhohlen von einem Angriffsplan, der fertig in der Schublade läge.

Das Bild vom Atompilz über Hiroshima wirkt in solchen Momenten grell wie lange nicht mehr.

Und da gibt es die Staatsmänner a. D., denen der Inhalt der atomaren Rüstkammern keine Ruhe lässt. Ausgerechnet die früheren US-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz - einst knallharte Realpolitiker - schoben 2007 die Initiative "Global Zero" an. Das ehrgeizige Ziel: eine atomwaffenfreie Zukunft.

"Ein Rumoren unter uns alten Politikern", nannte es Altbundespräsident Richard von Weizsäcker im Gespräch mit sueddeutsche.de. Der Bruder des einstigen Atomforschers Carl Friedrich unterstützt Global Zero, ebenso wie Barack Obama.

Der US-Präsident hat sich das Ziel einer atomwaffenfreien Zukunft längst zu eigen gemacht. In seiner Prager Rede von 2009 propagierte Obama diese hehre Vision, ein Jahr später gelang ihm am selben Ort sogar ein handfester Teilerfolg: Gemeinsam mit Russlands Staatschef Dmitrij Medwedjew legte der Präsident den START-Vertrag neu auf.

Russland und die Vereinigten Staaten verpflichten sich in dem Abkommen, die Zahl der nuklearen Sprengköpfe schrittweise auf 1550 zu reduzieren, ebenso die Trägersysteme. Der Akt sollte über eines nicht hinwegtäuschen: Die Anzahl der vorhandenen Atomwaffen reicht nach wie vor aus, die Menschheit auszulöschen.

Albert Einstein lag richtig: Die "Angst vor der Bombe" ist da. Von Frieden aber kann keine Rede sein.

SZ.de widmet dem Thema Kernwaffen in den folgenden Tagen eine Serie. Unter anderem schildert ein Zeitzeuge, wie er am 6. August 1945 in Hiroshima überlebt hat. Fotos und Filmmaterial veranschaulichen die furchtbare Wirkung der in Japan detonierten Bomben. Der US-Politologe Peter W. Singer erklärt zum Abschluss, weshalb der zunehmende Einsatz von Robotern und Drohnen die Welt vor ähnliche Herausforderungen stellt wie die Atombomben vor 65 Jahren.

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