Serbien:Offen für alles

Serbien: „Ertränkt Belgrad nicht“, fordern Bürgeraktivisten vor dem Haus der Nationalversammlung.

„Ertränkt Belgrad nicht“, fordern Bürgeraktivisten vor dem Haus der Nationalversammlung.

(Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Auf dem Weg zu seiner Wiederwahl macht sich Präsident Aleksandar Vučić das Kräftespiel zwischen den USA, der EU und Russland zunutze.

Von Tobias Zick

Kurz vor seiner absehbaren Wiederwahl am kommenden Sonntag hat Serbiens Präsident Aleksandar Vučić noch einmal öffentlichkeitswirksam klargestellt, wo er sein Land im globalen Machtgefüge verortet. Einer Anerkennung des Kosovo als unabhängige Nation - und deren Aufnahme in die Vereinten Nationen - werde er sich weiter entgegenstellen, erklärte Vučić am Donnerstag: Es könne schließlich nicht angehen, "dass die Albaner alles kriegen, und die Serben nichts als eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union."

Der Status des Kosovo, der einstigen serbischen Provinz, die sich 2008, neun Jahre nach dem Ende eines überaus blutigen Krieges, für unabhängig erklärt hat, ist bis heute ein Haupthindernis für die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft Serbiens. Seit die Beitrittsgespräche mit den Westbalkanstaaten insgesamt ins Stocken geraten sind, hat sich in der ganzen Region eine gewisse Trotzhaltung gegenüber Brüssel ausgebreitet. Mit seiner abschätzigen Bemerkung vom Donnerstag treibt Vučić diese Haltung auf die Spitze: Er hat also Besseres zu tun als sich mit Nebensächlichkeiten wie den Beziehungen zur EU herumzuschlagen.

Der Zeitpunkt des Statements war freilich auch nicht zufällig; Vučić kam gerade aus einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, der am Donnerstag, im Finale des Wahlkampfs, zu Gast in Belgrad war. Was er soeben von dem Gast aus Moskau erfahren habe, sagte Vučić, habe ihm verdeutlicht, dass Serbien schwierige Zeiten bevorstünden: "Wir müssen vereint zusammenstehen, um unsere Interessen zu schützen."

Trump will im US-Wahlkampf wohl als außenpolitischer "Dealmaker" punkte

Die Bedrohung von außen, gegen die man sich jetzt gemeinsam wappnen müsse, unter der starken, fürsorglichen Hand der erfahrenen Regierung: Die Steilvorlage für dieses klassische Wahlkampfmotiv hat Vučić aus Washington bekommen. Anfang der Woche verkündete Richard Grenell, der Sonderbeauftrage von US-Präsident Donald Trump für Serbien und Kosovo, per Twitter, man werde am 27. Juni die Präsidenten beider Länder im Weißen Haus empfangen; schon jetzt hätten beide Seiten zugesichert, ihre diplomatischen Scharmützel bis dahin einzustellen. Warum die US-Regierung sich gerade jetzt so intensiv um die Beziehungen zwischen zwei aus ihrer Sicht eher fernen, kleinen Ländern bemüht, dazu gibt es unterschiedliche Lesarten; die gängigste lautet: Trump wolle im US-Wahlkampf als außenpolitischer "Dealmaker" punkten.

Grenells neuerlicher Vorstoß jedenfalls irritiert nicht nur die Europäer, die sich dadurch in ihren eigenen Bemühungen um stabile Verhältnisse auf dem Balkan übergangen fühlen, auch im Kosovo wächst die Sorge, zunehmend zum Spielball äußerer Mächte zu werden. Der progressive Ex-Premier Albin Kurti, der im April durch ein Misstrauensvotum abgesetzt wurde, wirft Grenell vor, er habe den Konflikt innerhalb der kosovarischen Regierungskoalition geschürt, um Kurtis Sturz voranzutreiben - weil er, Kurti, sich wesentlichen Teilen der US-Pläne für einen "Deal" seines Landes mit Serbien widersetzt habe.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić geriert sich innerhalb des diplomatischen Gezerres um sein Land als Pragmatiker, der sich Optionen nach allen Seiten offen hält. Zwei Tage bevor er am Donnerstag klarstellte, ohne Moskau werde in der Frage der serbisch-kosovarischen Beziehungen überhaupt nichts entschieden, hatte er die US-amerikanische Einladung zunächst gelobt und anschließend beschwichtigt, es gehe es nicht etwa darum, die EU zu brüskieren: "Es ist wichtig, dass wir im Kampf der Elefanten unversehrt bleiben." Und selbstverständlich, fügte er großzügig hinzu, werde er auch den EU-Sondergesandten für den serbisch-kosovarischen Dialog treffen, Miroslav Lajčák - nach der Wahl am kommenden Sonntag.

Dass er auch nach dem Urnengang sein Land repräsentieren wird, daran lässt Vučić also demonstrativ keinen Zweifel, ebenso wenig wie Grenell, der dies mit der Terminwahl für den 27. Juni voraussetzt. Auch die serbische Opposition rechnet nicht ernsthaft damit, dass die regierende "Fortschrittspartei" von Vučić ihre Mehrheiten verlieren wird. Oppositionsführer Dragan Đilas nennt die anstehende Parlamentswahl eine "Scherz-Abstimmung" und hat zum Boykott aufgerufen: So habe die Regierung mit ihrem strikten Corona-Lockdown einen echten Wahlkampf verhindert - und dann mit plötzlichen weitreichenden Lockerungen sichergestellt, dass der Urnengang sowie einige Kampagnenauftritte des Amtsinhabers stattfinden könnten. Đilas wünscht sich mehr Druck aus dem "Westen" (wobei er offen lässt, ob er damit eher die USA oder die EU meint): "Wir erwarten ja nicht, dass sie Vučić stürzen. Wir wollen nur, dass sie die Bedingungen für freie und faire Wahlen schaffen."

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