Serbien:Schwenk gen Westen

Serbien: "Wir brauchen einiges Geld aus den EU-Fonds, und dann werden Sie das Lächeln auf unseren Gesichtern sehen", sagt Premier Aleksandar Vučić.

"Wir brauchen einiges Geld aus den EU-Fonds, und dann werden Sie das Lächeln auf unseren Gesichtern sehen", sagt Premier Aleksandar Vučić.

(Foto: Hektor Pustina/AP)

Bisher hat sich Serbien stark an Russland orientiert - jetzt scheint sich die Regierung den USA zuzuwenden. Dahinter steckt ein immer heftigeres Buhlen um das Balkanland.

Von Florian Hassel, Warschau

Der zweite Mann im Weißen Haus entschied schnell. Kaum hatte Serbien im April bekräftigt, Belgrad werde bei der von westlichen Regierungen boykottierten Siegesfeier- und Militärparade des Kreml am 9. Mai dabei sein, lud US-Vizepräsident Joe Biden auch schon Serbiens Regierungschef Aleksandar Vučić ein. Bei einem in dieser Woche anstehenden Gespräch in Washington will Biden nun Vučić überzeugen, Serbiens Bande zu Moskau zu lockern. Auf den ersten Blick erscheint dies wenig aussichtsreich: Schließlich gilt Serbien als Klientelstaat Moskaus, preist Präsident Tomislav Nikolić gern Russlands Präsidenten Wladimir Putin, verweigert sich Serbien auch als EU-Kandidat den von Brüssel verhängten Sanktionen gegen Moskau. Zudem sind die USA bei vielen Serben unbeliebt - schon weil sie als Kernmacht der Nato Serbien 1999 mit umfangreichen Bombardements zwangen, den Krieg um Kosovo zu beenden.

Auf den zweiten Blick aber hat Serbien durchaus Grund, die Bande zu Moskau zu lockern. Denn luftiger Bruderschaftsrhetorik zum Trotz bekommt Belgrad keineswegs eine Vorzugsbehandlung. Schon bevor Russlands Wirtschaft als Folge des sinkenden Ölpreises und der westlichen Sanktionen kriselte, lehnte Putin Bitten aus Serbien um umfangreiche Kredite und andere wirtschaftliche Unterstützung meist ab. Und Serbien deckt zwar 80 Prozent seines Energiebedarfs durch russisches Erdgas, zahlt dafür aber dem Analysedienst Stratfor zufolge einen hohen Preis: 340 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Nachbar Ungarn etwa zahlt an Moskau nur 260 Dollar.

Und so ist Regierungschef Vučić nicht nur an der Aufnahme in die Europäische Union interessiert, sondern auch an einem besseren Verhältnis zu den USA. Vor allem Vizepräsident Biden plädiert offen dafür, Russland nach seinem Krieg in der Ukraine etwas entgegenzusetzen - auch auf dem Balkan. Hohe US-Politiker besuchen Rumänien und das traditionell ebenfalls eng an Moskau angelehnte Bulgarien. Und auch Serbien wird nun von beiden Seiten umworben.

Nachdem Bidens Einladung an Vučić bekannt geworden war, kam erst Walentina Matwijenko, Putin-Vertraute und Vorsitzende des russischen Föderationsrates nach Belgrad, dann am 15. Mai Außenminister Sergej Lawrow. Doch ihr Versuch, Serbien auf eindeutig russischer Linie zu halten, scheiterte offenbar - wohl auch deshalb, weil Moskau Belgrad angesichts knapper Kassen wenig bieten kann. Washington dagegen kann im Zusammenspiel mit der EU nicht nur mit schönen Worten dafür werben, dass Serbien sich zum Beispiel dem Projekt der Transadria-Gaspipeline anschließt: Diese soll als Konkurrenz zu russischen Pipelines vom Jahr 2020 an Erdgas aus Aserbaidschan in die Türkei und weiter nach Südosteuropa bringen. Ein Anschluss an diese Pipeline wäre für Serbien teuer. Doch die EU-Kommission hat für Serbien bis 2020 rund 1,5 Milliarden Euro Fördergeld im Budget; auch Energieprojekte sind hier möglich.

Serbien ist chronisch klamm und daher dringend auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen

"Wir brauchen einiges Geld aus den EU-Fonds, und dann werden Sie das Lächeln auf unseren Gesichtern sehen", bekräftigte Vučić vor seiner Washington-Reise auf einer Wirtschaftskonferenz. Auf der gleichen Konferenz verkündete er am 28. Mai, sein Land sei "bereit, die Erdgasquellen für Serbien zu diversifizieren, was auch für unsere amerikanischen Freunde sehr wichtig ist". Am 29. Mai unterschrieben Serbien und die USA in Belgrad ein Luftfahrtabkommen, das Anfang 2016 die ersten direkten Flüge in die USA seit einem Vierteljahrhundert öffnen soll. Bei der Vertragsunterzeichnung würdigte Vučić den US-Botschafter Michael Kirkby als "großen Freund Serbiens" - ein umso bemerkenswerteres Lob, als der US-Diplomat bei anderer Gelegenheit nicht mit Kritik an der serbischen Politik sparte.

Serbiens Regierung ist nicht nur wegen Pipeline-Fragen oder neuen Flügen an einem besseren Verhältnis zu Washington interessiert. Serbien ist überaus klamm: die Wirtschaft kriselt, der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt bis Ende 2016 einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 22 Prozent voraus. Das Land braucht Geld und mangels konkurrenzfähiger eigener Wirtschaft ausländische Investitionen. Bereits im November unterschrieb Serbien eine Übereinkunft mit dem IWF, die Belgrad im Gegenzug für Kreditgarantien zu umfangreichen Reformen verpflichtet.

Vučić trifft in Washington nicht nur Vizepräsident Biden, Senator John McCain und die für Europa zuständige Vize-Außenministerin Victoria Nuland, sondern auch führende US-Firmen wie General Electric. Am Donnerstag spricht Vučić zudem in der Johns Hopkins-Universität. Das Thema seiner Rede: "Serbiens strategische Wahlmöglichkeiten".

Mit seinen Entscheidungen aber dürfte sich Serbien Zeit lassen. Schon bald kommt der nächste hohe Gast nach Belgrad: Anfang Juli besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie Diplomaten der SZ bestätigten, Albanien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien.

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