Serbien:Ein Land empfiehlt sich

Belgrad hat die Flüchtlingskrise genutzt, um sich als humanitäres und umsichtiges Land zu präsentieren. Jetzt wird es belohnt - mit konkreten EU-Aufnahmegesprächen. Doch kommt die Adelung möglicherweise zu früh?

Von Nadia Pantel

Politiker, die Kinder tätscheln, bieten keinen schönen Anblick. Aber dennoch liefern sie manchmal eine gute Nachricht. Nur vier Tage nachdem in Paris Terroristen 90 Besucher eines Rockkonzerts ermordeten, fuhr Serbiens Premierminister Aleksandar Vučić ins Flüchtlingslager Preševo und wuschelte einem syrischen Mädchen durchs Haar. In Frankreich riefen die Politiker nach Vergeltung, und Vučić besuchte den Ort, an dem zwei der Terroristen als Flüchtlinge getarnt durchgereist waren und sagte: Die Grenze bleibt offen. Es war eine Episode, die unterging in Europas Hysterie-Tagen. Sie illustriert, wie Serbien diesen Herbst, in dem Europa zerfaserte, für sich nutzte.

Belgrad hat die Hunderttausend Flüchtenden, die in diesem Jahr von Syrien Richtung Europa reisten, als Chance begriffen. Als Chance, sich als ein humanitär und überlegt handelndes Land zu inszenieren. Ja, an Serbiens Grenze mussten Menschen nicht Stunden, sondern Tage Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen. Ja, Serbien setzte Zehntausende in Feldern aus und ließ sie zu Fuß nach Kroatien laufen.

Doch Anfang November einigten sich Serben und Kroaten auf eine würdigere Übergabe der Flüchtlinge. Beziehungsweise auf das Minimum an Würde, das Europa den Flüchtenden in diesen Monaten zugesteht: Kein Frieren, kein Hungern. Auf dem Balkan ist das eine größere Herausforderung als im übrigen Europa. An Grenzen, hinter denen verkohlte Hausreste an den Krieg erinnern, arbeiten Beamte zusammen, deren Länder einander vor zwanzig Jahren als Feinde gegenüberstanden.

Serbien betrieb seine flüchtlingsfreundliche Politik nicht ohne Kalkül. Das Land will in die EU. Doch was diese EU eigentlich ist, wurde immer unklarer, je mehr Schutzsuchende durch Serbien hetzten. Wer macht denn nun europäische Flüchtlingspolitik? Budapest oder Berlin? Schützt Europa nur sich selbst oder auch andere? Belgrad hat darauf eine Antwort gegeben: "Wir verhalten uns europäischer als manche Europäer", prahlte Vučić immer wieder. Und mit seiner Breitschultrigkeit erinnert er die Europäer daran, wie sie eigentlich einmal gerne gewesen wären. Ein großzügiges Bündnis, das Entscheidungen aus Überzeugung trifft, nicht aus Angst.

Belgrad hat die Flüchtlingskrise für seine EU-Ambitionen genutzt

Am Donnerstag wurde Belgrad für diese Politik belohnt: EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn kündigte an, dass die konkreten Beitrittsverhandlungen in der kommenden Woche beginnen werden. Natürlich, könnte das schmutzig werden. Vučić klammert sich an Kosovo mit der selben Verbissenheit, mit der er öffentlich gegen unabhängige Journalisten schimpft. Die Serben werden verlieren, wenn Brüssel nicht mit Druck gegen die autokratischen Tendenzen ihres Premiers anarbeitet. Schon jetzt befürchten Belgrads Intellektuelle und Aktivisten, dass die EU das System Vučić unnötig festigt.

Wenn die EU-Verhandlungen starten, wird es auf den Tag genau zwanzig Jahre her sein, dass der Bosnien-Krieg mit dem Vertrag von Dayton beendet wurde. Auch wenn gerade Bosnien und Herzegowina ökonomisch und politisch am Rande der Implosion vor sich hinexistiert: Die Politiker der Region leben ihre Aggressionen inzwischen nur noch rhetorisch aus, während Wirtschaft und Zivilgesellschaft der ehemaligen Feinde sich wieder miteinander verweben. Und so gelingt es den Ländern des ehemaligen Jugoslawien diejenigen auf ihrer Flucht zu schützen, denen eine Kriegsgeneration später durch Bomben die Existenz genommen wird.

Serbiens größter Erfolg wäre es, das zu werden, was Deutschland heute ist: ein Ort, an dem Flüchtende nicht nur durchreisen, sondern an dem sie bleiben. Ein Ort, an den Menschen mit Arbeit und Ideen ein neues Leben aufbauen können. Noch können das in Serbien nicht einmal die Serben.

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