Serie (8): Deutschland und der Krieg:"Wissen Sie nicht, was Sie da tun?"

Der Konservative als Kriegsgegner, die Grüne als Streiterin für Militäreinsätze: CSU-Politiker Peter Gauweiler und Kerstin Müller im Streitgespräch über Afghanistan, Kosovo und die Frage, was deutsche Soldaten auf den Schlachtfeldern im Ausland zu suchen haben.

Thorsten Denkler, Peter Lindner, Peter Münch

Kerstin Müller sitzt im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Die Grünen-Politikerin, von 2002 bis 2005 Staatsministerin im Auswärtigen Amt, tritt für ein größeres internationales Engagement der Bundeswehr ein. Der oft als Hardliner bezeichnete CSU-Politiker Peter Gauweiler gehört ebenfalls dem Auswärtigen Ausschuss an. In diesem Jahr machte er unter anderem mit einer Klage gegen die deutsche Tornado-Mission in Afghanistan auf sich aufmerksam.

Peter Gauweiler und Kerstin Müller im sueddeutsche.de-Streitgespräch

Peter Gauweiler und Kerstin Müller im sueddeutsche.de-Streitgespräch

(Foto: Foto: Denkler)

sueddeutsche.de: Herr Gauweiler, werden Sie im kommenden Jahr auf einem der Ostermärsche mitgehen?

Peter Gauweiler: (Pause) Sicher nicht.

sueddeutsche.de: Nein? Wir dachten, Sie sehen sich als Kämpfer für den Frieden?

Gauweiler: Nicht als Kämpfer in diesem Sinne. Die Ostermarschierer und ich, wir würden uns vermutlich nicht ganz wohl fühlen.

sueddeutsche.de: Frau Müller, wann waren Sie zuletzt auf einem Ostermarsch?

Kerstin Müller: Das ist lange her. Vor zehn Jahren etwa. Das liegt auch daran, dass Teile der Friedensbewegung heute eher auf der Linie der Linkspartei sind. Effektiver Multilateralismus, der auch militärisch gestützt ist - das wird von großen Teilen der Friedensbewegung nicht geteilt.

sueddeutsche.de: Herr Gauweiler, Sie teilen das auch nicht. Warum nicht?

Gauweiler: Uns fehlt in der Außenpolitik das Nachdenken. Die Aufgaben der Bundeswehr sind klar im Grundgesetz und im alten Nato-Vertrag von 1955 vorgegeben. Der Einwand von Kritikern wie mir ist, dass wir von diesen Vorgaben abgewichen sind.

Die deutsche Politik ist dabei, sich zu übernehmen. Sie hat von einigen Grundsätzen, die eigentlich durch die eigene historische Erfahrung begründet waren, Abstand genommen; dieser Abstand ist seit dem März 1999 mit der Bombardierung von vier jugoslawischen Städten entstanden.

Müller: Der Entwicklung auf dem Balkan in den neunziger Jahren wuchs zu einer Bedrohung Europas und seiner Werte heran. Dem musste gemeinsam begegnet werden. In früheren Situationen, siehe Srebrenica, wurde viel zu spät reagiert. Im Kosovo wollten wir dies vermeiden.

Leider hat es eine rot-grüne Regierung getroffen, auf diese neuen Entwicklungen die Antworten geben zu müssen. Die Grünen haben sich die Entscheidung über eine Intervention nicht leicht gemacht - wir sind fast daran zerbrochen.

Darum ist meine Frage an Herrn Gauweiler: Haben wir bei Konflikten wie auf dem Balkan nichts zu suchen? Sollen wir uns einfach zynisch zurücklehnen und sagen: "Lass die sich doch die Köpfe einschlagen?"

Das ist mir an Ihrem Standpunkt noch nicht klar geworden. Gerade wir Deutsche können uns nicht auf eine nationale Insel der Glückseligen zurückziehen. Ich habe den Eindruck, dass Ihre Position darauf hinausläuft.

Gauweiler: Der Punkt ist: Der Jugoslawienkrieg war die Frucht vom verbotenen Baum. Und diese Frucht ist von Euch, von den Grünen da runtergeholt worden.

Wenn ich einmal daran erinnern darf: Es gab ein paar Grundfeste in der deutschen Politik, die sogar Verfassungsrecht geworden sind. Erstens: Ja zur Selbstverteidigung. Und zweitens: Ja zur Einbeziehung Deutschlands in internationale Organisationen, die den allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts und der Völkerverständigung entsprechen.

Aber es war bis zum Jugoslawienkrieg unvorstellbar, dass eine deutsche Regierung sich an einer Angriffsintervention beteiligt, die weder vom Selbstverteidigungsrecht noch von einem Auftrag des Sicherheitsrats gedeckt war.

Genau das aber ist mit dem Angriff auf Jugoslawien geschehen. Die Vertreibungen aus dem Kosovo waren nicht die Ursache des Angriffs, sondern seine Folge.

Müller: Eine gewagte These.

Gauweiler: Nein. Das gehört zur zeithistorischen Grundkenntnis.

Müller: Tut mir leid, das ist falsch. Mehrere zehntausend Menschen waren bereits auf der Flucht. Wir hatten hier sogar bereits eine Debatte, wie wir mit der neuen Flüchtlingswelle umgehen sollen.

Es bestand die internationale Sorge, dass die Vertreibung, die Gewaltverbrechen die Ausmaße von Srebrenica erlangen würden. Vor allem mit den Ansagen von Slobodan Milosevic seinerzeit.

Gauweiler: Ich will das jetzt nicht mit Ihnen im Einzelnen diskutieren, das müssen Sie halt genauer nachschauen. Aber ich bin Ihnen noch ein Antwort auf die Frage schuldig, was ist die Alternative? Die Alternative ist, sich an das erfolgreiche Verfassungsmodell der Bundesrepublik Deutschland zu halten.

Es gibt ja von den verschiedenen Formen des Missregierens nicht nur die Diktatur. Es gibt auch Missregieren durch Selbstüberschätzung, Torheit und Starrsinn. Dazu kommt die Unfähigkeit, aus historischen Erfahrungen zu lernen. Was hat denn diese Interventionspolitik seit 1999 in den betroffenen Ländern gebracht? Ist es im Kosovo oder in Afghanistan um einen Deut besser geworden?

Die paradoxe Argumentation der Befürworter solcher Einsätze im Jahre 2007 lautet offensichtlich: Es ist zwar durch die Militäreinsätze viel schlechter geworden. Aber genau deshalb müssen wir weitermachen.

"Wissen Sie nicht, was Sie da tun?"

sueddeutsche.de: Darf man das Recht über die Frage der humanitären Hilfe stellen, Herr Gauweiler?

Peter Gauweiler hält die deutschen Militäreinsätze im Kosovo und in Afghanistan für große Misserfolge.  Foto: Denkler

Peter Gauweiler hält die deutschen Militäreinsätze im Kosovo und in Afghanistan für große Misserfolge. Foto: Denkler

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Gauweiler: Entschuldigung: Das ist Quatsch! Die humanitäre Katastrophe war doch die Nato-Intervention im Kosovo. Oder wie nennen Sie es, wenn 5000 serbische Soldaten - das ist eine Nato-Zahl - allein durch den Nato-Angriff ums Leben gekommen sind?

Müller: Niemand bestreitet, dass auch durch die Bombardierung Menschen getötet wurden. Aber wir haben heute auf dem Balkan keinen Krieg mehr. Schauen Sie nach Bosnien. Oder nach Mazedonien, wo man sogar sehr frühzeitig verhindert hat, dass es überhaupt zum bewaffneten Konflikt kam. Da kann man nicht sagen: Das hat alles nichts gebracht.

sueddeutsche.de: In Afghanistan wird die Lage doch immer schwieriger.

Müller: Ich würde dennoch sagen, dass der Isaf-Einsatz in Afghanistan erfolgreich ist. Wir haben die Taliban abgesetzt. Die Afghanen hatten erfolgreiche Parlaments- und Präsidentschaftswahlen nach langen Jahren des Bürgerkriegs und der Taliban-Herrschaft.

Sieben Millionen Kinder können heute wieder regelmäßig zur Schule gehen. Große Teile der Infrastruktur sind wieder aufgebaut. Das wird von Herrn Gauweiler und teilweise auch von der pazifistischen Seite unterschlagen.

Wo ich Ihnen Recht gebe ist, dass für den Kosovo-Einsatz kein UN-Mandat vorlag. Das muss der absolute Ausnahmefall sein. Und ich stimme auch darin überein, dass man unsere begrenzten Ressourcen im Blick haben muss bei der Frage: Wo und wie beteiligen sich deutsche Soldaten an internationalen Einsätzen.

Ansonsten haben wir eine fundamental unterschiedliche Auffassung. Es ist Fakt, dass es angesichts der globalen Risiken wie Terrorismus und zerfallender Staaten keine andere Möglichkeit gibt, als solche Probleme im multilateralen Rahmen auch mit internationalen Militäreinsätzen zu lösen - wenn auch Militär nicht das einzige beziehungsweise primäre Mittel sein darf. Die Anfragen an Deutschland werden da eher zunehmen.

sueddeutsche.de: Für Militäreinsätze wird viel mehr Geld ausgegeben als für den zivilen Wiederaufbau. In Afghanistan ungefähr das Fünffache. Warum gibt es noch immer dieses Missverhältnis?

Müller: Manchmal scheint unsere Regierung einen zu starken Glauben an das Militär zu haben. Das ist auch unsere Kritik an der Koalition. Wir brauchen insgesamt - und darüber haben wir hier leider bisher noch gar nicht geredet - ein viel stärkeres Engagement im Bereich der zivilen Krisenprävention und der zivilen Konfliktbearbeitung.

Das Militär kann eine stabilisierende, gewalteindämmende Funktion haben - auch wenn Sie das jetzt vielleicht bestreiten, Herr Gauweiler. Aber dann muss das kommen, was erst den Frieden tatsächlich schafft.

Deshalb muss sich dieses krasse Missverhältnis etwa beim deutschen Afghanistan-Einsatz zwischen zivilen und militärischen Mitteln ändern. Das heißt aber nicht, dass man beim Militär sparen kann, sondern: Man muss beim zivilen Aufbau drauflegen.

Gauweiler: Ich will Ihnen nicht zu nahe treten. Aber Sie dürfen nicht Opfer ihrer eigenen Propaganda werden. Meine These lautet: Es war ein Misserfolg, insbesondere in der Relation zu Aufwand und Geld, von den Menschenleben ganz zu schweigen. Und begonnen hat das im Kosovo.

"Wissen Sie nicht, was Sie da tun?"

Kerstin Müller will trotz der US-Fehler im Irak die transatlantische Partnerschaft nicht beenden. Foto: Denkler

Kerstin Müller will trotz der US-Fehler im Irak die transatlantische Partnerschaft nicht beenden. Foto: Denkler

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Müller: Glauben Sie, wenn wir nicht interveniert hätten, dann würden heute Milosevic - den gäbe es ja dann noch sehr wahrscheinlich - und die Kosovo-Albaner in trauter Einigkeit friedlich miteinander in einem geeinten Serbien leben?

Alle Analysen sprechen da nun wirklich dagegen. Wahrscheinlich hätten wir noch immer Krieg. Ist Ihnen das etwa egal?

Gauweiler: Es geht nicht um Eventualitäten. Der Kosovo-Krieg war ein Bruch des Völkerrechts. Und jeder, der sich an einer völkerrechtswidrigen kriegerischen Aktion beteiligt, muss damit rechnen, dass er sich strafbar macht.

Der Bruch des Völkerrechts stand letztlich auch am Beginn der Irak-Intervention. Ohne diesen vorherigen Völkerrechtsbruch im Kosovo wäre der Krieg im Irak mit seinen schlimmen Kriegsverbrechen nicht möglich gewesen. Das ist meine Kritik.

Das Nato-Bombardement von vier jugoslawischen Städten war die Voraussetzung dafür, dass Bush und seine Leute den "preemptive strike", den Präventivschlag gewagt haben. Ohne völkerrechtliche Legitimation, ohne Mandat der UN, ohne eine Selbstverteidigungssituation im Sinne des Artikel 51.

Es hat in Deutschland keinen einzigen Völkerrechtler gegeben, der die Irak-Intervention für zulässig erklärt hatte. Die Gefahr bleibt, dass dieses Verhalten der USA trotzdem schleichend zu neuem völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht führt.

Schließlich unterstützt Deutschland - wie andere - bis zum heutigen Tag diese völkerrechtswidrige Intervention im Irak, indem wir Luftlandeplätze auf deutschem Boden für die Logistik dieses Einsatzes zur Verfügung stellen. Mir ist das völlig unbegreiflich. Vielleicht bin ich da zu konservativ dazu ...

Müller: ... das kann sein.

Gauweiler: Bei uns in Deutschland wird einerseits jede Verkehrsordnungswidrigkeit drastisch verfolgt. Aber eine offensichtlich illegale militärische Eskalation, die, wie jetzt zu lesen ist, sogar die Angst vor einem Dritten Weltkrieg einbezieht, die wird hingenommen und sogar noch von Ehemaligen einer "Friedensbewegung" gefördert. Wissen Sie nicht, was Sie da tun?

Müller: Da kommt jetzt mal zum Ausdruck, was hinter Ihrer Position steckt. Nämlich jede Menge Antiamerikanismus. Sie plädieren doch in Ihren Artikeln offen für den Bruch der transatlantischen Partnerschaft.

Gauweiler: Mit dem, was die Amerikaner im Irak gemacht haben, haben wir keine Partnerschaft.

Müller: Das stimmt. Beim Irakkrieg hat sich Rot-Grün im Gegensatz zu manch anderen von Anfang an klar positioniert. Aber bei Ihnen geht es doch eigentlich um etwas anderes. Sagen Sie doch deutlich: Ich plädiere dafür, dass die Deutschen im nationalen Alleingang diese transatlantische Partnerschaft beenden.

Gauweiler: Nicht im nationalen Alleingang. Das sagen 90 Prozent aller Staaten auf diesem Planeten.

Müller: Vor allem Staaten mit zweifelhaftem Hintergrund. Staaten, die Demokratie und Menschenrechte generell missachten, die diktatorisch oder islamistisch sind.

sueddeutsche.de: Verteidigen Sie jetzt das Vorgehen der Amerikaner im Irak und in Afghanistan, Frau Müller?

Müller: Die Bush-Administration hat in der internationalen Politik sehr viel Schaden angerichtet. Der Irakkrieg war und ist ein Desaster. Er hat bis jetzt den internationalen Terrorismus nur gefördert, Iran als Regionalmacht gestärkt und die gesamte Region destabilisiert.

So eine Politik befördert natürlich auch antiamerikanische Stimmungen, die in Europa existieren. Deshalb dürfen wir aber nicht zu dem Schluss kommen, grundsätzlich die transatlantische Partnerschaft in Frage zu stellen.

sueddeutsche.de: Sondern?

Müller: Uns verbindet weiterhin eine Wertegemeinschaft. Und die USA sind nun mal eine Supermacht, ohne die die wichtigen internationalen Herausforderungen nicht gemeistert werden können.

Ja, man muss ihnen ganz klar sagen, der Irakkrieg war falsch und Guantanamo ist untragbar. Das tun wir auch. Wenn Herr Gauweiler aber meint, dass die Kosovo-Intervention ein Freibrief für die Irak-Intervention war, dann haben uns die amerikanischen Freunde falsch verstanden.

"Wissen Sie nicht, was Sie da tun?"

Peter Gauweiler glaubt, dass in Afghanistan oder im Irak heute manches schlimmer ist, als noch unter den Taliban oder unter Saddam Hussein. Foto: Denkler

Peter Gauweiler glaubt, dass in Afghanistan oder im Irak heute manches schlimmer ist, als noch unter den Taliban oder unter Saddam Hussein. Foto: Denkler

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Gauweiler: Ihre politischen Vorläufer skandierten noch "USA, SA, SS"...

Müller: Mit Verlaub: Ich bin bereits die Nach-68er-Generation!

Gauweiler: ... während wir - die studentischen Gegenspieler der 68er - damals den langen Weg nach Westen mitgegangen sind. Aber dieser lange Weg nach Westen darf nicht bis nach Guantanamo gehen.

Militärisch für Werte zu kämpfen, die man dann selber mit der gleichen Aktion mit Füßen tritt, das kann nicht gut gehen. Diese Politik führt in Afghanistan dazu, dass heute wichtige Strukturen dieser Regierung vom organisierten Verbrechen namentlich vom organisierten Drogenhandel benutzt werden. Kapiert Ihr Grünen das nicht?

Müller: Dann können wir uns ja nur die Rückkehr der Taliban wünschen, da gab's nicht so einen großen Drogenhandel und Drogenproduktion. Dann haben wir wieder schöne Verhältnisse.

Gauweiler: In der Tat haben westliche Zeitungen berichtet, dass viele einfache Afghanen sagen, das hätte es unter dem früheren Regime nicht gegeben.

Müller: Das haben manche über Hitler auch gesagt: Der hat so schöne Autobahnen gebaut und das mit der Familie war auch ganz nett.

Gauweiler: Das ist ein leichter Sieg, den Sie da jetzt errungen haben.

Müller: Nein, ich verstehe nur ihre Alternative nicht. Sie sagen doch: nicht intervenieren. Aber das hieße, wir hätten immer noch eine Taliban-Herrschaft und einen sicheren Hafen für den internationalen Terrorismus in Afghanistan.

Gauweiler: Vielleicht erinnern Sie sich an die Kritik an UN-Generalsekretär Kofi Annan. In den letzten Wochen seiner Amtszeit merkte er zu den Zuständen im Irak an, manche würden sagen, dass es da noch besser unter Saddam Hussein gewesen wäre.

sueddeutsche.de: Die Amerikaner gehen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 immer noch von einer Verteidigungssituation aus.

Gauweiler: Nach dem 11. September war das selbstverständlich auch der Fall. Aber es ist heute falsch und völkerrechtlich mehr als problematisch, das Fortbestehen der Verteidigungssituation nach nunmehr über sechs Jahre immer noch zu behaupten. Dieses Thema war spätestens nach dem Sturz des Taliban-Regimes erledigt.

Wenn wir den Begriff der Verteidigungssituation so ausufern lassen, wie es jetzt zum Beispiel wieder mit dem Kriegsmandat Operation Enduring Freedom (OEF) passiert, das in diesem Monat verlängert werden soll, dann ist jeder weiteren Militärintervention wo auch immer Tor und Tür geöffnet.

Müller: Für OEF gebe ich Ihnen ja recht. Ich bin auch für ein Ende dieser Operation. Insgesamt ist der amerikanische "War on Terror" - OEF ist Teil davon - inzwischen völlig kontraproduktiv.

Gauweiler: Das ist ja schon mal ein Pünktchen.

"Wissen Sie nicht, was Sie da tun?"

Kerstin Müller kann sich ein stärkeres militärisches Engagement in Afrika vorstellen. Foto: Denkler

Kerstin Müller kann sich ein stärkeres militärisches Engagement in Afrika vorstellen. Foto: Denkler

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sueddeutsche.de: Würde Sie Einsätze wie vor der Küste des Libanon oder die Absicherung der Wahlen im Kongo für akzeptabel halten, Herr Gauweiler?

Gauweiler: Der Kongo-Einsatz war sehr zweifelhaft. Wir haben damit ein äußerst angreifbares Regime unterstützt. Der Unifil-Einsatz im Libanon hatte dagegen meine Unterstützung.

Dieser Einsatz der Bundeswehr hat immerhin geholfen, dass die Blockade, die Israel gegen den Libanon verhängt hatte und die für die Bevölkerung mit massiven Nachteilen verbunden war, aufgehoben wurde. Das war ein sinnvolles Engagement Deutschlands.

sueddeutsche.de: Grundsätzlich sagen Sie aber: Die Regierungen sollen Ihre Probleme zunächst einmal selbst lösen, bevor fremde Truppen sich einschalten?

Gauweiler: Ja. Das beste Beispiel ist ja Afrika. Es gibt im Südsudan schon einen sehr langen Einsatz der Vereinten Nationen. Ist es tatsächlich sinnvoll, in einem Gebiet, das in der Zuständigkeit der Afrikanischen Union steht, mit deutschen Soldaten einzugreifen?

Joschka Fischer hat ja schon mit gerunzelter Stirn seinen Grünen eingeredet, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis wir größere Einheiten der Bundeswehr auch nach Afrika verlegen sollten. Das ist die Humanität von aufgeklärten Kolonialisten: Die Afrikaner können das nicht selbst in die Hand nehmen, also müssen wir es tun.

Müller: Ich würde das in Bezug auf Afrika etwas anders sehen. Wir Deutschen haben - besonders von Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einmal abgesehen - kaum koloniale Geschichte dort. Viele Afrikaner sähen es deshalb gerne, wenn sich die Deutschen stärker als die Franzosen oder Briten auch an Kriseneinsätzen der Afrikanischen Union oder der UN beteiligen würden.

sueddeutsche.de: Das reicht als Grund?

Müller: Nein. Wir müssen uns auch fragen: Ist es in unserem Interesse? Ich glaube: Internationales UN-Krisenmanagement ist in unserem Interesse. Wenn wir dazu nicht beitragen, bleibt es entweder den USA oder den ehemaligen Kolonialmächten oder schlecht ausgerüsteten, schlecht bezahlten Soldaten aus Drittweltländern überlassen, die Krisen dieser Welt zu lösen.

Gauweiler: Sie lösen sie ja nicht.

Müller: Eben, wie man im Kongo sieht: Dort müssen überforderte UN-Truppen im Osten des Landes oft zusehen, wenn Frauen massenweise vergewaltigt und ganze Dörfbevölkerungen ermordet oder vertrieben werden.

Gauweiler: Also: Germans to the front?

Müller: Ich sage nicht, dass Deutschland oder Europa eine globale Ordnungsmacht werden sollte. Das ist sicherlich falsch. Aber wir müssen sehen, was wir im Rahmen unserer Ressourcen international leisten können und müssen. Ja, ich plädiere für mehr internationales Engagement, multilateral und jeweils auf der Basis eines UN-Mandats.

sueddeutsche.de: Frau Müller, werden die Deutschen bereit sein, dafür Opfer zu bringen? Es werden ja weiter auch Soldaten in solchen Einsätzen ums Leben kommen.

Müller: Wir müssen uns da in der Tat auch als ehemalige rot-grüne Bundesregierung an die eigene Nase packen. Wir haben die Gesellschaft bei dieser schnellen Entwicklung nicht so richtig mitgenommen. Das ist aber Aufgabe von Politik.

Wenn wir aus guten Gründen daran festhalten, dass wir eine multilateral gestützte Außenpolitik brauchen, dass wir die zivilen und militärischen Instrumente zur Krisenbewältigung von UN, EU und Nato stärken wollen, brauchen wir insgesamt in Deutschland eine Debatte darüber, warum wir das tun, warum das in unserem eigenen politischen und im allgemein humanitären Interesse ist.

Man darf dieser Debatte nicht aus dem Weg gehen. Wir haben das leider gemacht. Und die jetzige Regierung tut es auch.

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