Serbien:Belgrader Farbenstreit

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Ein Ehrenmal für Kriegsverbrecher Mladić hat Segen von oben.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war eine eindeutige Anordnung an die Bewohner des Hauses Njegoševa 38 in Belgrad: Ein großes Wandgemälde auf ihrer Hauswand müsse beseitigt werden, so die Verwaltung des Stadtteils Vračar Ende September. Doch knapp zwei Monate später prangt das Bild des Kriegsverbrechers Ratko Mladić immer noch im Zentrum der serbischen Hauptstadt. Aktivisten und Ultranationalisten liefern sich einen Stellungskrieg mit Eiern und Farbeimern, begleitet von tatkräftigem Nichtstun der Regierung und Polizei.

Mladić, zuvor Offizier der jugoslawischen Armee, war als Kommandeur der bosnischen Serben der wohl übelste Verbrecher beim Genozid in Bosnien und verantwortete allein beim Massenmord in Srebrenica 1995 den Tod von mehr als 7000 Menschen. In Serbien wurde der Völkermord ebenso wenig aufgearbeitet wie serbische Verbrechen etwa im Kosovo. Erst recht nicht, seitdem der heutige Präsident Aleksandar Vučić die Politik bestimmt.

Im Frühjahr 2007 hängte die damals von Vučić als Generalsekretär geführte Serbische Radikale Partei in Belgrad Straßenschilder mit der Aufschrift "Ratko Mladić Boulevard" auf; Aussagen von Vučić gegenüber serbischen Medien zufolge, "um zu zeigen, dass wir Serbien lieben". Ultranationalisten sehen Mladić bis heute als Helden. Als er im Juni 2021 vom Jugoslawien-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, kommentierte das regierungsnahe Boulevardblatt Informer, Mladić sei "für immer ein serbischer Held". Innenminister Aleksandar Vulin, der neuerdings wieder für eine "serbische Welt" und den Schutz von Serben, "wo immer sie auch leben", wirbt, sagte, der Schuldspruch sei "Rache, kein Urteil".

Quer durch Serbien tauchten neue Wandbilder auf, die Mladić in militärischer Grußhaltung oder mit Aufschriften wie "Danke, General!" zeigten - auch an der Njegoševa 38 in Belgrad. Als Aktivisten protestierten, entschied die Bezirksverwaltung am 20. September, der gemalte Mladić müsse in der Tat verschwinden - auf Kosten der Hausbewohner. Die aber fanden keinen tapferen Malermeister, der bereit war, den riskanten Job zu übernehmen. Ultranationalisten sind einflussreich und genießen oft die Unterstützung der Polizei.

Am vergangenen Dienstag warfen die Aktivistinnen Aida Ćorović und Jelena Jaćimović Eier auf das Mladić-Konterfei. Daraufhin wurden sie von Männern in Zivil festgenommen - wie sich zeigte, von Polizisten. Radikale wischten die Eier ab. Tags darauf kippte ein Lokalpolitiker weiße Farbe auf das Wandbild, die Ultranationalisten nur Stunden später ungestört von jeder Polizeimaßnahme wieder abwuschen.

Ein offener Brief von 70 Bürgergruppen und die bei Innenminister Vulin vorgebrachte Forderung des Leiters des Belgrader EU-Büros, das Mladić-Mural offiziell zu entfernen, blieben erfolglos. Der Minister lehnte ab, etwas zu unternehmen. Das taten stattdessen Aktivisten in der Nacht zum Montag und kippten diesmal schwarze Farbe auf das Mladić-Wandgemälde. Schon am Mittag aber schrubbte eine Putztruppe der Nationalisten die schwarze Farbe wieder ab, damit der Kriegsverbrecher weiter im Zentrum Belgrads salutieren darf.

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