Süddeutsche Zeitung

Serbischer Ex-General in Den Haag:Mladic muss noch diese Woche vor seine Richter

Nach seiner Auslieferung an das UN-Tribunal hat Ratko Mladic die Nacht in einem Gefängnis in Den Haag verbracht. Am Freitag muss der mutmaßliche Kriegsverbrecher erstmals vor das UN-Tribunal treten.

Der Prozess gegen den mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrecher Ratko Mladic vor dem UN-Tribunal ist aus Sicht der Anklage eines der wichtigsten Verfahren überhaupt. "Er war die mächtigste militärische Figur in Bosnien-Herzegowina", begründete der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz, in Den Haag diese Position.

"Mladic war der höchste Militär während des Krieges", sagte Brammertz weiter. Der Ex-General und der politische Serbenführer Radovan Karadzic, dessen Prozess bereits seit eineinhalb Jahren läuft, seien die "Hauptverantwortlichen" für die schwersten Kriegsverbrechen in Europa seit 1945, sagte der Ankläger weiter.

Brammertz legte nun eine überarbeitete Anklageschrift gegen Mladic vor. Statt 15 würden nun elf Anklagepunkte gegen den bosnisch-serbischen Ex-General vorgebracht, sagte der Chefankläger. So werde ihm nunmehr zweifacher Völkermord zur Last gelegt, für das Massaker von Srebrenica sowie für Verbrechen an verschiedenen Orten zu Beginn des Bosnienkrieges (1992-1995). Die bisherige Anklageschrift hatte ihm Völkermord und Beihilfe zum Völkermord vorgeworfen. Insgesamt umfasse die Anklage neben den Vorwürfen des Völkermords fünf mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und vier Kriegsverbrechen, sagte Brammertz.

Mladic war nach fast 16 Jahren auf der Flucht vergangene Woche in Serbien gefasst und am Dienstagabend nach Den Haag überstellt worden. Er soll nach Angaben der Anklage am Freitag erstmals vor seinen Richtern erscheinen. Der Prozessauftakt gegen Mladic hänge davon ab, wieviel Zeit dieser zur Vorbereitung seiner Verteidigung benötige, hatte Brammertz der Belgrader Zeitung Novosti gesagt. Die Anklage habe ihr Beweismaterial schon längst zusammengetragen, weil "wir das schon oft in anderen Prozessen genutzt haben".

Außenminister Guido Westerwelle begrüßte die Überstellung Mladics an das Kriegsverbrechertribunal. "Es ist ein starkes Signal für die gewachsene Kraft des internationalen Rechts, dass sich dieser mutmaßliche Kriegsverbrecher jetzt vor Gericht verantworten muss", sagte Westerwelle bei einem Besuch in der australischen Hauptstadt Canberra. Es sei eine, "wenn auch späte Genugtuung für die Opfer der Untaten, die Mladic zu verantworten hat".

Verwirrspiel bei der Auslieferung

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sprach von einem "bedeutenden Moment" für die Versöhnung in den Balkanländern und die internationale Justiz. Der Prozess gegen den früheren bosnisch-serbischen Armeechef vor dem UN-Tribunal werde dazu beitragen, die Wahrheit aufzudecken und für Gerechtigkeit sorgen, und damit eine "Verpflichtung" gegenüber den Opfern und ihren Familien erfüllen, sagte Ashton am Dienstagabend in Brüssel

Wenige Stunden vor der Auslieferung hatte ein Gericht in Belgrad einen Einspruch der Verteidigung gegen die Überstellung nach Den Haag abgelehnt. Der Verteidiger Mladics wollte gesundheitliche Gründe ausschlaggebend machen. Mladic war am vergangenen Donnerstag nach fast 16-jähriger Flucht verhaftet worden.

Vor seinem Abflug aus Belgrad hatte die Polizei aus Sicherheitsgründen ein Verwirrspiel organisiert. Insgesamt drei Kolonnen mit Polizei-Jeeps hatten im Abstand von einer Stunde das Gericht in Belgrad verlassen, in dem Mladic seit seiner Verhaftung in einer Zelle saß. Die Autobahn von der Innenstadt in Richtung Flughafen wurde von der Polizei blockiert.

Unterdessen werden immer mehr Details aus dem Leben Mladics in den vergangenen Jahren bekannt, die darauf hindeuten, dass offizielle Stellen immer wussten, wo der mutmaßliche Kriegsverbrecher sich aufhielt. So wurde der Ex-General nach Darstellung seines Anwalts 2009 in einer Belgrader Klinik operiert - zu einer Zeit, in der er angeblich untergetaucht war.

Untergetaucht - im Krankenhaus

Der heute 69-jährige habe von April bis Juli 2009 in einer nicht näher bezeichneten staatlichen Klinik in der Hauptstadt verbracht, sagte Anwalt Milos Saljic am späten Dienstagabend dem TV-Sender B92. Dort sei er operiert worden und habe eine Chemotherapie erhalten. Schon früher war in den Medien spekuliert worden, der frühere Militärchef der bosnischen Serben im Bürgerkrieg (1992-1995) sei im Militärkrankenhaus in Belgrad behandelt worden.

Der heutige serbische Gesundheitsminister Zoran Stankovic war von 2002 bis 2005 Direktor des Militärkrankenhauses und dann Verteidigungsminister gewesen. Stankovic, der sich öffentlich als Freund von Mladic bezeichnet hatte, war auch zu einem Besuch des Generals nach dessen Verhaftung in der Gefängniszelle erschienen.

Während zahlreiche Sicherheitsexperten behaupten, die Regierung habe immer gewusst, wo sich Mladic bei seiner 16-jährigen Flucht aufhält, hatte Staatspräsident Boris Tadic das als "Blödsinn" bezeichnet. Die Behörden hätten den Angeklagten sofort verhaftet, nachdem sie sein Versteck bei der Stadt Zrenjanin nördlich von Belgrad entdeckt hätten. Zuvor war vom staatlichen Verfolgerteam mitgeteilt worden, Mladic habe sich in den letzten sechs Jahren in und um Belgrad versteckt gehalten. Am Wochenende war bekannt geworden, dass Mladic 2006 nach einem Herzinfarkt in einem Frauenkloster gesund gepflegt worden war.

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