Ostukraine:Separatisten, gefangen in der Befehlskette

Ostukraine: Alexander Borodaj (Mitte) spielte in Donezk als von Moskau entsandter Premierminister der Separatisten eine entscheidende Rolle bei der Loslösung von Kiew.

Alexander Borodaj (Mitte) spielte in Donezk als von Moskau entsandter Premierminister der Separatisten eine entscheidende Rolle bei der Loslösung von Kiew.

(Foto: Dominique Faget/AFP)
  • Ein ehemaliger Insider berichtet, dass die Separatisten in der Ostukraine wenige Entscheidungen selbst treffen können.
  • Sie hören demnach auf das Kommando von Russen, die Schlüsselpositionen in Militär und Verwaltung besetzen.
  • Allein in Donezk haben offenbar mehrere Hundert Russen Schlüsselpositionen im Militär und der zivilen Verwaltung eingenommen.

Von Florian Hassel, Mariupol

Es schien eine Routinesitzung der "Volksrepublik Donezk" (DNR) zu sein. Hochrangige Separatisten wollten über Wirtschaftsfragen beraten. Doch ein Anruf eines Donezker Unternehmers, Besitzer eines mehrstöckigen Geschäftsgebäudes, unterbrach die Beratung: "Bei mir stehen ein Dutzend Männer in Tarnuniform und sagen, ich hätte 24 Stunden, um das gesamte Gebäude zu räumen. Was ist hier los?" Nach dem Hilferuf rief Alexander Kaljusskij, zu diesem Zeitpunkt Vize-Premier der Rebellenregierung, Alexander Borodaj an, einen aus Moskau nach Donezk entsandten Politmanipulator und damals Premierminister der Separatisten. "Sascha, was geht da vor sich?", wollte der Vize-Premier wissen, so ein Sitzungsteilnehmer.

"Misch dich nicht ein", habe Borodaj geantwortet. "Das ist ein Kommando der GRU" - des für Sabotage und Militäreinsätze im Ausland zuständigen Geheimdienstes des russischen Generalstabs. "Das Gebäude ist ab sofort neues GRU-Hauptquartier in Donezk." Der Unternehmer musste sein Gebäude räumen, die GRU zog ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, so der Sitzungsteilnehmer, habe er verstanden, "dass wir Einheimischen in Wahrheit nichts zu sagen haben".

Es ist der erste Bericht eines hochplatzierten Insiders

Der Teilnehmer des Treffens, das im Juli 2014 stattfand, verfolgte die Arbeit der Rebellenregierung über viele Monate als hochplatzierter Insider. Er trifft den SZ-Reporter außerhalb des Rebellengebiets. Es ist der erste Bericht eines vormaligen Insiders über Interna der Separatisten - und widerspricht dem von ihnen gezeichneten Bild der Selbständigkeit von Russland. Auch dessen Präsident Wladimir Putin behauptete mehrmals, Moskau übe keinen Einfluss auf die Rebellen aus.

Tatsächlich, so schildert der Insider, sei die Kontrolle Moskaus über die Separatisten umfassend, was auch für die weitere Beurteilung und Entwicklung des Krieges etwa bei Mariupol wichtig ist. In Charkiw oder Mariupol haben den Separatisten oder russischen Geheimdiensten zugeschriebene Terrorkommandos Anschläge verübt, der Ex-Insider will deshalb anonym bleiben. Früher war er "glühender Slawophiler und Anhänger einer Union der Ukraine mit Russland und Weißrussland", wie er sagt. "Aber nur so lange, wie ich verfolgen konnte, welche Wahrheit sich hinter der 'Volksrepublik Donezk' verbarg."

In seiner Zeit in der DNR erlebte der Mann mit, dass alle wichtigen Entscheidungen von Moskau getroffen, Schlüsselpositionen von russischen Offizieren oder zivilen Fachleuten besetzt worden seien. Moskau habe auch die Separatisten in Donezk und Luhansk finanziert. "Die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sind von Anfang bis Ende nur ein Kreml-Projekt zur Destabilisierung der Ukraine - wir Einheimischen sind nur sprechende Marionetten", so das Fazit des Mannes, der sich desillusioniert von den Separatisten abwandte.

Russen nahmen Führungspositionen in Donezk ein

Als Beobachter der DNR-Regierung verfolgte er nicht nur das Wirken des heutigen Rebellenführers Alexander Sachartschenko, Alexander Borodajs oder Igor Girkins ("Strelkow"), bis August 2014 Verteidigungsminister der Rebellen. Borodaj und Girkin sind Veteranen anderer russischer Kriege, beide arbeiteten früher für den kremlnahen Oligarchen Konstantin Malofejew. Der reichte nach einem Bericht der Moskauer Wochenzeitung Nowaja Gaseta im Februar 2014 im Kreml einen Plan zur Annexion von Krim und Ostukraine ein. Girkin, während der Kriege in Tschetschenien Oberst des Inlandsgeheimdienstes FSB, wurde 2014 sowohl von der US-Regierung wie von der EU als aktiver GRU-Offizier identifiziert.

Dem Ex-Insider zufolge nahmen Russen auch "viele andere militärische Führungspositionen in Donezk ein. Selbst die Leibwächter Borodajs oder Sachartschenkos kamen aus Moskau." Vom Sommer 2014 an bauten demnach Russen in Donezk auch ein neues "Ministerium für Staatssicherheit" nach russischem Vorbild auf. Dies leitete bis Anfang März 2015 Andrej Pintschuk, zuvor Abteilungsleiter im Geheimdienst der ebenfalls von Moskau kontrollierten Separatistenregion Transnistrien in der Republik Moldau.

Das Geld wird bar in Koffern über die Grenze gebracht

In letzter Zeit indes besetzt Moskau zumindest öffentlich sichtbare Ämter der Rebellenregierungen mit Einheimischen: So ersetzte Sachartschenko den russischen Staatsbürger Borodaj, Geheimdienstchef Pintschuk machte Anfang März einem aus Luhansk stammenden Geheimdienstler Platz.

Generell werden "sämtliche Personalentscheidungen, jeder Stellen- und Haushaltsplan für die Ministerien bei uns in Donezk und auch in Lugansk zur Genehmigung nach Moskau geschickt", so der ehemalige Insider. "Russland bezahlt auch alle Ministerien. Das Geld wird bar in Koffern über die Grenze gebracht. Der vom Kreml entsandte Chefkassenwart war zu meiner Zeit Leonid Simunin. Er verteilte das Geld an führende Separatisten, die es dann weitergaben." Ein Kreml-Sprecher verneinte indes gegenüber der SZ, dass Simunin für die Kreml-Verwaltung arbeitet oder früher gearbeitet habe.

"Söldnergruppen stahlen Autos oder entführten Menschen"

Schon im Sommer 2014 verdienten an der Seite der Separatisten Tausende russische Söldner der "Russischen Rechtgläubigen-Armee", Einheiten von Tschetschenen oder Kosaken, ihr Geld. Rebellenchef Sachartschenko bezifferte ihre Zahl schon im August 2014 im russischen Staatsfernsehen auf circa 4000. "Etliche Söldnergruppen stahlen systematisch Autos, beschlagnahmten Immobilien oder entführten Menschen", so der frühere Insider.

"Teure Gebäude mit Tiefgaragen wurden auf Jeeps und Luxuslimousinen überprüft - und diese dann in systematischen Raubzügen gestohlen. Wenn einzelne Minister dagegen protestierten, antwortete Girkin, sie sollten sich da nicht einmischen. Bei den Entführungen mussten sich viele Opfer von ihren Angehörigen freikaufen lassen."

Die Angaben des Ex-Insiders über systematische Entführungen decken sich mit Berichten von Entführungsopfern, die die SZ bei vorherigen Recherchen in Donezk sammelte. Mittlerweile ist die Zahl der Entführungen zurückgegangen, beendet sind sie indes nicht, sagte ein anderer den Separatisten nahestehender Informant Mitte März in Donezk.

Forscher zufolge sind mehr als 10 000 russische Soldaten in der Ostukraine

Igor Sutjagin, früher Militärforscher am Moskauer USA-Kanada-Institut und heute am Londoner Royal United Services Institute, führte in einer Mitte März erschienenen Analyse Dutzende in der Ostukraine eingesetzte Einheiten der russischen Armee, des Innenministeriums und des Geheimdienstes auf. Aktuell, so der Militärforscher, seien weit mehr als 10 000 russische Soldaten in der Ostukraine. Dazu kämen etliche russische Fachleute aus zivilen Bereichen.

"Ob es um den Ausstieg aus dem ukrainischen Bankensystem, den Aufbau einer Rebellenbank, die Einführung des Rubels, russischer Schulbücher oder um Baumaterial für zerstörte Häuser geht - alles wird durch russische Fachleute unter Leitung von Militärs koordiniert", so der ehemalige Separatisteninsider. "Bei einem einzigen Inspektionsbesuch waren etwa 50 Spezialisten des russischen Bildungsministeriums, kommunaler Dienste, des Gesundheitswesens oder des Katastrophenschutzes in Donezk - koordiniert von einem russischen Offizier in Uniform, der die ganze Zeit per Satellitentelefon mit Moskau telefonierte."

Insgesamt, so schätzt der ehemalige Separatist, "haben allein in Donezk mehrere Hundert Russen Schlüsselpositionen im Militär und der zivilen Verwaltung eingenommen". Er selber hat das Rebellengebiet im Herbst 2014 verlassen, verfügt aber immer noch über gute Kontakte nach Donezk. Auch außerhalb des Rebellengebietes, so hat er festgestellt, hoffen "immer noch viele Menschen auf Russland. Aber fast keiner war in letzter Zeit in Russland oder gar in Lugansk oder Donezk. Keiner von ihnen weiß, worauf er sich einlässt, wenn Moskau das Sagen hat."

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