Serbien:Warum Serbiens Premier heute ein neues Parlament wählen lässt

Serbian Prime Minister and leader of the Serbian Progressive Party (SNS) Vucic gestures during a rally ahead of Sunday's election, in Belgrade

Der serbische Präsident Aleksander Vucic bei einer Wahlkampfveranstaltung. Niemand zweifelt an seinem Sieg bei der Parlamentswahl.

(Foto: REUTERS)

Er wolle sich Unterstützung für Reformen holen, sagte Aleksander Vučić. In Wirklichkeit ergreift er eine günstige Gelegenheit zum Machterhalt.

Von Nadia Pantel, Belgrad

Für Verkäufer roter Satinschleifen war Serbien in den vergangenen Wochen ein hervorragender Absatzmarkt. Premierminister Aleksander Vučić eilte mit einer großen Schere durchs Land und durchschnitt ein Absperrband nach dem anderen.

Er eröffnete Schulen, Baustellen, eine Coca-Cola-Fabrik und einen Tunnel, taufte ein Schiff und machte schließlich sogar eine "Toiletten-Tour", auf der er den Zustand serbischer Aborte untersuchte. In den drei Wochen vor der Parlamentswahl an diesem Sonntag nahmen die öffentlichen Auftritte des serbischen Premiers um 160 Prozent zu, notierte die serbische Zweigstelle von Transparency International. Das entspricht nicht ganz dem bescheidenen 10-Tage-Mini-Wahlkampf, den Vučić versprochen hatte.

Niemand zweifelt an Vučićs Wiederwahl

Das Mandat von Vučić wäre eigentlich erst 2018 ausgelaufen, schon jetzt hat seine Fortschrittspartei (SNS) die absolute Mehrheit im Parlament. Es war folglich ein wenig überraschend, als der Premier im März ankündigte, er werde die Neuwahlen vorziehen. Der Grund: Er plane große Reformen, für die er sich der klaren Unterstützung der Bevölkerung sicher sein müsste.

Kritiker vermuten eher, dass der Nationalist auf EU-Kurs seine aktuell positiven Umfragewerte nutzen wolle, um sich seine Position an der Macht auf vier, statt nur auf zwei Jahre zu sichern. An der Wiederwahl des Regierungschefs zweifelt niemand.

Vučić' zentrale Botschaft, im Land wie auf internationaler Bühne, lautet: Ich kann mit allen. Mit dem radikal-nationalistischen Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, ebenso wie mit den bosnischen Muslimen. Mit der Nato ebenso wie mit Russland. Mit Europa-Kritikern ebenso wie mit Europa-Freunden. Sein Ziel sei der EU-Beitritt, betont er bei seinen Berlin-Besuchen immer wieder.

Inzwischen hat er allerdings eingeschränkt, dass dies eine pragmatische, keine enthusiastische Entscheidung sei. "Das Bündnis ist für uns nicht mehr so attraktiv, wie es einmal war", sagte er im Februar in London. Den Mangel an eindeutigen politischen Bekenntnissen macht der 46-Jährige mit emotionalen Ausbrüchen wett. Über seine politischen Konkurrenten, links wie rechts, sagte er in einem Interview mit dem Magazin Nin: "Letztlich sind sie alle vereint im Hass gegen mich."

Tatsächlich tritt am Sonntag ein Mann an, der vor allen Dingen für seine eloquenten Hasstiraden bekannt ist, der ultranationalistische Vojislav Šešelj. Seine politische Karriere begann genauso wie die von Aleksandar Vučić als ein glühender Kampf für die großserbische Idee, wenn nötig mit Gewalt. Der Ministerpräsident hat sich inzwischen von der Politik des serbischen Größenwahns und von seinem ehemaligen Ziehvater Šešelj losgesagt. Dieser hingegen verbrennt bei seinen öffentlichen Auftritten weiterhin eifrig die Fahnen der Nachbarländer und der Europäischen Union.

Der Zustand der Linken ist desolat

Während der Jugoslawienkriege in den 90er-Jahren führte Šešelj ein Heer aus Freischärlern, die für die Ermordung und Vertreibung von Kroaten und Bosniern verantwortlich gemacht werden. Doch der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag verkündete vor drei Wochen überraschend einen Freispruch für den Rechtsradikalen.

Šešelj und seine Unterstützer feiern das Urteil als Bestätigung ihrer Ideologie. Es sei eben kein Verbrechen, für Großserbien zu sein, sagte Šešelj nach dem Urteil, folglich werde er weiter dafür kämpfen. Aktuelle Umfragen sehen den Führer der Radikalen Partei bei acht Prozent.

Neben dem Aufstieg der Rechten wirkt die Situation der serbischen Linken umso desolater. Lediglich der jetzige Außenminister Ivica Dačić und seine Sozialistische Partei können sich sicher sein, dass sie wieder ins Parlament einziehen werden. In Umfragen liegen sie bei knapp zwölf Prozent.

Die Medien stehen unter Einfluss der Regierung

Premier Vučić ließ im Wahlkampf keine Gelegenheit aus, seinen bisherigen Koalitionspartner zu diffamieren, er habe Dačić nie wirklich vertraut. Dieser sagte jedoch, er rechne damit, dass der Premier ihn nach der Wahl erneut zu Koalitionsgesprächen einladen werde.

In einem Zwischenbericht zu den vorgezogenen Wahlen ziehen die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine verhalten positive Bilanz. Es sei mit freien und fairen Wahlen zu rechnen. Allerdings stünden die Medien unter Einfluss der Regierung.

Wer in den Wochen vor der Wahl den Fernseher einschaltete, konnte das kaum übersehen: Vučić dominierte auf allen Kanälen. Kritische Berichterstattung gab es selten. Menschenrechtsaktivisten und unabhängige Journalisten beklagen schon länger, dass die Regierung zunehmend autokratisch agiere.

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