Westbalkan:Blick nach Südosten

Westbalkan: Auf Balkanreise: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) nach ihrem Gespräch mit Serbiens Präsident Aleksandar Vučić in Belgrad.

Auf Balkanreise: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) nach ihrem Gespräch mit Serbiens Präsident Aleksandar Vučić in Belgrad.

(Foto: Darko Vojinovic/dpa)

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine rückt auch den Westbalkan wieder in den Fokus der deutschen Außenpolitik. Vor allem Serbien mit seiner Nähe zu Moskau hat eine Schlüsselrolle.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin, und Tobias Zick

Über einen Mangel an hochrangigen Besuchern aus Deutschland können Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Serbien derzeit nicht klagen. Im März reiste Außenminister Annalena Baerbock in die drei Länder, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist gerade von einer Reise zurück, und Kanzler Olaf Scholz hat sich jetzt ebenfalls angesagt, wenn auch noch ohne Datum.

Mindestens seit dem russischen Einmarsch auf der Krim und in der Ostukraine im Jahr 2014 sei die ganze Region Schauplatz eines zunehmend harten Kräftemessens mit Moskau, heißt es in Berlin. Sei es dem Kreml anfangs nur darum gegangen, die Nato herauszuhalten, habe er schon länger die ganze Palette seiner Einflussmöglichkeiten von Korruption über Parteien und Kirche bis zu Beteiligungen an kritischer Infrastruktur und Energieabhängigkeiten genutzt, um die EU-Annäherung zu hintertreiben. Jetzt aber verschärfe Moskau aktiv die Spannungen.

Dem will die Bundesregierung entschiedener entgegenwirken, aktiv die europäische Integration vorantreiben. Beim Besuch des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić im Kanzleramt am Mittwoch sagte Scholz: "Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zur EU-Perspektive für die Länder des westlichen Balkans", zu denen noch Albanien, Nordmazedonien und Montenegro zählen.

Serbien kommt eine Schlüsselrolle zu, nicht nur weil es mit acht Millionen Einwohnern das größte und wirtschaftlich stärkste Land ist. Sondern auch, weil der gerade wiedergewählte Vučić nicht nur das Ziel des EU-Beitritts seines Landes verfolgte, sondern immer auch ein enges Verhältnis mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin pflegte. Im Kern der Friktionen steht die Unabhängigkeit des Kosovo, das Belgrad als abtrünnige Provinz betrachtet. Auch Moskau verwehrt Pristina die Anerkennung.

Zudem hat Vučić erheblichen Einfluss im bosnischen Gliedstaat Republika Srpska, wo Russland sezessionistische Tendenzen des Serben-Führers Milorad Dodik befördert. Es steht im Raum, dass Deutschland zusätzliche Soldaten für die dortige EU-Operation Altea entsenden könnte. Lambrecht machte aber keine Zusagen.

Scholz versucht unterdessen, Bewegung in den verhärteten Konflikt zwischen Serbien und Kosovo zu bringen. -Vor Vučić hatte er schon den kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti empfangen. Am Abend trafen sich beide dann in der Villa Borsig, dem Gästehaus des Auswärtigen Amtes, zum Dinner mit Miroslav Lajčák, dem Sondergesandten der EU für den Dialog zwischen Belgrad und Pristina und den anderen Westbalkanstaaten.

Die EU vermittelt zwischen den beiden Staaten, doch der Dialog stockt seit zehn Jahren, und damit auch die Annäherung an die EU. Greifbare Fortschritte brachte auch das Treffen am Tegeler See nicht, aber zumindest die Zusage der Regierungschefs, dass sich ihre Chefverhandler am 13. Mai zu neuen Gesprächen treffen wollen.

In den Ländern des westlichen Balkans wurden die Termine in Berlin durchaus aufmerksam verfolgt - und immerhin als ermutigendes Signal aufgefasst, dass Berlin die EU-Annäherung nun wohl doch mit neuem Schwung vorantreiben wolle. Daran, dass der Annäherungsprozess ins Stocken geraten war, trägt die EU selbst durchaus eine Mitschuld: Im Oktober legte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, offenbar aus innenpolitischem Kalkül, überraschend ein Veto gegen die Aufnahme der Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien ein - und erschütterte damit nicht zuletzt die politische Karriere des nordmazedonischen Premierministers Zoran Zaev, der gegen massive Widerstände im eigenen Land den Reformkurs mit Ziel Europa vorangetrieben hatte. Die Enttäuschung und das Gefühl, von der EU nicht gewollt zu sein, hallt bis heute in der ganzen Region nach - und hat nicht zuletzt Serbiens legendäre "Schaukelpolitik" zwischen West und Ost zusätzlich befördert.

Einer aktuellen Umfrage zufolge ist in Serbien die Zustimmung zur Perspektive eines EU-Beitritts zuletzt auf einen historischen Tiefstand gesunken - andererseits dreht sich in den regierungsnahen Boulevardmedien des Landes gerade etwas die Stimmung hin zu einem moskaukritischeren Kurs. Dass sich Belgrad den europäischen Sanktionen gegen Moskau anschließt, wie es auch Berlin fordert, gilt weiterhin als unwahrscheinlich; andererseits hat Serbien immerhin einer UN-Resolution zugestimmt, die den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt. Für Serbien ist das eine heikle Gratwanderung; das Land ist wesentlich von russischem Gas abhängig - und hat in der Kosovofrage in Moskau den wichtigsten internationalen Unterstützer.

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