SerbienHoffen auf einen neuen Morgen

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Sie lassen sich nicht ermüden durch gewaltsames Vorgehen und die  Aussitz-Taktik der Regierung: Hunderttausende protestieren in Serbien, hier in Belgrad.
Sie lassen sich nicht ermüden durch gewaltsames Vorgehen und die  Aussitz-Taktik der Regierung: Hunderttausende protestieren in Serbien, hier in Belgrad. (Foto: Marko Djurica/Reuters)
  • Ein Vierteljahrhundert nach dem Sturz Miloševićs fordern Demonstrierende einen Systemwechsel.
  • Seit fast einem Jahr protestieren Abertausende gegen das Regime von Aleksandar Vučić, ausgelöst durch den Einsturz eines Bahnhof-Vordachs in Novi Sad am 1. November 2024.
  • Die USA verhängten am Donnerstag Sanktionen gegen den serbischen Mineralölkonzern Nis wegen dessen Mehrheitseigentümer Gazprom.
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Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Milošević-Regimes demonstrieren Menschen in Serbien dafür, das fortzusetzen, was seinerzeit gewaltsam abgewürgt wurde: einen echten Systemwechsel.

Von Tobias Zick

Die Protestbewegung in Serbien beweist immer wieder aufs Neue, dass sie sich von den Repressionen und der Aussitz-Taktik ihrer Regierung nicht ermüden lässt. Anfang dieser Woche gab es einen historischen Anlass, um sich auf den Straßen von Belgrad und Novi Sad zu versammeln: Am Sonntag jährte sich zum 25. Mal der Sturz des Präsidenten und mutmaßlichen Kriegsverbrechers Slobodan Milošević. Jener 5. Oktober 2000 hatte als Fest der Demokratie begonnen, als kollektiver Aufbruch in ein neues Serbien, in dem Korruption und Gewaltherrschaft keine Rolle mehr spielen sollten. Hunderttausende versammelten sich damals im Zentrum Belgrads, um zu skandieren: „Gotov je!“ – er ist erledigt.

Und tatsächlich: Der Sicherheitsapparat hatte sich abgewandt von dem angeschlagenen Herrscher, der die Wahl verloren, sich aber weiter an die Macht geklammert hatte. Als ihm klar sein musste, dass auch der Geheimdienst ihm nicht mehr helfen würde, ergriff Milošević in der Nacht die Flucht. Und die protestierenden Massen bejubelten den Sturz eines verhassten Gewaltregimes.

Schaukelpolitik im Äußeren, Repression im Inneren

Allein, die Euphorie hielt nicht allzu lange. Am 12. März 2003 erschoss ein Heckenschütze den jungen Premierminister Zoran Đinđić, der die Proteste gegen Milošević mit angeführt und ihn dann gegen große Widerstände im eigenen Land ans UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert hatte. Die Todesschüsse auf Đinđić markierten das vorläufige Ende des Kampfes gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.

Intransparente Wahlen, rigoros kontrollierte Medien, Gewalt gegen Demonstranten: die Politik von Serbiens Präsident Aleksandar Vučić.
Intransparente Wahlen, rigoros kontrollierte Medien, Gewalt gegen Demonstranten: die Politik von Serbiens Präsident Aleksandar Vučić. (Foto: Vlasov Sulaj/AP)

Seit 2014 wird Serbien vom ehemaligen Propagandaminister des Milošević-Regimes regiert, Aleksandar Vučić. Im Frühjahr 2017 wechselte er vom Amt des Ministerpräsidenten in jenes des Staatspräsidenten. Als solcher betreibt er nach außen eine konsequente Schaukelpolitik zwischen West und Ost, während er nach innen seine Macht mithilfe intransparenter Wahlen, rigoros kontrollierter Medien, einem nepotistischen Staats- und Parteiapparat sowie Gewalt gegen Demonstranten zementiert. Am Montag dieser Woche gingen Tausende Menschen in den großen Städten auf die Straßen, um für einen sprichwörtlichen „6. Oktober“ zu demonstrieren – ein Anknüpfen an das, was einen Tag und 25 Jahre zuvor gelungen war.

Die Regierenden wurden ausgewechselt. Das System der Geheimdienste nicht.

Damals habe man zwar „den Gipfel der Macht ausgewechselt“, erinnert sich Ognjen Radonjić, Philosophieprofessor an der Universität Belgrad, im Gespräch mit dem Portal Le Courrier des Balkans, „aber nicht das System, in dem die Geheimdienste bis heute die Fäden ziehen“. Eine Gruppe Protestierender verlas am Montag vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft eine Liste mit Namen von Amtsträgern, die man ihrer Meinung nach bereits vor einem Vierteljahrhundert hätte zur Rechenschaft ziehen müssen. Ein Name auf der Liste: Aleksandar Vučić.

Seit fast einem Jahr protestieren immer wieder abertausende Menschen gegen dessen Regime; Auslöser war der Einsturz eines Bahnhofs-Vordachs in der nördlichen Großstadt Novi Sad am 1. November 2024, mutmaßlich verursacht durch Korruption und Behördenpfusch. 16 Menschen starben unter den Trümmern, die Protestwelle wuchs schnell zu einer breiten Demokratiebewegung.

Die Studierenden, die sich erst als überparteiliche Bewegung präsentierten, dringen inzwischen auf Neuwahlen und arbeiten an eigenen Wahllisten. Von der Europäischen Union, die Serbien nach wie vor offiziell als Beitrittskandidaten führt, erwarten die meisten der Protestierenden nur noch wenig.

Seit 2014 dauern die EU-Westbalkan-Gespräche schon, sie gehen kaum voran

Auf einer Westbalkankonferenz im nordirischen Belfast sagte Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) am Donnerstag, man müsse jetzt konkrete Initiativen entwickeln, damit der EU-Beitritt jener Staaten „in vorausschaubarer Zukunft stattfinden“ könne. Bei seiner Anreise zu dem Gipfel hatte Wadephul am Mittwochabend selbst mit Verzögerungen zu kämpfen: Wie dpa berichtete, musste sein Bundeswehr-Airbus in Belfast etwa 45 Minuten auf der Piste warten, ehe er und die anderen Passagiere aussteigen durften. Zwischen mehreren Gesprächen mit dem Tower sagte der Flugkapitän demnach über die Bordsprechanlage: „Die diskutieren sich hier zu Tode“; er könne leider nicht abschätzen, „wie lange das dauert“. Ähnliches ließe sich auch aus dem Inneren der seit 2014 andauernden EU-Westbalkangespräche berichten.

Unterdessen erhöhen die USA den Druck auf Serbien. Am Donnerstag traten Sanktionen des US-Finanzministeriums gegen den serbischen Mineralölkonzern Nis in Kraft, die bereits unter dem vorigen Präsidenten Joe Biden beschlossen worden waren. Grund ist, dass die teilstaatliche Gesellschaft mehrheitlich dem russischen Konzern Gazprom gehört. Gegen diesen haben die USA bereits weitreichende Sanktionen verhängt, um die Finanzierung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu unterbinden.

Serbiens Präsident Vučić gab sich demonstrativ unbeeindruckt von den Maßnahmen. An die bereits in vielerlei Hinsicht aufgewühlte Bevölkerung gerichtet, sagte er kürzlich, es werde keine Energieknappheit geben; konkreter: „keine Benzinkanister am Straßenrand“.

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