Serbien:Grenzwertig

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An der Grenze nach Kroatien stehen seit einer Woche die serbischen Lastwagen im Stau.

(Foto: Andreij Isakovic/AFP)

Die wachsende Zahl Flüchtlinge in den Ländern des Balkans löst Konflikte zwischen Serbien und Kroatien aus. Die Politik der geschlossenen Grenzen ist in den EU-Anwärterstaaten eine Provokation.

Von Nadia Pantel

Im serbischen Šid und im kroatischen Tovarnik warten in diesen Tagen täglich Tausende Flüchtlinge auf die Weiterfahrt Richtung Österreich, Deutschland oder Schweden. Und gleich neben den improvisierten Lagern, das den wenigsten Schutz vor Kälte und Regen bietet, stehen auf serbischer Seite ein paar Baracken. Eine Roma-Siedlung. In diesem Nebeneinander der Not spiegelt sich das aktuelle Debakel von Serbien, aber auch von Mazedonien: Sie sind in doppelter Hinsicht Fluchtländer. Es sind zum einen Staaten, in denen viele der eigenen Bevölkerung, darunter vor allem Roma, keine Zukunft mehr sehen. Zum anderen sind es Länder, durch welche die Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan reisen auf ihrem Weg in die Europäische Union.

"Hier bei uns will doch ohnehin keiner bleiben" - diesen Satz wiederholen die Regierungen von Serbien, Mazedonien und nun auch Kroatien wie ein Mantra, um die reicheren Staaten der Europäischen Union zu überzeugen, die durchreisenden Flüchtlinge so schnell wie möglich aufzunehmen. Das Problem ist, dass dieser Satz auch für viele der eigenen Landsleute stimmt - selbst für das EU-Mitglied Kroatien, aus dem immer mehr junge Menschen zum Arbeiten gen Norden abwandern.

Schuld an der Abwanderung sind die schwache Wirtschaft, die hohe Korruption, die Unzuverlässigkeit des Staates und eine Politik, die sich auf nationalistisches Kräftemessen statt auf nachhaltige Entwicklung konzentriert. Genau diese Art der Politik führt nun auch dazu, dass die humanitäre Versorgung der Flüchtlinge zu massiven Konflikten zwischen den Ländern führt. Seit Kroatien vergangene Woche zum neuen Transitland für Flüchtlinge wurde, die Ungarns Grenzzaun ausweichen wollen, haben sich die Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien dramatisch verschlechtert. Kroatien hat sieben seiner acht Grenzübergänge zum Nachbarn Serbien geschlossen. So wolle man verhindern, dass Serbien Flüchtlinge unkontrolliert nach Kroatien weiterschiebe, heißt es aus Zagreb.

Für Serbien bedeutet die Schließung der Grenze durch Kroatien eine Exportbehinderung

Für Serbien bedeutet die Grenzschließung eine Exportbehinderung. Kilometerweit stauten sich diese Woche die serbischen Lastwagen an der Grenze zu Kroatien. Um eine Grenzöffnung zu erzwingen, hat Serbien nun ein Embargo für kroatische Waren ausgesprochen. Kroatien reagierte wiederum, indem es am Donnerstag keine in Serbien zugelassenen Autos mehr über die Grenze ließ. Die neue Eskalationsstufe: Serbien vergleicht die kroatische Politik mit Kroatiens-Nazi-Kollaboration im Zweiten Weltkrieg.

Ein Europa der Zäune und verschlossenen Grenzen ist für Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und Kosovo ein fatales Signal in doppelter Hinsicht: Die Möglichkeit einer eigenen EU-Mitgliedschaft wird in die immer entferntere Zukunft verrückt, die hart erkämpfte Reisefreiheit scheint bedroht zu sein, und man fürchtet mit der Versorgung derjenigen Flüchtlinge, die die EU nicht aufnehmen will, alleingelassen zu werden.

Am Freitag soll EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Belgrad eintreffen. Es wird erwartet, dass er mit Serbiens Premier Aleksandar Vučić über einen Ausbau der dortigen Flüchtlingsaufnahmelager beraten wird.

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