Süddeutsche Zeitung

Westbalkan:Zwei Schritte vor, zwei zurück

EU und USA wollen Serbien und Kosovo zu einer Normalisierung ihrer Beziehungen drängen und zeigen sich zunehmend ungeduldig. Unter dem Druck von außen deuten jetzt beide Seiten Kompromissbereitschaft an - ein bisschen jedenfalls.

Von Tobias Zick

Am Donnerstag schwang die Schaukel mal wieder in westliche Richtung. Aleksandar Vučić, Präsident Serbiens, der für seine "Schaukelpolitik" zwischen USA, EU, Russland und China bekannt ist, warb im Belgrader Parlament eindringlich für seinen Kurs, das Land auf dem "europäischen Pfad" zu halten. Dies sei von "zentralem Interesse" für die Nation: Es gehe um "Investitionen, den Lebensstandard, Renten und Gehälter". Abgeordnete verschiedener Oppositionsparteien bombardierten ihn unterdessen mit Vorwürfen, es wurde laut im Saal, einige hielten dem Präsidenten Transparente mit Sprüchen wie "Nein zur Kapitulation" und "Verrat" entgegen.

Auslöser für den Streit waren die Bemühungen Brüssels und Washingtons, Serbien und seine ehemalige Provinz Kosovo, die sich 2008 zum souveränen Staat erklärt hat, zu einer "Normalisierung" ihrer wechselseitigen Beziehungen zu bewegen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei ein von Frankreich und Deutschland vorgelegter Entwurf, der an den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag von 1972 angelehnt sein soll: Ähnlich wie seinerzeit BRD und DDR sollen sich Serbien und Kosovo demnach gegenseitig versichern, einander in ihrer territorialen Integrität zu respektieren und nicht in ihrer jeweiligen Entwicklung zu behindern. Eine formale Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos, wie sie neben Serbien auch fünf EU-Mitgliedsstaaten verweigern, bliebe dabei ausgeklammert.

"Geht zurück auf die Schulbank"

Der deutsch-französische Entwurf geistert seit September vergangenen Jahres als offenes Geheimnis durch die Region, es gibt keine öffentlich einsehbare Fassung, aber die meisten Beteiligten haben sich schon öffentlich dazu geäußert, so auch Serbiens Präsident Vučić am Donnerstag im Belgrader Parlament. "Geht zurück auf die Schulbank und lernt, was ein Non-Paper ist", wetterte er den tobenden Oppositionsabgeordneten entgegen, die ihm vorwarfen, er betreibe Geheimniskrämerei. Und dann sprach er doch recht offen über das vertrauliche Papier, konkret "Punkt vier", in dem es heiße: Serbien werde sich einer Mitgliedschaft Kosovos in jedweder internationalen Organisation nicht entgegenstellen. "Undenkbar", räumte Vučić ein, dass man es zulassen werde, dass Kosovo etwa den Vereinen Nationen oder der Nato beitrete. Er habe bislang "nichts unterschrieben, nichts paraphiert", und er werde die Gespräche mit den internationalen Unterhändlern fortsetzen.

Dann verwies Vučić noch auf den "Druck", den EU und USA auf seine Regierung ausübten; diese hätten gedroht, Investitionen zu stoppen und den EU-Beitrittsprozess für Serbien zu blockieren, wenn man dem Normalisierungsprozess mit Kosovo nicht zustimme und sich nicht den europäischen Sanktionen gegen Russland anschließe. Ja, es seien "schmerzliche" Zugeständnisse, die Brüssel und Washington da verlangten. Am Ende war Vučić wieder ganz der Schaukelpolitiker, als den man ihn kennt: Den westlichen Unterhändlern gegenüber kann er auf den gewaltigen Widerstand im eigenen Land verweisen, der ihn daran hindere, einen entschlosseneren europäischen Kurs zu verfolgen - und im eigenen Land verweist er auf den gewaltigen Druck seitens EU und USA, dem er, wenn auch nur sehr, sehr ungern, früher oder später nachgeben müsse.

Zunehmende Ungeduld mit Kosovos Premier

In Brüssel und Washington macht sich unterdessen Ungeduld breit, nicht nur angesichts des Lavierens auf serbischer Seite, sondern zunehmend auch mit Kosovos Premierminister Albin Kurti: Der weigert sich seit Längerem, der Bildung eines Verbandes serbischer Gemeinden im Norden des Landes zuzustimmen - obwohl sich vor zehn Jahren die damalige kosovarische Regierung in einem in Brüssel geschlossenen Abkommen mit Serbien dazu verpflichtet hatte. Gabriel Escobar, der US-Sondergesandte für den westlichen Balkan, und Derek Chollet, Staatssekretär im US-Außenministerium, riefen vergangene Woche in einer gemeinsamen Erklärung die Regierung in Pristina dazu auf, den Widerstand gegen die Bildung eines solchen Gemeindeverbands aufzugeben: Als "Kosovos engster Freund und Verbündeter" sei man der Ansicht, dies sei ein wesentlicher Schritt hin zu einer "rechtmäßigen Zukunft" als "souveränes, multiethnisches und unabhängiges Land, eingebettet in euroatlantische Strukturen".

Kurti hatte seinen Widerstand immer wieder mit dem Verweis auf die Republika Srpska begründet, den serbischen Teilstaat Bosnien-Herzegowinas, dessen Führung mit Moskauer Unterstützung regelmäßig das Funktionieren des Gesamtstaats untergräbt und blockiert. Ein derartiges Konstrukt strebe man keineswegs an, stellten die beiden US-Gesandten in ihrer Erklärung klar, vielmehr fordere man Pristina auf, eine eigene "Vision" für einen solchen Verband vorzulegen.

Am Donnerstag deutete Kurti dann tatsächlich ein wenig Bewegung in der Frage an. In einer Rede an das Parlament in Pristina sagte er, man könne die Bildung eines Gemeindeverbandes "erwägen", wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt seien: So dürfe dieser etwa keinerlei Exekutivgewalt bekommen und nur strikt im Rahmen der kosovarischen Verfassung agieren. Und schließlich: Zunächst müsse die "gegenseitige Anerkennung" beider Länder umgesetzt werden. Genau jener zentrale, heikle Punkt also, den die deutsch-französische Initiative gezielt ausklammern will.

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