Serbien:Der Präsident, der die Nähe zu Russland sucht

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Der serbische Präsident Aleksandar Vučić bestimmt seit Jahrzehnten die Politik des Landes. (Foto: Andreea Alexandru/AP)

Aleksandar Vučić nimmt nun doch am Westbalkan-Treffen in Tirana teil und demonstriert damit Interresse an der EU. In Wirklichkeit verfolgt er eine andere Politik.

Von Florian Hassel

Mitte November fand Serbiens Präsident Aleksandar Vučić Zeit für einen speziellen Gast: Der Gesandte Turko Daudow versicherte im Namen des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, Russland verteidige heute "spirituelle, traditionelle und Familienwerte" gegen "die fremde Ideologie" des Westens. Vučić dankte dem Gesandten von Kadyrow, der nach Ansicht von Menschenrechtsexperten verantwortlich ist für massive Verbrechen sowohl in Russland wie jetzt auch im Ukrainekrieg, und bekräftigte, Serbiens Verhältnis zu Russland könne "unter keiner Art von Druck zerstört werden".

Tatsächlich ist die Verbindung zu Moskau eine der stärksten Konstanten im Leben Aleksandar Vučićs - obwohl er gleichzeitig beteuert, er wolle Serbien in die EU führen. Der 52 Jahre alte Vučić hat schon etliche politische Metamorphosen hinter sich: vom Propagandaminister unter Serbiens Autokrat Slobodan Milošević und beinharten Nationalisten erst zum angeblichen Reformpolitiker, nun zurück zum neonationalistischen Populisten. Vučić bestimmt Serbiens Politik seit über einem Jahrzehnt: erst als Parlamentspräsident, dann Vize-Ministerpräsident, Ministerpräsident, seit 2017 als Präsident. Wie etwa Viktor Orbán in Ungarn regiert Vučić autoritär. Selbst über handfeste Skandale berichten nur wenige unabhängige Medien.

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So wurde Vučićs 24 alter Sohn Danilo wiederholt - zuletzt 2021 - in Gesellschaft mutmaßlich führender Mafiamitglieder fotografiert. Veljko Belivuk, in Belgrad zusammen mit anderen Bandenmitgliedern des Mordes, Kidnappings oder Drogenhandels angeklagt, sagte kürzlich vor Gericht, er habe Aleksandar Vučić persönlich getroffen, sei von diesem an den Innenminister weitergereicht worden und habe jahrelang "den Bedürfnissen des Staates gedient". Vučić bestreitet jegliche Nähe zur Mafia.

Wollte Vučić die EU-Mitgliedschaft wirklich, wären die Beitrittsverhandlungen, die sich seit 2012 dahinschleppen, wohl schon weitergekommen: Doch in der EU müsste Vučić seine Macht einschränken. So ergebnisarm wie die Gespräche mit Brüssel dümpeln auch Gespräche mit Kosovo dahin. Vučić und seine Wählerschaft behaupten weiterhin, Kosovo gehöre zu Serbien.

Serbien ist Russland durch die Geschichte verbunden - und die Kontrolle über Öl- und Gasfirmen

Nach politischen Scharmützeln um Kosovo-Autokennzeichen und einem Massenprotest serbischer Lokalpolitiker in Kosovo, der von Belgrad gesteuert wurde, beschimpfte Vučić Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti als "terroristischen Abschaum" und sagte seine Teilnahme an einem EU-Westbalkan-Treffen am Dienstag in Tirana zunächst ab, bevor er schließlich doch hinflog.

Der größte Elefant im Raum der serbischen Politik unter Vučić aber ist Russland. Es ist Serbien nicht nur durch Geschichte und Religion verbunden, sondern auch durch die Kontrolle über serbische Raffinerien, Öl- und Gasfirmen. Bis zum Ukrainekrieg drückte die EU beide Augen zu; seit Monaten aber steht Vučić unter dem Druck, EU-Sanktionen gegen Moskau zu übernehmen.

Wortreich bekräftigte Vučić auch nach Kriegsbeginn, er wolle Serbien in die EU führen. Seinen Außenminister Ivica Dačić ließ er jetzt verkünden, Serbien werde nun mehr von der EU-Außenpolitik übernehmen. Vučić müsste dann auch alle EU-Sanktionen mittragen. Die Tatsachen aber sprechen dagegen: Aleksandar Vulin ist enger Vertrauter Vučićs - und Serbiens profiliertester Anti-Europäer und Russland-Alliierter. Vulin soll mit Moskau schon gemeinsam geplant haben, wie demokratische Revolutionen am besten zu verhindern seien. Vulin musste zwar als Innenminister scheiden. Doch dafür machte Vučić ihn jetzt zum Chef des mächtigen Geheimdienstes BIA. Auch Pläne für eine Ölpipeline, die mehr russisches Öl aus Ungarn nach Serbien bringen soll, oder eine kürzlich verkündete enge Zusammenarbeit mit der in der EU gesperrten russischen Fluglinie Aeroflot zeigen, dass Aleksandar Vučić lieber auf Moskau denn auf die EU setzt.

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