Süddeutsche Zeitung

Serbien:Kämpferischer Hirte

Die Bischöfe der serbisch-orthodoxen Kirche wählen ihr neues Oberhaupt. Einer der Favoriten ist ein scharfzüngiger Kritiker von Präsident Aleksandar Vučić.

Von Florian Hassel, Belgrad

Es sind scharfe Worte, die serbische Offizielle über einen serbisch-orthodoxen Bischof gebrauchen: Verräter, Feind der Kirche, Instrument der Opposition. Dabei sitzt derjenige, von dem die Rede ist, weit vom Schuss: Grigorije Durić ist für die serbisch-orthodoxe Kirche Bischof von Düsseldorf und ganz Deutschland. Er ist Seelenhirte von schätzungsweise 800 000 serbisch-orthodoxen Gläubigen hierzulande.

Dass der Bischof gleichwohl heftig angegriffen wird, hat mit einer Wahl in Belgrad zu tun: Dort wird von diesem Donnerstag an der nächste Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche bestimmt. In der ersten Runde wählen die Bischöfe drei der ihren zu Kandidaten. In der zweiten Runde wird einer von drei versiegelten Umschlägen, die in heilige Schriften gelegt werden, geöffnet und so der neue Patriarch bestimmt.

Der steht in Serbien der einzigen mächtigen Institution vor, die nicht umfassend von Präsident Aleksandar Vučić und seiner Partei SNS kontrolliert wird. Gleichwohl steht die serbisch-orthodoxe Kirche den jeweils Regierenden meist nahe. Der letzte Kirchenfürst war keine Ausnahme: Patriarch Irinej, 2010 gewählt, Ende 2020 an Covid-19 gestorben, verurteilte noch im Sommer 2020 Demonstranten, die gegen Vučić auf die Straße gingen.

In Montenegro trug Metropolit Amfilohije zum Ende des Regimes bei

Freilich sind längst nicht alle Bischöfe gefolgsam. Im benachbarten Montenegro war der offene Widerstand von Metropolit Amfilohije mitentscheidend dafür, dass dort im vergangenen Jahr das Regime des Autokraten Milo Đukanović nach drei Jahrzehnten endete. In Belgrad fürchten die Nutznießer des Systems Vučić, dass auch in Serbien ein unbeugsamer Bischof Patriarch werden könnte - etwa Grigorije Durić.

Der 54 Jahre alte Geistliche ist ein Liebling westlich orientierter Serben: gutaussehend, charismatisch, ein guter Redner, der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält. Unter Präsident Vučić "existiert in Serbien keine Pressefreiheit, was ja auch die Reporter ohne Grenzen bestätigen", sagt der Bischof in einem Videogespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Auch die Gerichte sind laut Transparency International nicht unabhängig. Für Serben ist es heutzutage schwer, ihr Recht einzuklagen."

Und im Parlament? Dort "gibt es keine Opposition", so der Bischof weiter. "Was für eine Blamage für ein Land, das in die Europäische Union strebt." Seit er vor gut drei Jahrzehnten als junger Student gegen Serbiens damaligen Autokraten Slobodan Milošević demonstriert habe, sei er dagegen, "dass die gesamte Macht in den Händen eines Mannes" liege: "Es ist bezeichnend, dass der heutige Präsident schon in den 1990er-Jahren dem Milošević-Regime diente."

Will Durić auch Präsident werden? Die Spekulationen befeuerte er selbst

Solch kritische Töne sind in Serbien selten. Schon gilt Durić nicht nur als möglicher Patriarch, sondern auch als jemand, der die moribunde Opposition vereinen, ja gar Präsident werden könnte. Der Bischof befeuerte Spekulationen am 6. Januar, dem Tag des orthodoxen Weihnachtsfestes. "Mein Plan ist, dass wir möglichst viele junge Leute sammeln, die gebildet sind, ehrlich, klug und tapfer und die nach Serbien gehen wollen, wenn sie nicht schon da sind und sich opfern, damit wir vor allem das Rechtssystem reparieren, weil ich nicht möchte, dass dies von einem Mann abhängt", sagte der Bischof dem Fernsehsender News Max Adria. "Wenn das Volk es erwartet, möchte ich 30, wenn ich kann, auch 300 Leute zwischen 30 und 60 Jahren sammeln, die bereit sind, sich für Serbien zu opfern."

Wegen seiner Offenheit war der Bischof schon früher Angriffsziel des Regierungslagers. Doch nach dem Interview vom 6. Januar, das sich durchaus als Kampfansage an Vučić lesen lässt, begann in Serbien eine massive Schlammschlacht gegen den Bischof: etwa wegen dessen angeblichen Wirtschaftsinteressen oder einem angeblichen Streben nach einer eigenen Kirche.

Der Innenminister verlangte von Durić, er solle die Bischofsrobe ausziehen. Parlamentspräsident Ivica Dačić, seit Jahren enger Alliierter Vučićs, bezeichnete den Bischof als Instrument des Oppositionspolitikers Dragan Đilas, der von sich selbst wisse, "dass er keine Wahlen gewinnen kann". Und der zum radikalnationalistischen Teil der Kirche gehörende Geistliche Srđan Krunić beschimpfte Durić Anfang Februar als "Verräter und Feind der Kirche", gefolgt von der Überlegung: "Wir müssen die Verräter in unseren Reihen liquidieren" - zuerst den "deutschen Priester Grigorije Durić". Eine brisante Aufforderung in einem Land, in dem erst 2018 ein gemäßigter Politiker, Oliver Ivanović, ermordet wurde.

Bei der Patriarchenwahl steht Durić als ein unerklärter Kandidat derer, die eine Modernisierung der Kirche wollen. Der mächtige Bischof Irinej Bulović dagegen steht für ein Beharren auf der Sonderrolle der Kirche und enge Kontakte zur Bruderkirche in Moskau. Porfirije Perić, Metropolit von Zagreb, hat enge Kontakte zum Vučić-Lager; Mitfavorit Jovan Mladenović, Bischof einer großen Diözese, ist vor allem für seine Vorliebe für Luxus bekannt. Beide gelten als Kandidaten von Präsident Vučić. Das Wahlverfahren, so es denn befolgt wird, schließt eine eindeutige Festlegung im Vorfeld indes aus.

"Ich habe als Staatsbürger und Christ gesprochen"

Und wenn Durić nicht Patriarch wird? 2022 wird in Serbien der nächste Präsident gewählt. Will Durić gegen Vučić antreten? Eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "Priester Grigorije als Präsident" zählt fast 21 000 Mitglieder. Seinen Anhängern gefällt Durićs Kurs. Im Gespräch mit der SZ tritt er etwa dafür ein, lieber heute als morgen der EU beizutreten, Serbien mit Kroatien zu versöhnen und Papst Franziskus nach Serbien einzuladen. Doch eine Präsidentschaftskandidatur? "Es gibt dieses Märchen, dass ich mich für das Amt des Präsidenten bewerben will. Ich habe keine Absicht, mich mit Partei- oder Machtpolitik zu beschäftigen. Ich halte auch nichts davon, dass die Serben ihr Heil bei einem Mann suchen. Stattdessen braucht das Land ein System, in dem nicht alles von einem Mann abhängt."

Und sein Plan, junge Serben zu sammeln, die sich in Serbien opfern sollen? "Ich habe als Staatsbürger und Christ gesprochen: Fakt ist, dass Millionen Serben im Ausland leben. Allein in Deutschland arbeiten Tausende serbischer Ärzte und Krankenpfleger, Ingenieure oder Unternehmer, die zwar Geld in ihre Heimat schicken, dort aber fehlen. Ich wünsche mir: Bereit zu sein, Opfer für andere zu bringen, einen selbstlosen Dienst für das Gemeinwohl."

Der Reichtum Serbiens liegt seit Jahrzehnten in den Händen weniger Familien. "Ich will keine Revolution auf der Straße, sondern eine Demokratie", sagt Durić. "Politiker, die in Belgrad an der Macht sind, dürfen sich nicht bereichern dürfen zulasten der Allgemeinheit, so wie das leider jahrzehntelang üblich war auf dem Balkan." Der Bischof beteuert noch einmal, dass er mit Macht- und Parteipolitik nichts im Sinn habe. "Ich fühle mich wohl in Düsseldorf. Ich hoffe, in Deutschland noch viele Jahre die Kirche mit meinen Landsleuten aufzubauen."

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