Süddeutsche Zeitung

Serbien:Appetit auf den kleinen Nachbarn

Serbiens Präsident Nikolić will Kosovo zurückholen - das steht im Widerspruch zur EU-Integrationspolitik der Regierung.

Von Nadia Pantel

Tomislav Nikolić hat sich einen Ruf als Polterer erworben. Seit 2012 ist der 63-Jährige Präsident von Serbien - als diplomatischer Staatsmann ist der Nationalist bisher nicht aufgefallen. Kaum gewählt, leugnete er den Völkermord in Srebrenica, den 1995 bosnische Serben an 8000 muslimischen Bosniern verübten. Nikolićs neueste Nummer: Er soll einen noch nicht offiziellen Plan vorgelegt haben, wie Serbien sich Kosovo zurückholen könne. Der TV-Sender B92 berichtet, dass der Präsident Kosovo zu einem autonomen Teil Serbiens erklären wolle.

Für Kosovo ist das nicht nur eine Provokation, sondern eine Bedrohung. Die kleine Republik erklärte 2008 ihre Unabhängigkeit. Die USA und die meisten europäischen Länder erkennen Kosovo als Staat an - China, Russland und Serbien jedoch nicht. Mehr als 80 Prozent der kosovarischen Bevölkerung sind ethnische Albaner, sieben Prozent Serben. Nikolićs Rhetorik befeuert die Angst, dass Belgrad großserbische Annexions-Pläne hege.

Dem widerspricht jedoch das Verhalten des serbischen Premiers. Aleksandar Vučić besuchte am Dienstag den Deutschen Bundestag und betonte, dass Serbien ein "Pfeiler der Stabilität innerhalb der Region" sein wolle. "Wir fürchten uns nicht vor der harten Arbeit, die vor uns liegt, um weitere Erfolge im EU-Integrationsprozess verbuchen zu können", sagte Vučić. Die EU fordert von Serbien enge Zusammenarbeit mit Kosovo. Tatsächlich ist Vučić auf seinen Nachbarn zugegangen: Seit 2012 erkennt Serbien an, dass Kosovo bei internationalen Konferenzen als Kosovo auftritt, auch das gegenseitige Importverbot wurde 2011 aufgehoben.

Regierungschef Vučić hat sich vom radikalen Nationalismus losgesagt

Bedeutet Nikolićs Vorpreschen nun einen Rückschritt in den serbisch-kosovarischen Beziehungen? Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien der Universität Graz, nennt die Rollenverteilung zwischen Premier und Präsident in Serbien ein "Good-cop-bad-cop-Szenario." Präsident Nikolić und Regierungschef Vučić sind beide Mitglied der nationalkonservativen Serbischen Fortschrittspartei. Doch während Nikolić mit rechtspopulistischen Sprüchen wirbt, hat sich Vučić vom radikalen Nationalismus losgesagt. "Viele Bürger in Serbien wollen der EU beitreten. Gleichzeitig gibt es Ressentiments gegen den Westen, seit die Nato 1999 Belgrad bombardierte," sagt Florian Bieber. Das Schlagwort Kosovo werde genutzt, um innenpolitisch anzuzeigen, dass man sich von der EU nicht dominieren lassen wolle. Nikolićs Pläne seien jedoch schlicht "nicht umsetzbare Polemik."

Diese Polemik allerdings gewinnt vor dem Hintergrund der Regierungskrise in Mazedonien an Brisanz. Serbien unterstützt die Regierung von Nikola Gruevski, der in Mazedonien unter Korruptionsverdacht steht. Die Rücktrittsforderungen der Opposition werden in einigen serbischen Medien als albanische Verschwörung dargestellt. Gruevskis Gegner würden die albanische Minderheit Mazedoniens mit Kosovo, Albanien und Teilen von Serbien vereinen wollen, heißt es dort. Zudem sei die Schwächung von Gruevskis Regierung von den USA gesteuert. Eine Einschätzung, die Moskau teilt. Der Westen wolle durch Gruevskis Entmachtung den Bau der von Russland geplanten Turkish Stream Gaspipeline verhindern, die durch Serbien und Mazedonien führen soll.

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SZ vom 21.05.2015
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