Serbien:Der Zorn nach dem Unglück

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Eine Demonstrantin protestiert mit rot bemalten Handschuhe vor dem Bau- und Verkehrsministerium in Belgrad. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

14 Menschen starben, nachdem in der Großstadt Novi Sad das Vordach eines Bahnhofs eingestürzt war. Protestierende werfen der Regierung Korruption, Vertuschung und Kungelei mit China vor. Die reagiert mit Festnahmen.

Von Tobias Zick

Die Folgen eines tödlichen Unglücks in Serbien wachsen sich inzwischen zu einer innenpolitischen Krise aus. Am Freitag vorvergangener Woche war in der nördlichen Großstadt Novi Sad das Vordach des Bahnhofs eingestürzt und hatte zahlreiche Menschen unter sich begraben, 14 von ihnen starben. Daraufhin brachen Massenproteste aus, die sich gegen die mutmaßlich Verantwortlichen in den Behörden und in der Regierung richteten. Vergangenen Dienstag versammelten sich in Novi Sad mehrere Tausend Demonstrantinnen und Demonstranten, hielten schweigend Fotos der Opfer in die Höhe. Später am Abend flogen Steine und brennende Gegenstände auf das Rathaus; Fenster des Büros der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) wurden eingeschlagen.

Kurz zuvor hatte Bauminister Goran Vesić seinen Rücktritt erklärt – allerdings, wie er in einer Rede betonte, lediglich aus „moralischen Gründen“. Schuldzuweisungen für den Tod der 14 Menschen werde er nicht akzeptieren, sagte Vesić, „denn weder ich noch die Leute, die mit mir zusammenarbeiten, tragen auch nur das geringste bisschen Verantwortung für diese Tragödie“. Den Zorn der Menschen in Serbiens zweitgrößter Stadt besänftigten diese Worte freilich nicht, ebenso wenig wie die Ankündigung von Präsident Aleksandar Vučić, man werde die Verantwortlichen „hart bestrafen“.

Einige prominente Protestierende wurden verhaftet

Bis Anfang dieser Woche, zehn Tage nach dem Unglück, hatten die Behörden noch keine vorläufigen Untersuchungsergebnisse zu den Hintergründen bekannt gegeben – stattdessen wurden eine Reihe von Protestierenden verhaftet, darunter auch prominente Namen wie etwa Goran Ješić, ehemaliger Vizepräsident der Provinz Vojvodina, deren Hauptstadt Novi Sad ist. Er war zunächst bei einer Demonstration festgenommen, dann wieder freigelassen worden.

Am Freitag schließlich ordnete ein Gericht 30 Tage Untersuchungshaft für Ješić an. Ihm wird vorgeworfen, einen vermummten Polizeibeamten attackiert zu haben, als der gerade dabei war, einen anderen Demonstranten abzuführen. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der Gefahr einer Tatwiederholung und der möglichen Beeinflussung von Zeugen. Ješić’ Anwalt kündigte Berufung an.

Ein Stadtrat von Novi Sad wurde ebenfalls zu 30 Tagen Untersuchungshaft verurteilt – indem er während einer Demonstration Abwasser aus einem Tanklaster vor dem Rathaus verschüttete, soll er die öffentliche Sicherheit gefährdet haben. Eine Aktivistin namens Mila Pajić berichtete dem Sender N1, sie und eine andere Demonstrantin seien von schwarz gekleideten Männern, die sich nicht ausgewiesen hätten, in Autos abgeführt worden: „Es fühlte sich an wie eine Entführung, ein klarer Versuch, uns einzuschüchtern“, sagte Pajić – und fügte hinzu, die Entschlossenheit der Protestierenden sei ungebrochen: „Sie können uns ja nicht alle verhaften.“

Der Bahnhof ist erst vor zwei Jahren renoviert worden – auch von chinesischen Firmen

Viele der Protestierenden werfen den Behörden Korruption und Vertuschung vor. Der 60 Jahre alte Bahnhof war erst vor zwei Jahren renoviert worden – als wichtiger Halt auf der Bahnstrecke Belgrad – Budapest, die wiederum einen Teil der chinesischen Initiative „Neue Seidenstraße“ bildet. Medienberichten zufolge hatten zwei chinesische Firmen einen Teil der Arbeiten an dem Bahnhof ausgeführt. Wie der Radiosender 021 berichtet, hat das zuständige Ministerium die Unterlagen zur Renovierung auf Wunsch der „chinesischen Vertragspartner“ als vertraulich eingestuft. Das wiederum schürt das Misstrauen unter den Bürgerinnen und Bürgern.

Die Bahnlinie zwischen Budapest und Belgrad wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, um das Fürstentum Serbien, das sich zuvor vom Osmanischen Reich losgelöst hatte, an Österreich-Ungarn anzubinden. Sie bildete zeitweise eine Teilstrecke des legendären Orient-Express, der seinerzeit Paris mit Konstantinopel verband, dem heutigen Istanbul. Die Tatsache, dass Peking nun die Renovierung der Bahnverbindung zwischen den beiden europäischen Hauptstädten betreibt, hat immer wieder Spannungen zwischen der Europäischen Union und ihrem Mitgliedsland Ungarn sowie dem Beitrittskandidaten Serbien hervorgerufen.

Während Serbiens Präsident Aleksandar Vučić am Montag in Aserbaidschans Hauptstadt Baku weilte, um am dortigen Klimagipfel teilzunehmen, versammelten sich am Abend Demonstranten im Regierungsviertel von Belgrad, um den Rücktritt von Premierminister Miloš Vučević zu fordern, die Offenlegung aller vertraulichen Vertragsdokumente rund um die Renovierung des Bahnhofs von Novi Sad sowie die Freilassung aller inhaftierten Aktivisten.

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