Süddeutsche Zeitung

Serbien:Gute Schrift, schlechte Schrift

Die Serben sollen das kyrillische Alphabet mehr nutzen - Teil einer nationalistischen Kampagne der Regierung.

Von Florian Hassel, Belgrad

Für Serbiens Schulkinder ist das friedliche Zusammenleben zweier Alphabete selbstverständlich: Im ersten Schuljahr lernen sie ihre Sprache mit dem kyrillischen Alphabet, im zweiten Jahr mit dem lateinischen. Behörden schreiben auf Kyrillisch, Straßenschilder, Billboards oder Reklameschilder leuchten meist lateinisch. Auf ihrem Mobiltelefon tippen die Serben lateinisch, handschriftlich wechseln sie oft zum Kyrililschen über.

Selbst Serbiens Regierung bietet auf ihrer Website den freien Wechsel zwischen den Alphabeten. Gleichwohl stellte sie jetzt angebliche Gefahr im Verzug für das Kyrillische fest, der jahrhundertelang vor allem von der serbisch-orthodoxen Kirche gepflegten Schrift: Am Mittwoch beschloss das von Präsident Aleksandar Vučić und seiner Fortschrittspartei SNS dominierte Parlament, das Kyrillische "zu schützen und zu erhalten". Das nun beschlossene, erst wenige Tage zuvor im Eilverfahren eingebrachte Gesetz verpflichtet nach Behörden auch Serbiens zahlreiche Staatsunternehmen, ausschließlich auf Kyrillisch zu schreiben. Kulturschaffende, die Geld vom Staat bekommen, müssen nun ebenfalls auf Kyrillisch buchstabieren. Bei Verstößen darf das Kulturministerium Strafgelder von umgerechnet bis zu 4250 Euro verhängen. Für private Firmen gilt erst einmal das Zuckerbrotprinzip: Entscheiden auch sie sich für Kyrillisch only, sollen sie angeblich weniger Steuern zahlen.

Anders als die Regierung aber sehen Fachleute das Kyrillische in Serbien überhaupt nicht bedroht. Das Gesetz habe nichts mit Wissenschaft zu tun, so die Sprachforscherin Svenka Savić in der Tageszeitung Danas, sondern sei "Teil des Wahlprogramms für die anstehenden Wahlen": Die steht für Vučić im April 2022 an; zuvor pflegen der Präsident und seine Verbündeten zunehmend auch nationalistische Töne.

So schreibt das Kyrillisch-Gesetz auch den erweiterten Gebrauch der serbischen Flagge und der Nationalhymne vor. Schon seit Schulbeginn Anfang September müssen serbische Schulkinder jeden Morgen zu Unterrichtsbeginn die Nationalhymne singen - eigentlich jedenfalls. Da sich freies Singen aber schlecht mit den gerade wieder explodierenden Corona-Ansteckungszahlen und der Maskenpflicht im Klassenzimmer verträgt, halten manche Lehrer einfach ihr Mobiltelefon hoch und spielen die Hymne per Youtube ab.

Das Kyrillisch-Gesetz fiel mit dem am Mittwoch zum zweiten Mal veranstalteten "Tag der serbischen Einheit, Freiheit und nationalen Flagge" zusammen. Die Hauptfeiern standen vor einem erst Anfang 2021 aufgestellten Riesendenkmal des serbischen Mittelalterfürsten und Imperiumsgründers Stefan Nemanja an. Zuvor forderte Präsident Vučić Belgrads Eltern auf, mitsamt ihren Kindern zum Einkaufszentrum USCE zu kommen: Da stellten Verteidigungsministerium und Armee ihre neuesten Waffen aus. Mit dem militärischen Nachwuchs hapere es, so der Präsident. Dabei soll die Armee dem für eine "serbische Welt" werbenden Innenminister Aleksandar Vulin zufolge wieder bereit sein für den militärischen Schutz von Serben, "wo immer sie auch leben".

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