Serbien:Abrechnung mit den eigenen Dämonen

Slobodan Milosevic und seine Frau Marjana Markovic, 1997

Slobodan Milošević und seine Frau Mira Marković führten die Serben durch eine Dekade der Kriege, hier eine Aufnahme vom 23. Juli 1997 nach der Vereidigung Miloševićs als Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien.

(Foto: dpa)

Das Musical über den Kriegsherren Slobodan Milošević erzürnt noch vor der Premiere Serben und Kosovaren gleichermaßen.

Von Peter Münch, Belgrad

Die Lage ist ernst, ja hoffnungslos: "Wenn Sie sich nicht ergeben, werden alle im Haus getötet", ruft eine Stimme, und dann geht alles drunter und drüber. Es ist der Tag, an dem Slobodan Milošević, der Kriegsfürst und Serbenführer, verhaftet wird in seiner Belgrader Villa. Plötzlich sind drei Schüsse zu hören: bumm, bumm, bumm. Es herrschen Hektik, Chaos, Geschrei - und von hinten im Eck wird das Ganze aus einer Lautsprecherbox noch mit Musik unterlegt. "Das ist so was zwischen Rammstein und Jean-Michel Jarre", sagt Nenad Todorović. "Wir wollen es laut, stark und erschreckend, und dazu tanzen dann schöne Mädchen wie bei einer Fernsehshow."

Nenad Todorović, 45 Jahre alt und erheblich unter Strom, ist der Regisseur eines Musicals mit dem Titel: "Der Lift: Die Slobodan-Show." Zusammen mit der Autorin und Dramaturgin Jelena Bogavac leitet er gerade in einem Belgrader Kulturzentrum die letzten Proben. Am Dienstag hat das Stück Premiere in Gračanica, einer serbischen Enklave in Kosovo. 18 Vorstellungen sind danach im ehrwürdigen Belgrader Nationaltheater gebucht, Fassungsvermögen 700 Leute. Es folgen Gastspiele ringsum in der Region, erste Pläne gibt es für Deutschland und Italien. Der Zulauf dürfte reichlich sein, denn das ist tatsächlich einmal etwas Neues: Serbische Vergangenheitsbewältigung als Singspiel. 90 Minuten, ohne Pause.

Wenn Todorović von seiner Hauptfigur erzählt, springt er von Richard III. zu König Lear. Auch Shakespeare, soll das heißen, hätte wohl seine Freude gehabt an diesem Stoff. So tragisch, so grotesk. Schließlich war Milošević die prägende Figur der jüngeren Balkan-Geschichte. In den Neunzigerjahren hatte er seine Serben durch eine Dekade der Kriege geführt in Slowenien, Kroatien und Bosnien. Nirgends gab es etwas zu gewinnen, alle haben immer nur verloren, und am Ende griff auch noch die Nato ein und ließ Bomben regnen auf Belgrad. Danach war sogar Kosovo perdu. In der viel besungenen Wiege des Serbentums hat sich die albanische Bevölkerungsmehrheit nach dem Krieg von 1999 mit einem eigenen Staat selbständig gemacht. Zur Strafe wurde Milošević anno 2000 von den eigenen Bürgern gestürzt, im Jahr darauf verhaftet und ans Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert. Dort starb er 2006 noch vor dem Ende seines Prozesses in der Zelle. Es war das Herz.

"Ich fühle ich mich zwischen den Fronten doch wie zu Hause", sagte der Regisseur

So erinnert sich die Welt an Slobodan Milošević, und Todorović erinnert sich auch noch daran, dass er "ziemlich klein gewachsen war und sehr hässliche Ohren hatte". Sein Milošević-Darsteller, das verrät er, hat allerdings viel mehr darunter gelitten, dass er die Figur, mit der er sich nun im Musical identifizieren muss, aus tiefstem Herzen gehasst hat. Anmerken darf ihm das natürlich niemand, denn die "tragische Hauptfigur", die Todorović auf die Bühne stellt, braucht überzeugende Präsenz.

Die Tragödie entwickelt sich in zwei sehr unterschiedlichen Teilen. Im ersten Aufzug geht es um "die Welt der Pornokratie", erklärt Todorović - "nicht im Sinne von Sex, sondern um die Pornografie der Werte". Gezeigt wird das pseudo-höfische Leben der Familie Milošević, in der nicht der allseits gefürchtete Autokrat die Hosen anhatte, sondern seine Frau Mira, die von den Untertanen wahlweise "das Horoskop" oder "die Hexe" genannt wurde. Die Miloševićs entspannen also im Jacuzzi, während die serbische Minderheit in Kosovo schon in den Flüchtlingslagern leidet.

Im zweiten Teil steht Milošević dann vor Gericht. Nicht in Den Haag allerdings, wohin er nach Meinung Todorovićs "unrechtmäßig entführt" worden ist, sondern vor einem serbischen Tribunal. Vom Haager UN-Gericht, das fast allen Serben als parteiisch gilt, hat auch der Regisseur keine gute Meinung. "Ich habe 10 000 Seiten Gerichtsakten gelesen, und dann habe ich sie weggeworfen", sagt er. "Das ist eine Kombination aus absurden Beschuldigungen und Beweisen über fürchterliche Verbrechen, die wir Serben begangen haben."

Mit den Verbrechen an anderen allerdings will er sich gar nicht lange aufhalten. "Um den Streit zu vermeiden, wer in den Kriegen wen mehr abgeschlachtet hat, haben wir uns entschieden, dass wir uns nur mit uns selbst beschäftigen", erklärt er. Die eigentlichen Helden, tragische natürlich, sind also die Serben aus Kosovo, die wegen des Kriegs ihre Heimat verloren haben und nun laut Todorović in "Europas letztem Apartheidssystem" leben. Sie konfrontieren auf der Bühne den gestürzten Serbenführer mit ihren Schicksalen, ihr Leid dient dabei als Anklage. "Das ist eine Abrechnung mit den eigenen Dämonen, die uns seit den Neunzigerjahren verfolgen", meint er.

Noch vor der ersten Aufführung hagelt es allerdings bereits Anfeindungen von allen Seiten. "Serbische Politiker, die den jetzigen Machthabern nahestehen, haben versucht, unser Stück zu verbieten", berichtet der Regisseur. Erstaunlich ist das nicht, schließlich ist der aktuelle serbische Präsident Aleksandar Vučić zu den Zeiten des Kosovo-Kriegs Informationsminister unter Milošević gewesen. Doch nicht nur die alten Gefährten sind auf den Barrikaden, sondern auch die früheren Gegner. "Führende albanische Intellektuelle haben verlangt, dass die Aufführung in Kosovo abgesagt wird." Beeindrucken lässt sich Todorović davon jedoch nicht. "Ich lebe im serbischen Teil von Kosovo", sagt er, "da fühle ich mich zwischen den Fronten doch wie zu Hause."

Als Theatermacher geht es Todorović um "den Zusammenhang zwischen Ethik und Ästhetik". Als Serbe hofft er darauf, "dass sich die Katharsis, die wir erleben, wenn wir unsere schmerzhaften Erfahrungen auf die Bühne bringen, auf das Publikum überträgt". Helfen soll das auch gegen die Anflüge von Nostalgie, die sich an den Belgrader Kiosken neuerdings zeigen. Da hängen T-Shirts mit Miloševićs Konterfei und dem Satz: "Ich liebe euch auch."

Ein Urteil wird über Milošević übrigens auch vom serbischen Tribunal im Musical nicht gesprochen. Das Stück endet damit, dass der gestürzte Herrscher vor Gericht steht und in seiner Hilflosigkeit melodramatisch nur einen Wunsch hat: dass seiner Frau Mira endlich ein Besuch in der Zelle ermöglicht wird.

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